„Der Gewinn liegt im Einkauf“, lautet eine uralte Kaufmannsregel. Aber gilt das auch für den Kauf von Unternehmen? Und ist die Pandemie für Schnäppchenjäger eine Schatzkiste oder eine Schlangengrube?
Auf den ersten Blick zeigt sich ein Markt in Trümmern: Aktuell liegen viele Dutzend M&A-Transaktionen auf Eis. Einige wenige wurden zu Beginn des Lockdowns noch über die Ziellinie geschoben, doch die meisten kamen zum Erliegen – und ruhen immer noch. Doch so langsam regt der M&A-Markt sich wieder und viele Mittelständler stellen sich die Frage: Ist jetzt nicht vielleicht die perfekte Zeit zuzukaufen, den eigenen Markt zu konsolidieren oder die Wertschöpfungskette zu verlängern?
Nein, ist es nicht. Zwar haben sich etliche Familienunternehmen von Banken, Debt Funds oder Factoring-Gesellschaften regelrechte „Kriegskassen“ besorgt, um rasch zuschlagen zu können. Doch in vielen Märkten bleibt die weitere Entwicklung unklar – und das ist Gift für M&A-Transaktionen. Es gibt natürlich Unternehmen und ganze Branchen, die von Corona kaum berührt sind oder gar profitieren. Für diese Spieler werden aber weiterhin hohe Preise bezahlt und Hunderte hoch liquider Finanzinvestoren, die nur in gut aufgestellte Unternehmen investieren (dürfen), konzentrieren sich noch mehr auf diese „lucky few“. Vielen juckt es schon wieder in den Fingern – sie haben in der Finanzkrise erlebt, wie schnell der Markt sich wieder belebte und wollen die Ersten sein, die auf dem Tiefpunkt investieren.
Trotzdem: Es kann sich für Mittelständler lohnen, Zukäufe zu prüfen. „Manche Industrien schaut sich Private Equity, abgesehen von den Restrukturierungsspezialisten, gar nicht mehr an“, sagt Ralf-Georg Mittler, der das mittelständische M&A-Geschäft der Deutschen Bank leitet. Es wird sie darum geben, die Gelegenheiten für Schnäppchen: das Lebenswerk des über Sechzigjährigen, der einfach keine Lust mehr auf eine weitere Krise hat. Oder Randaktivitäten eines Konzerns, der Liquidität für sein Kerngeschäft braucht. Oder traditionsreiche, aber ungeliebte Anhängsel von Familienunternehmen, die bislang aus emotionalen Gründen sakrosankt waren.
Wer jetzt kaufen will, muss aber mit zwei Dingen umgehen können: Das ist einmal der Zeitaufwand. M&A-Transaktionen sind intensiv und binden die Aufmerksamkeit des Managements. Nicht viele Unternehmen können oder sollten sich das aktuell leisten. Zumal der Aufwand und die Abschlusswahrscheinlichkeit derzeit in keinem Verhältnis stehen: Alle Marktbeobachter berichten, dass sich die Prozesse länger hinziehen und häufiger abgebrochen werden.
"Die meisten Unternehmer, die mit dem Rücken zur Wand stehen, bitten erst dann zum Gespräch, wenn es zu spät ist."
Ralf-Georg Mittler, Deutsche Bank
Und dann ist da die Unsicherheit, die viele Targets umgibt. Das zieht sich von der Unternehmensprüfung („Due Diligence“) über die Kaufpreisfindung bis zur Unterschrift. „Wir sind alle Unsicherheit gewohnt und können damit umgehen“, sagt Due-Diligence-Experte Jürgen Zapf, Deutschland-Chef der Restrukturierungsberatung Alvarez & Marsal. „Aber was wir in dieser Krise erleben, ist eine neue Dimension.“ Die Schwerpunkte in der Prüfung haben sich verlagert: Die Richtigkeit der Angaben zu überprüfen reicht nicht mehr – es geht vor allem um zentrale operative Fragen: Hat das Unternehmen seine Hausaufgaben gemacht, um rasch und radikal Kosten einsparen oder unerwartet starkes Wachstum managen zu können?
