Weil die Märkte immer komplexer werden, ändert sich auch die Rolle des Finanzexperten: Aus dem Buchhalter von früher ist ein hoch spezialisierter Treasurer geworden. Immer mehr Firmenchefs erkennen seine Bedeutung als Sparringspartner im Unternehmensalltag
TEXT: STEPHAN SCHLOTE
Es gibt Einkäufer, die achten auf jeden Cent. Zum Beispiel jene der großen Ketten aus dem Lebensmitteleinzelhandel. Marco Getz, langjähriger CFO der Neusser Medisana AG, hat das nur allzu oft erlebt. Das Unternehmen handelt mit elektronischen Gesundheitsprodukten für Endverbraucher, etwa Blutdruck- oder Blutzuckermessgeräten. Produktion in Fernost, Zahlung in Dollar, Weiterverkauf an die Einkaufs-mächtigen im Lande. „Fällt der Dollar nur um ein paar Cent“, sagt Getz, „dann steht sofort der Handel auf der Matte.“ Und darf prompt den zuvor vereinbarten Preis senken. Wenn aber der Dollar steigt, „dann interessiert das niemand“. So geht Marktmacht.
Für den börsennotierten Mittelständler aus NRW ist das Risiko pur. „Es gibt keine größere Gefahr für unser Unternehmen als den Dollar“, sagt der Treasurer und sichert das Währungsrisiko fast vollständig ab. Getz weiß, dass ein schwankender Dollar bei seinen geringen Handelsmargen schnell mal den halben Deckungsbeitrag frisst. „Wir zocken nicht mit Währungen“, so sein Credo, „das ist uns einfach zu riskant.“ Mit ihren Entscheidungen bestimmen Treasurer wie Marco Getz das Wohl und Wehe ganzer Unternehmen. Viele von ihnen haben sich in diesen Fachbereich hochgearbeitet, oftmals als Ergänzung zum klassischen Accounting.
Denn es ist ein anspruchsvoller Job: „Spätestens bei Devisentermingeschäften ist beim Buchhalter Schluss“, weiß der Lüneburger Finanzwissenschaftler Professor Heinrich Degenhart. Treasurer sprechen auch beim Risikomanagement mit ihren Banken auf Augenhöhe. Ein Buchhalter bildet ab, ein Treasurer aber „schaut in die Zukunft, packt an und handelt“, sagt etwa Thomas Geilich, Experte für Marktrisiken bei der Deutschen Bank in Frankfurt. So sind gute Treasurer fast so etwas wie die Supermänner im Betrieb: Sie besitzen die Kraft, das Unternehmen vor den bösen Mächten der Märkte zu schützen.
Wenn es sie denn gibt. Tatsächlich ist es längst nicht so, dass jedes Unternehmen, das ein Treasury brauchte, auch eines hat. „Das Thema wird klar unterschätzt“, sagt etwa der Finanztrainer Roland Eller, der Mitarbeiter aus dem Finanz- und Rechnungswesen zum Treasurer trainiert. Aus seiner Sicht eine dringend benötigte Ausbildung: „Die meisten haben Buchhalter gelernt, aber kein Risikomanagement.“ Währungsschwankungen, Zinsänderungen, Forderungsausfälle, unattraktive Kapitalmärkte, Liquiditätsengpässe – die Herausforderungen an Unternehmen seien, so Eller, „massiv gestiegen“.Das gesamte makroökonomische Feld ist deutlicher volatiler als vor einem Jahrzehnt, nicht nur Banker warnen da gern vor dem berüchtigten „schwarzen Schwan“. Der Vogel schwimmt nicht oft vorbei, aber wenn doch, so wie zuletzt beim Brexit, dann kracht es schnell und heftig. „Es muss nur eine neue Krise um die Ecke kommen“, sagt Professor Degenhart, „und wer dann ohne Treasurer dasteht, der hat wirklich Stress.“
Als Frank Gneiting vor rund 16 Jahren bei TTS Tooltechnic/FESTOOL anfing, war das Thema Treasury noch ziemliches Neuland. Inzwischen aber ist das schwäbische Familienunternehmen mit rund 40 Ländergesellschaften auf dem Weg zum Konzern. Und braucht dafür die nötigen Strukturen – ein global ausgerichtetes Treasury inklusive. Gneiting ist ein Zahlenmensch, dennoch hält er Kommunikation auch in seinem Job für entscheidend: „Der Treasurer“, sagt er, „soll sich nicht verschanzen und einbunkern.“
„Hätten wir nicht gesichert, wären wir heute nicht mehr da“
Gerüstet sind nur wenige: Gerade der globalisierte Mittelstand, der hineinwächst in Konzernstrukturen, „muss da noch nachrüsten“, sagt Deutsche Bank Risikoexperte Geilich. Denn tatsächlich sei es „nur eine Minderheit, die über ein wirklich gut aufgestelltes Treasury verfügt“. Gerade die mittleren Familienunternehmen, sagt auch Professor Degenhart, müssten noch „wesentlich professioneller“ werden.
