Es menschelt – auch in der Sanierungsabteilung

Durch die Krise werden vermehrt Mittelständler in den Restrukturierungseinheiten der Banken betreut. Was erwartet sie dort, und wie sollen sie sich verhalten?

„Die ihr eintretet, lasset alle Hoffnung fahren!“ Eine falsche Assoziation: Sanierungsabteilungen sind keine Hölle, und niemand bleibt dort ewig. Foto: shutterstock

Es gibt Orte, da will man nie hin. Sanierungsabteilungen von Banken sind ein solcher Ort. „Manchmal fühlen sich die Kunden aber sehr wohl bei uns“, sagt Carsten Angerer, der bei der Deutschen Bank die Kundenseite der Sanierung in Deutschland leitet. „Wir haben schließlich eine hohe Betreuungsdichte.“ Keine Frage, der Wellness-Faktor ist die Ausnahme: Wer schon operativ kämpft, der will sich nicht auch noch mit den Finanzierern herumstreiten. Aber wenn es nicht läuft, wird die Liquiditätsversorgung zur zentralen Sorge.
Wege in die Sonderbetreuung gibt es viele: In seltenen Fällen kommt ein Unternehmen von selbst auf die Bank zu. Manchmal ist bereits ein Berater an Bord, der dem Management den guten Rat gibt, die Finanzierer anzusprechen. In der Regel sehen auch die Firmenkundenbetreuer, dass nicht alles rund läuft. Und oft schlagen die Risikoanalysten Alarm, weil die Zahlen auffällig sind. Immer liegt im Unternehmen etwas im Argen und fast immer ist die finanzielle Schieflage eine Folge operativer Probleme.
Die Übergabe in die Sanierungsabteilung bedeutet zunächst einmal den Abschied vom gewohnten Firmenkundenbetreuer. Für den Wechsel der handelnden Personen haben die Banken gute Gründe: In der Krise ist nicht mehr der Vertriebler gefragt, und die Beziehung zum Kundenvertrauten soll nicht belastet werden. Manchmal begleiten die Betreuer die Gespräche noch, aber die Entscheidungen werden in den Sanierungsabteilungen getroffen.

Workout-Banker erwarten mehr Arbeit

Die Experten sind sich fast einig: Knapp 90 Prozent der Restrukturierer in Banken und Kreditversicherungen rechnen für die kommenden sechs Monate mit mehr Restrukturierungsfällen. Das ergab eine aktuelle Umfrage des Fachmagazins FINANCE. Hauptgrund ist – wenig überraschend – die Corona-Pandemie. Aber auch Schwierigkeiten mit den Herausforderungen der Digitalisierung und die Wachstumsschwäche in der Euro-Zone werden als zentrale Herausforderungen identifiziert.
Bereits im vergangenen Halbjahr haben die Experten mehr Fälle zur Bearbeitung bekommen. Ihr Hauptaugenmerk richten die Sanierungsspezialisten auf die Liquiditätsposition der Kunden und auf mögliche Auftragsrückgänge. Und die Verhandlungen werden schwieriger: Die Zahl der Befragten, die eine Finanzierung von Restrukturierungsfällen als derzeit schwierig bis sehr schwierig bezeichnen, ist innerhalb der letzten zwei Jahre von 30 Prozent auf 50 Prozent gestiegen.

Neue Leute, neues Spiel

Mit den neuen Ansprechpartnern ändert sich auch die Stimmung: „Eine Refinanzierung bei gesunden Unternehmen ist Happy Banking“, beobachtet Thomas Lange, Finanzierungsexperte bei der Anwaltskanzlei Görg. „Eine Refinanzierung bei kriselnden Unternehmen ist dagegen eine sehr emotionale Angelegenheit.“ Kein Wunder: Für den Unternehmer oder das Management geht es um alles. Aber auch die Finanzierer sind nicht immer frei von Emotionen. Das liegt oft daran, dass die Kunden auf dem Weg in die Krise nicht immer transparent waren.

„Ehrlichkeit und Transparenz sind das A&O."

