19.12.2022
Die Diversifizierung der Lieferketten fordert das Treasury – und stärkt dessen strategische Relevanz. Viele Trends im Treasury bleiben aber intakt.
Von Christof Hofmann
Dieser Artikel wurde in der Print-Ausgabe von DerTreasurer als Gastbeitrag von Christof Hofmann am 15. Dezember 2022 erstmalig veröffentlicht.
Die globale Arbeitsteilung hat in großen Teilen der Welt Wohlstand ermöglicht. Dennoch stehen die Zeichen politisch auf Deglobalisierung oder zumindest eine Diversifizierung der globalen Handelsbeziehungen. Die Pandemie war ein zusätzlicher Impuls, der die Verletzlichkeit der bisherigen Lieferketten schmerzlich vor Augen geführt hat.
Unternehmen reagieren darauf mit dem Umbau ihrer Supply Chain und treiben dadurch ihrerseits die Transformation bzw. Regionalisierung der Weltwirtschaft voran. Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf die Arbeit der Treasury-Abteilungen. Das bedeutet nicht, dass alles auf den Kopf gestellt wird. Wichtige langfristige Trends bleiben intakt.
Unternehmen stehen vor einer Phase großer Unsicherheit bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung. Damit werden die genaue Kenntnis der Liquidität und der Finanzierungsbedürfnisse sowie Kosteneinsparungen noch wichtiger. Globale Transparenz versetzt das Treasury in die Lage, schnell und angemessen auf lokale oder regionale Entwicklungen zu reagieren. Aktuell zeigen Treasury-Abteilungen ein noch größeres Interesse an Lösungen, die in Echtzeit oder zumindest sehr zeitnah Zugang zu allen relevanten Informationen auf globaler Ebene ermöglichen. Darum wird sich der Trend zur Zentralisierung von Treasury und Cash Management durch Inhouse-Banken und Shared Service Centers fortsetzen.
Ganz konkret haben viele Unternehmen die Herausforderung zu bewältigen, die Resilienz ihrer Supply Chain zu erhöhen. Viele Unternehmen suchen neue alternative oder zusätzliche Lieferanten oft in physischer Nähe. Durch die Diversifizierung der Lieferketten werden neue Geschäftspartner involviert, mit denen es keine Erfahrungen gibt. Daraus entstehen finanzielle Risiken: Während die Länderrisiken durch diese Maßnahmen reduziert werden, dürften die konkreten Lieferantenrisiken, die von Ausfall- bis zu Betrugsrisiken reichen, zumindest temporär steigen.
Für das effiziente Management dieser finanziellen Risiken ist noch mehr Digitalisierung erforderlich. Dabei lenken die aktuellen Herausforderungen nicht von datengetriebenen Innovationen im Treasury ab, sondern verstärken eher den Fokus auf diese Themen.
Unter dem Stichwort „Predictive Analytics“ nutzt das Treasury den Zugriff auf früher oft im Unternehmen bereits vorhandene, aber bislang unzugängliche Informationen. In Zusammenarbeit mit internen Teams können dadurch rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, um Liquiditätsanforderungen besser vorherzusagen und finanzielle Verluste oder Compliance-Verstöße zu verhindern.
Weitere finanzielle Risiken entstehen aus Preisänderungen. Nur wenige Treasurer haben bislang Erfahrung mit hoher und stark steigender Inflation gesammelt. Die Stabilität der Vergangenheit hat in einigen Treasury-Abteilungen dazu geführt, Zins-, Währungs-, Energie- oder Rohstoffpreisrisiken nicht immer vollumfänglich abzusichern. Aktuell genießen Unternehmen mit umfangreichen Absicherungen aber einen nicht unerheblichen Wettbewerbsvorteil. Hedging dürfte als Teil des Risikomanagements in unsicheren Zeiten künftig eine noch wichtigere Rolle spielen.
In Summe übernimmt das Treasury eine zentrale Funktion in der Anpassung der Unternehmen an die neuen wirtschaftlichen und geopolitischen Rahmenbedingungen. Auch damit wird letztlich ein Trend fortgeschrieben, nämlich die strategische Aufwertung der Treasury-Abteilung. Diese zeigt sich nicht nur bei neuen geschäftlichen Ansätzen wie Direct-to-Consumer oder Marktplatzmodellen: In progressiven Unternehmen agieren die Treasurer auch als „Wächter des Geldes“ und werden in die Diskussion über die Verwendungszwecke eng einbezogen.
Dadurch können sie ihrer Aufgabe, jederzeit Liquidität zu gewährleisten und Schäden sowie Wettbewerbsnachteile vom Unternehmen abzuwenden, noch besser gerecht werden. Diese strategische Rolle wird in Zeiten der Anpassung globaler Lieferketten mit allen damit verbunden Unsicherheiten besonders wichtig.
Christof Hofmann ist Global Head of Corporate Cash Management bei der Deutschen Bank.