Nie einfach, aber schwierig wie nie ist die Suche nach dem richtigen Preis. Die Börse ist kein Indikator: Die Kurse sind bei gesunkenen Gewinnerwartungen fast stabil geblieben, damit sind die Multiples nach oben geschossen. Die Wirklichkeit im M&A-Markt sieht anders aus. Allerdings sinken die Erlöserwartungen der Verkäufer nie so rasch wie die Zahlungsbereitschaft der Käufer – ein wichtiger Grund für das Scheitern der Verhandlungen.
Ein anderes Problem: Typische Indikatoren wie EBIT-Multiples versagen, wenn das EBIT zum Moving Target wird. M&A-Profis wie Sven Oleownik, Deutschland-Chef des Finanzinvestors Gimv, versuchen, Normalität zu simulieren: „Wir schauen auf die Performance der Vergangenheit und ermitteln den Corona-Effekt. Im Idealfall finden wir einen strategischen Dreh, durch den der Kaufpreis nicht ganz so entscheidend ist.“ Um als Käufer nicht alle Risiken tragen zu müssen, sollte man versuchen, den Verkäufer finanziell an den künftigen Erfolg zu binden. „Verkäuferdarlehen und Earn-out-Regelungen werden wichtiger“, beobachtet Oleownik. „Das stößt nicht immer auf Begeisterung, erleichtert den Deal aber ungemein.“
Je besser der Käufer das Target einschätzen kann, um so mehr Zugeständnisse kann er machen. „Vertrauen ist heute wieder ein entscheidender Faktor“, sagt Moritz von Bodman, Managing Director der M&A-Beratung GCA Altium. „In der aktuellen Marktsituation geht es weniger darum, der schnellste Bieter zu sein, sondern pragmatisch mit dem Verkäufer an einer Dealstruktur zu arbeiten, die für beide Seiten akzeptabel ist. Ziel ist zunehmend eine gute Bewertung mit angemessenem Chancen-Risiko-Verhältnis für beide Seiten.“
Das geht nicht ohne rechtliche Flankierung. „In Krisenzeiten ist der Vertrag noch wichtiger als sonst“, sagt Andreas Hoger, Partner bei der Anwaltskanzlei Hengeler. „Im Fokus steht jetzt die Phase zwischen Signing und Closing – also zwischen der Unterschrift und dem Vollzug der Transaktion.“ Dieser Zeitraum ist kritisch, wenn die Welt so volatil ist wie heute. Sogenannte MAC-Klauseln („Material Adverse Change“) sollen dem Käufer das Recht bieten, vom Kauf zurückzutreten oder den Kaufpreis nachzuverhandeln. Mehr Anwendung finden derzeit auch M&A-Versicherungen, vor allem Garantien („Warranty & Indemnity“). Am Ende geht es immer nur darum, als Käufer ein Gefühl der Sicherheit zu erhalten. Ob die Absicherungen im Ernstfall in dieser Krise greifen, steht allerdings in den Sternen.
Der Weg zum Deal ist derzeit also steinig. Immerhin: An der Finanzierung wird er nur selten scheitern. Zwar sind mit der Krise die Leverage-Multiples der Banken gesunken und die Margen gestiegen. Doch damit lässt sich immer noch vernünftig finanzieren. Alle wichtigen Banken im Markt haben signalisiert, dass die Akquisitionsfinanzierung ein wichtiges Standbein bleibt, weil sie bei gut kalkulierbarem Risiko vergleichsweise ordentliche Renditen abwirft. Und wer noch höher fremdfinanzieren will, als es der Risikoappetit der Banken erlaubt, für den stehen zahlreiche Debt Funds bereit, die nur zu gern gegen einen höheren Zins einen höheren Verschuldungsgrad akzeptieren.
Die Mühe kann sich also lohnen. Dennoch wird auch manch kaufwilliger Mittelständler in den kommenden Monaten nicht zum Zuge kommen. Denn wie in jeder Krise werden auch dieses Mal viele zu lange auf eine Erholung der Bewertungen und ihrer eigenen Unternehmenszahlen setzen. M&A-Berater Mittler von der Deutschen Bank führt zwar fortwährend strategische Dialoge mit Eigentümern, um sie zu einem Verkauf zu bewegen, und geht auch im Namen eines Kunden auf Kandidaten zu. Doch die Erfahrung zeigt: „Die meisten Unternehmer, die mit dem Rücken zur Wand stehen, bitten erst dann zum Gespräch, wenn es zu spät ist.“
8/2020
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.