Thomas Braun, krisenerfahrener CFO

In der neuen Konstellation heißt es dann erst mal, Vertrauen aufzubauen. Dazu gehört natürlich ein Sanierungsplan, manchmal muss sogar ein ordentliches Gutachten nach dem gängigen Standard IDW S 6 her. Eine sauber abgearbeitete Restrukturierung ist aber nur die Basisarbeit, für eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Finanzierern braucht es deutlich mehr. „Ehrlichkeit und Transparenz sind das A&O“, sagt Thomas Braun. Der krisenerfahrene CFO, der früher selbst Banker war und durch viele Sanierungsverhandlungen gestählt ist, weiß genau, wie empfindlich Finanzierer auf nicht eingehaltene Versprechen reagieren. Keine Sanierung gelingt im Detail wie im Plan vorgezeichnet – darum muss der Kunde jederzeit offen kommunizieren und eventuell auftretende Abweichungen erklären. „Und man darf durchaus nach den Erwartungen der anderen Seite fragen“, rät Braun. „Vor allem muss man verstehen, dass die Spielräume der Banken im Bereich der Restrukturierungsabteilungen begrenzt sind.“
Aber es gibt Spielräume, und die haben auch mit Vertrauen zu tun. Das hat Einfluss auf die Auswahl der Verhandlungsführer: „Wenn das Vertrauensverhältnis zum CFO nachhaltig zerrüttet ist, kann es ratsam sein, wenn dieser sich auch mal an die Seitenlinie stellt“, sagt Anwalt Lange. Das gilt auch für die Berater: Die Sanierungszunft ist so klein, dass dieselben Menschen immer wieder aufeinandertreffen. Da ist es keine gute Idee, einen Berater auszuwählen, den eine tiefe Abneigung mit einem der Workout-Banker in der Runde verbindet. Eine konstruktive Arbeitsatmosphäre muss das Ziel sein. „Die Beziehungspflege ist wichtig“, sagt CFO Braun. „Der Kunde darf aber nicht kumpelhaft auftreten und versuchen, über die persönliche Beziehung Vorteile zu erlangen. Vertrauen durch Respekt ist das Gebot der Stunde.“
Und er muss mit den Richtigen kommunizieren. In einer Konsortialfinanzierung übernimmt der Konsortialführer auch in schwierigem Fahrwasser die Koordination. Er ist der einzige Ansprechpartner des Kunden, auf keinen Fall sollten heimliche Gespräche mit einzelnen Banken geführt werden. Bei mehreren bilateralen Finanzierungen ist die Verhandlung viel schwieriger. Das Misstrauen der Kreditgeber ist oft groß, jeder schaut auf sein eigenes Kuchenstück. Das kann absurde Züge annehmen: „Wir erleben Fälle, in denen zwischen einer mündlichen Zusage eines Stillhalteabkommens und der schriftlichen Fixierung mehrere Monate liegen“, berichtet Anwalt Lange. „Das liegt dann häufig auch am schwierigen Verhältnis und der notwendigen Koordination der Banken untereinander.“ In vielen Fällen schließen sich die Finanzierer allerdings zu einem Bankenpool zusammen, um die Sicherheiten neu zu verteilen und gemeinsam verwerten zu können. Dann wird der Poolführer zum Ansprechpartner.

Neue Finanzierer, neues Geld

Oft wird in der Restrukturierung erst einmal zusätzliches Geld benötigt. Der bestehende Bankenkreis hat allerdings nicht immer Lust, noch weiter ins Risiko zu gehen. Dann schlägt die Stunde von asset-basierten Finanzierern wie Factoringunternehmen und Leasinggesellschaften. Ein Beispiel: Carl-Jan von der Goltz kauft den Kunden mit seinem Unternehmen Maturus Finance Maschinen ab, die sie über eine Leasing-Lösung weiter nutzen können. Als externer Geldgeber wird er von den Banken oft willkommen geheißen. Die Banken sind auch durchaus bereit, als Gegenleistung für frisches Geld auf die Maschinen als Sicherheiten zu verzichten. Teil der Sanierungsrunde wird der Hamburger allerdings nur selten: „In den Verhandlungen mit den Banken sitzen wir eigentlich nie mit am Tisch. Wir werden auch nur selten von den Banken ins Spiel gebracht, sondern meistens von den Beratern der Mittelständler.“

„Der Kunde sollte uns nicht als Gegenspieler betrachten."

Carsten Angerer, Deutsche Bank

Ein Spaziergang sind Sanierungen nie. Aber: Im Großen und Ganzen verlaufen Sanierungsgespräche konstruktiv, auch wenn Workout-Banker Angerer beobachtet, dass es früher unter den Banken etwas partnerschaftlicher zuging. „Entscheidend ist aber, dass der Kunde uns nicht als Gegenspieler betrachtet. Wir haben doch alle dasselbe Interesse, nämlich die Gesundung des Unternehmens.“ Operativ muss das Unternehmen anpacken, die finanzielle Restrukturierung braucht Bankenexpertise mit Fingerspitzengefühl und Erfahrung. Kunden profitieren von einer großen und erfahrenen Sanierungsabteilung – und wissen das nach Angerers Erfahrung auch zu schätzen: „Ein sanierter Kunde ist der beste Kunde, weil er weiß, dass die Bank zu ihm hält.“

11/2020