Theoretisch trivial, praktisch schwierig: als Unternehmer zu erkennen, wann die eigene Firma wegen strategischer Verfehlungen Restrukturierungsbedarf hat. Es braucht das Auge für Frühwarnsignale die Bereitschaft zu Veränderung – und den Blick von außen.
Die Schallplatte scheint kaputt: Beiträge zu Unternehmensstrategie und -finanzierung starten mit einer Liste der Herausforderungen, die der Unternehmer aktuell bewältigen muss. Von multiplen Krisen ist dann die Rede. Und es ist ja tatsächlich viel los – die erneute Aufzählung wird hier ausgespart. Es gilt nämlich erstens: Die Poly-Krise ist gekommen, um zu bleiben. Damit haushalten viele Firmen inzwischen so gut es eben geht. Wichtiger soll hier zweitens sein: Unternehmen scheitern nicht selten gar nicht (nur) an externen Herausforderungen, sondern an hausgemachten Problemen.
Gerade im „Externe-Krisen-Bewältigungsmodus“ verlieren Geschäftsführer und Managementteam nachvollziehbarerweise mitunter den Blick für interne Warnsignale wie mangelnde Innovationskraft oder eine überholte strategische Ausrichtung. Werden diese Zeichen übersehen, landet die Firma schnell in der Sanierung. Um das zu verhindern, müssen Unternehmer Frühwarnindikatoren kennen, damit sie vorbeugend restrukturierende Maßnahmen ergreifen können. Dass Handlungsbedarf durch eine Krise entsteht, ist kein Grund zu verzagen – oder um es mit Winston Churchill zu sagen: „Never waste a good crisis.“
„Der Erfolg der Vergangenheit ist in diesem Zusammenhang das größte Hindernis für den Erfolg der Zukunft.“
Georgiy Michailov, Struktur Management Partner
Für viele ist das aber Neuland. Deutsche Unternehmen kommen aus einer langen Phase ohne signifikante Verwerfungen garniert mit Niedrigzins und Wachstum. Erst seit der Pandemie bringt die volatile wirtschaftliche Situation Verfehlungen ans Licht. Verfehlungen, die jetzt schon oder zumindest perspektivisch existenzgefährdend sind. „Der Erfolg der Vergangenheit ist in diesem Zusammenhang das größte Hindernis für den Erfolg der Zukunft,“ erklärt Georgiy Michailov von der Restrukturierungsberatung Struktur Management Partner. Carsten Angerer, der bei der Deutschen Bank die Kundenseite der Sanierung in Deutschland leitet, ergänzt: „Auch die Hilfsmaßnahmen, die seit der Corona-Krise in großem Rahmen vergeben wurden, fallen manchen Unternehmern jetzt auf die Füße. Die Gelder haben Probleme kaschiert und damit die frühzeitige Aufarbeitung von Versäumnissen verhindert.“
Regelmäßige Performance-Analysen, die alle unternehmerischen Bereiche umfassen, sind der Finger am Unternehmenspuls. Bereits dafür kann es sinnvoll sein, externe Berater an Bord zu holen, denn Warnsignale sind durchaus erkennbar, bevor sie zu Liquiditätsengpässen führen – der Unternehmen will sie vielleicht nur einfach nicht sehen.
Wie sehen typische Frühwarnindikatoren aus? Schrumpfende Margen oder höhere Lagerbestände oder neue, disruptive Wettbewerber, die auf den ersten Blick keine Konkurrenz für das eigene Traditionsunternehmen sein mögen – auf den zweiten aber schon.
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Besonders schwer fällt die unvoreingenommene Prüfung interner Prozesse. Doch die sind oft ausschlaggebend für die Schieflage. Wie steht es um die Innovationskraft, wie zielgerichtet werden F&E ausgegeben und überprüft? Problematisch wird es, wenn neue Produkte nur unter Schwierigkeiten und langsam entstehen – und geschäftsgefährdend spätestens, wenn die strategische Ausrichtung nicht konsistent und anpassungsfähig ist.
Richtig mit den Erkenntnissen umzugehen, ist der schwerste Schritt, das betont auch Restrukturierungsberater Georgiy Michailov: „Sich einzugestehen, dass Kennzahlen nicht nur temporäre Schwächen wiedergeben, sondern strukturelle Probleme, ist die größte Herausforderung.“ Zu oft werde eine Veränderung nicht aus Einsicht angestoßen, sondern erst aus Notwendigkeit – dann allerdings sind die Handlungsoptionen bereits stark eingeschränkt.