Schon ab 100 Millionen Euro Umsatz hat für Degenhart ein eigener Treasurer Sinn, oftmals auch schon weit darunter. Wichtiger als der Umsatz sind aber diese Kriterien: internationales Geschäft außerhalb der Eurozone, hoher Fremdwährungsanteil, viel Fremdfinanzierung und hohe Kapitalintensität. Ein Autozulieferer oder ein deutscher Maschinenbauer etwa, der seinen Kunden weltweit folgt – „ohne Treasury undenkbar und zu riskant“, sagt Degenhart.
Risiken birgt aber mitunter schon ein ganz profaner Produktkatalog. Wer sich dort preislich auf ein Jahr bindet, sollte sicher sein, dass er diese Zusage auch halten kann – komme, was wolle. Ein geradezu typisches Beispiel, wie ein Familienunternehmen in die Treasury-Bedarfszone hineinwächst, ist die Lingener emco Group mit ihrem Finanzchef Claus Kösters. Das Unternehmen ist heute breit diversifiziert und produziert Haustechnik, Bürobedarf und neuerdings sogar Elektroroller. Über die Jahre haben sich die Niedersachsen internationale Lieferketten aufgebaut und erzielen immer mehr Wertschöpfung in Tschechien, China oder den USA. Inzwischen beschäftigt emco jeden zweiten Mitarbeiter im Ausland. „Plötzlich hatten wir Themen wie Währungsschwankungen, Zinssicherung, Cash Management oder langfristige Liquiditätsplanung auf dem Tisch“, sagt Kösters.
Diversifikation lässt sich bei der Emsländer emco lernen. Das aus einem Hersteller von Bürobedarf entstandene Unternehmen ist heute in völlig unterschiedlichen Geschäftsfeldern und vielen Ländern aktiv, Elektroroller kamen als Letztes hinzu. Jeder zweite Mitarbeiter erhält sein Gehalt inzwischen im Ausland. Die für emco wichtigsten drei Währungen hat Treasurer Claus Kösters fast rund um die Uhr im Blick. Treasury ist für den Finanzmanager nur ein Teil des Jobs. Aber vielleicht der wichtigste.
Der Mann hat das alles miterlebt, seit seiner Kaufmannslehre ist er im Haus und aufgestiegen, die nötige Weiter-bildung hat er sich nebenbei aufgepackt. Treasurer ist er nur zu rund zehn Prozent seiner Arbeitszeit, doch es ist der vielleicht wichtigste Teil. Kösters kümmert sich um Währungssicherung und die weltweite Liquiditätsversorgung. Auf seinem Arbeitsplatzbildschirm läuft permanent ein Ticker mit den für emco relevanten Währungen, und wenn die tschechische Krone stark fällt, dann greift er zum Hörer. Wöchentlich bespricht er mit dem kaufmännischen Leiter die Lage an den Märkten, plant den Liquiditätsbedarf in der jeweiligen Währung und entscheidet dann, ob gesichert wird. Kösters selbst beschreibt seinen Job noch knapper: „Ich muss“, sagt er, „das Unternehmen vor existenziellen Risiken schützen.“
Damit nicht alles jedes Mal von vorn besprochen wird, hat er schon vor Jahren ein „Risikohandbuch“ geschrieben. Es ist ein Regelwerk, das jedes Unternehmen mit Rohstoffbezügen und Fremdwährungsgeschäften haben sollte. Darin ist fein säuberlich notiert, welchen Risiken emco ausgesetzt ist und wie das Unternehmen darauf im Bedarfsfall reagiert. Es durchleuchtet das Geschäftsmodell und alle Wertschöpfungsketten auf mögliche Risiken, etwa bei Währungen, Ländern, Zinsen oder Kontrahenten. Und es beschreibt die jeweils möglichen Alternativen. Das Buch regelt die Einbindung des Risikomanagements in Unternehmen und Management und benennt die Verantwortlichen und Aufgaben.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG zählt in einer Studie fast 50 verschiedene Handlungsfelder des Treasury auf, darunter Finanzrisiken, Liquiditäts- und Cash Management, Recht und Steuern, Rohstoffe, Zahlungsverkehr und sogar Investitionspolitik und Strategie. Entscheidungen im Treasury zu standardisieren, daran glaubt auch Frank Gneiting, seit Jahren Cheftreasurer beim schwäbischen Elektrowerkzeugproduzenten TTS Tooltechnic/FESTOOL. Richtlinien für Anlagen, Rohstoffe, Zinsen und Währungen gibt es bereits, weitere sind in Entwicklung. Gneitings wichtigste Regel hat er aber im Kopf: „Geld schnell rein, langsam wieder raus.“ Auch TTS ist ein Mittelständler auf dem Weg zum Konzern, auch bei Gneiting hat sich das Jobprofil mit dem Wachstum des Unternehmens verändert. Rund 130 weltweite Konten kann er inzwischen auf seinem Rechner einsehen. Sein Ehrgeiz: Die rund 40 internationalen Landesgesellschaften sollen „den Rücken frei haben“ für Vertrieb und Kunden. „Dafür kümmern wir uns ums liebe Geld.“
Treasurer wie Frank Gneiting oder Claus Kösters kontrollieren, steuern, handeln. Doch wer kontrolliert die Kontrolleure? Oder anders: Woran erkennt der Geschäftsführer, vielleicht ein Ingenieur, ob der eigene Treasurer wirklich einen guten Job macht? Als eine regelrechte „Blackbox“ beschreibt KPMG das Treasury in vielen Unternehmen. „Der Großteil der Mitarbeiter weiß eigentlich nicht, was wir machen“, sagt etwa emco-Schatzmeister Kösters. Weiß es der Chef? „Transparenz ist das A und O“, sagt TTS-Treasurer Gneiting. Und legt los, welche Informationen er seinem Vorstand „auf Knopfdruck liefern kann“. Das geht so schnell, dass die Mitschrift schwierig wird.