„Manchmal muss eben das ganze Geschäftsmodell verändert werden. Das wollen Unternehmer nicht immer sehen oder können sich oft nicht überwinden, tätig zu werden.“
Stefan Blumenstein, Deutsche Bank
Ralf Moldenhauer von BCG restrukturiert seit Jahrzehnten Unternehmen und beobachtet, dass in der ersten Phase, der strategischen Krise, meist noch nachdrücklich weggesehen wird: „Solange signifikante Probleme nicht komplett offensichtlich sind, gilt in Unternehmen oft: Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Stefan Blumenstein, global bei der Deutschen Bank für die Sanierung verantwortlich, wird noch deutlicher: „Manchmal muss eben das ganze Geschäftsmodell verändert werden. Das wollen Unternehmer nicht immer sehen oder können sich oft nicht überwinden, tätig zu werden.“
Abhilfe schaffen kann ein starker Beirat, der herausfordert und Missstände frühzeitig klar benennt. Gerade Familienunternehmen seien da aber meist nicht allzu gut aufgestellt, erklärt Carsten Angerer: „Es bräuchte viel mehr kritische Stimmen in den Aufsichtsorganen, die wirklich den wunden Punkt aufzeigen.“ Restrukturierungsexperten aus der Beratung können diese undankbare Aufgabe ebenso übernehmen.
Hat der Unternehmer sich schließlich überwunden, Erkenntnis in Handlung überzuleiten, muss es schnell gehen. Wichtig ist, klar zu definieren, wer das Heft des Handelns in der Hand hat und die Belegschaft für die notwendigen Maßnahmen ins Boot zu holen. Das erfordert Mut, schafft aber Vertrauen. Blinder Aktionismus schadet allerdings – Priorisierung ist Trumpf, damit dringende Veränderungen nicht im Kleinklein untergehen.
Die strategische Neuausrichtung muss nicht nur intern aufgegleist werden – der Unternehmer muss außerdem Kreditgeber informieren, den dafür optimalen Zeitpunkt wählen und ihnen einen sinnvollen Way Forward skizzieren. Welche Detailtiefe entsprechende Pläne haben sollten, erklärt Experte Tammo Andersch im Interview auf results.
Ralf Moldenhauer von BCG findet klare Worte für den richtigen Umgang mit Kreditgebern: „Es braucht vollumfängliche Information und regelmäßige offene Gespräche. Dann sind Banken auch Helfer an der richtigen Stelle.“ Berater Georgiy Michailov verweist neben der Transparenz auf die Gleichbehandlung: „Der größte Fehler ist es, unvollständig oder asymmetrisch zu kommunizieren.“ Und er weist auf eine weitere Stakeholder-Gruppe hin: „Warenkreditversicherer sind ebenso essenziell und in der aktuellen Situation sehr nervös.“ Auch Stefan Blumenstein warnt vor einer falschen Scheu gegenüber Kreditgebern: „Die Zurückhaltung ist aus menschlicher Perspektive verständlich. Aber nur wenn wir früh informiert sind, können wir mit ausreichend Handlungsspielraum agieren.“
Die Fülle an Aufgaben ist oft nicht allein zu stemmen. Georgiy Michailov spricht von einer dualen Transformation, in der sowohl die Kerngeschäft-Restrukturierung als auch die aktive Entwicklung neuer Geschäftsfelder bewältigt werden müssen. Genau deswegen braucht es externe Unterstützung, um eigene Restrukturierungsideen auf den Prüfstand zu stellen und den Prozess strukturiert zu Ende zu bringen.
Der Weg zum gelungenen Abschluss einer Restrukturierung ist schwer. Der Unternehmer muss sich aufrichtig hinterfragen und erkennen, was das Potenzial hat, seinen Erfolg zu (zer)stören. Auf die Einsicht muss Aktion folgen. Man darf sich Hilfe holen, um zu begreifen, um schnell und proaktiv handeln zu können. Außerdem ist Kommunikation essenziell. Dann kann man gemeinsam an einem Strang ziehen und das Unternehmen wieder in die Spur bringen. Falscher Stolz, Eitelkeit oder das Verleugnen von Veränderungsnotwendigkeit hingegen sind Weggefährten Richtung Insolvenz. Es braucht Mut, um die Krise nicht zu verschwenden – oder, um erneut Churchill zu bemühen: „Es ist sinnlos zu sagen: Wir tun unser Bestes. Es muss dir gelingen, das zu tun, was erforderlich ist.“
10/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Isabella-Alessa Bauer. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.