Auch der Dollar ist alles andere als berechenbar
Wer ab und an mal seinen Blutdruck misst, macht das vielleicht mit einem Gerät der Neusser Medisana AG. Das börsennotierte Unternehmen lässt in China zahlreiche elektronische Messgeräte für Fitness und Gesundheit produzieren. Verkauft wird weltweit, meist über große Einzelhandelsketten. Die aber schauen auf jeden Cent und jeden eventuellen Währungsgewinn ihres Lieferanten. Was nicht heißt, dass sie im umgekehrten Fall das Währungsrisiko tragen. Das ist dann die Aufgabe von Medisana-Treasurer Marco Getz.
So verfügt Gneiting praktisch über eine Art Körperscan des gesamten Unternehmens. Und erfüllt damit auch jene Qualitätskriterien, die der Finanzwissenschaftler Degenhart stellt: eine perfekte Dokumentation, ein regelmäßiges Reporting und eine rollierende Liquiditätsplanung. Da ist er dann ganz bei Marco Getz von Medisana: „Liquiditätssteuerung ist für mich genauso wichtig wie Risikomanagement“, sagt Getz, der das Unternehmen letztlich nur noch über zwei Kennziffern steuert: Ergebnis und Liquidität. Ein guter Treasurer? Der hat den Dollarkurs nicht „im Bauch“ oder sonst wo. Der läuft nicht jeder Marktprognose hinterher. Denn, so Getz: „Wir machen Gewinn durch gute Produkte, nicht durch Spekulation.“
Die Frage nach der Qualität der eigenen Arbeit hat TTS-Treasurer Gneiting dennoch nicht losgelassen. So hat er eine Unternehmensberatung mit einer Benchmark-Analyse beauftragt. Ein Ergebnis kennt er schon jetzt: Trotz seiner begrenzten Ressourcen ist die Transparenz in seinem Bereich für einen Mittelständler herausragend. Auch das ist sein Erfolg. Gneiting macht den Job nur zu zweit. Und hat dennoch Zeit, auch mal an den berüchtigten schwarzen Schwan zu denken, der als eine Art Test für Treasurer gilt. Vor dem Brexit hatte sich Gneiting gegen einen Pfundabsturz gesichert und damit gutes Gespür bewiesen. Jetzt ist unter anderem die Zukunft des Euro ein Thema.
Viele aber sagen: ist bislang noch immer gut gegangen. Ein bekanntes Argument, aber kein allzu gutes, ein Institut wie die Deutsche Bank hat das leider zu oft erlebt. „Was sich Unternehmen an stressiger und teurer Volatilität ersparen“, sagt Bankexperte Geilich, „ist deutlich wertiger als die Personalkosten eines guten Treasurers.“ Das sieht der Finanzwissenschaftler Degenhart genauso: „Ein Treasurer holt sein Gehalt locker wieder rein.“ Und rettet mitunter auch das ganze Unternehmen: „Hätten wir in den vergangenen zehn Jahren nicht aktiv gesichert“, sagt Medisana-Mann Getz, „wir wären heute nicht mehr da.“ Mehr Argumente braucht es eigentlich nicht.
Weitere Informationen
Kontakt: Thomas Geilich, Deutsche Bank
Frankfurt, Telefon 069/910-47287,
E-Mail thomas.geilich@db.com
Einen Lehrgang zum Certified Treasury Manager bietet die Unternehmensberatung Roland Eller 2017 wieder an; Präsenzveranstaltungen: 20./21. 6., 23./24. 10. 2017,
E-Mail dorothea.hill@rolandeller.de
results. Das Unternehmer-Magazin der Deutschen Bank 4-2016