Wie sichert man den Fortbestand des Unternehmens? Vielleicht so: Man verkauft seine Anteile nur an die besten Mitarbeiter. Ein Hamburger Handelshaus regelt auf diese Weise seit Generationen die Nachfolge. Und ist damit ziemlich erfolgreich
Text: Stephan Schlote
Diese Zahl ist kein Druckfehler: Fast 80 Jahre in einem Unternehmen, das will man eigentlich kaum glauben. Der Mann, auf den dies zutrifft, ist heute 97 Jahre alt. Wilhelm Martin Maibaum beginnt 1938 beim Hamburger Handelshaus Hüpeden als Lehrling, später führt er es als Alleingesellschafter durch die Jahrzehnte. Erst Ende 2018 zieht er sich endgültig zurück, bis dahin kommt Maibaum noch zweimal wöchentlich in die Firma, ein Import- und Exporthaus in einem Kontorbau am Großen Burstah in der Hamburger City. Jahre zuvor schon verkauft er erstmals Anteile an seinem Unternehmen zum vergleichsweise günstigen Nominalwert an leitende Mitarbeiter. So übergibt Maibaum über die Jahre an seine Nachfolger in der Geschäftsleitung.
Ende 2018 vollzieht Thomas Schwieger, Maibaums langjähriger Mitgesellschafter, den gleichen Deal: Auch er hat bei Hüpeden vor einem halben Jahrhundert gelernt, gemeinsam mit Maibaum hat er aus dem einst kriegszerstörten Unternehmen ein internationales Handelshaus geschaffen. Nun verkauft er seine Anteile an die Nachfolger Pierre Tsalkas und Christian Wolf, den Rest halten zwei weitere leitende Mitarbeiter. Andere verkaufen ihr Unternehmen an den Meistbietenden, hier werden die Anteile zum Vorzugspreis an die nächste Führungsgeneration weitergereicht. Jeder Miteigentümer hält seine Anteile über Jahrzehnte, ein Verkauf an Dritte außerhalb der Firma ist nur sehr eingeschränkt möglich und letztlich nicht vorgesehen. So ist es im Gesellschaftervertrag verfügt.
Die Regelung der Nachfolge füllt ganze Bände und beschäftigt unzählige Berater. Es ist für den Fortbestand eines mittelständischen Unternehmens das vielleicht wichtigste Thema. Die meisten Unternehmer vererben oder verkaufen, andere installieren ein externes Management. Keiner aber gibt seine Anteile an seine Kollegen und Nachfolger vergleichsweise günstig ab. Die Hüpeden-Gesellschafter schon. Das Ziel: der Erhalt des Unternehmens als Einheit. „Unsere Firma lässt sich nicht verkaufen und nicht vererben“, sagt Christian Wolf, einer der Hauptgesellschafter des Unternehmens, „nicht zerteilen und nicht zerlegen.“
Und so halten die geschäftsführenden Gesellschafter ihren Unternehmensbesitz wie Treuhänder. Keiner von ihnen kassiert am Ende seines Berufslebens einen Gewinn aus Anteilsverkauf. Und keiner von ihnen wird sich jemals um den aktuellen Firmenwert streiten. Das hält zusammen und bindet die beteiligten Führungskräfte dauerhaft ans Unternehmen. Wolf: „Es gibt nichts, was die Kontinuität mehr sichert.“
Und dann kommt ein Satz, der christlich klingt, aber letztlich gut durchdachte Hamburger Kaufmannsdenke ist. Maibaum: „Wer will, dass es mit der Firma weitergeht, muss abgeben.“ Vielleicht wäre alles anders gekommen, hätte der große Übervater Maibaum Kinder gehabt. „Wir sind kein Familienunternehmen“, sagt Christian Wolf, einer der beiden Hauptgesellschafter. Und doch sind sie es: Die Firma ist die Familie.
Über Jahre und Jahrzehnte ist so ein erfolgreiches Hamburger Handelshaus entstanden. Die beiden heutigen Hauptgesellschafter teilen sich die beiden wichtigsten Geschäftsbereiche, Pierre Tsalkas verantwortet Import und Export des Textilgeschäfts, Christian Wolf betreut die Lebensmittelsparte. Mit knapp 50 Mitarbeitern importiert Hüpeden Thunfisch- und Gemüsekonserven, Tiefkühlkost wie Lachs oder Shrimps oder Baumwollstoffe als Meterware. Und exportiert Damast nach Afrika.
Klingt einfach, ist es aber nicht. Hüpeden ist auf jene Länder und Produkte spezialisiert, in denen andere nicht mal eben so einkaufen können. Es sind schwierige, zum Teil hoch volatile Märkte mit im Einkauf komplizierten Produkten, keine Massenwaren wie italienische Dosentomaten, die jeder Discounter selbst beschaffen kann. „Nischen suchen, Spezialist werden“, beschreibt Tsalkas die hauseigene Handelsstrategie. Fisch aus Papua-Neuguinea oder den Südphilippinen kaufen, Damast ins afrikanische Mali exportieren, zu solchen Märkte haben nur wenige Zugang. Und das Ganze bitte schnell: So profitieren die Hamburger vom Verbraucherwunsch nach „Fast Fashion“, also jenem Trend, bei dem sich eine Kollektion permanent erneuert. Hüpeden ist Premiumanbieter für zuschnittreife Meterware, ein dickes Musterbuch zeigt die jederzeit ex Lager Hamburg lieferbaren Textilien. Ein bestimmter Stoff in ein paar Tagen zu einer Näherei ins europäische Ausland? Das schafft keine Fabrik in Bangladesch, Hüpeden schon. Und geht es mal wieder politisch hoch her im Welthandel, kommt die Mannschaft erst auf Touren: „In der Krise zeigt sich, was der Kaufmann kann“, sagt Maibaum, „in Krisenzeiten ging es uns immer gut.“
Hauseigene Strategie: „Nischen suchen, Spezialist werden“
Gespür für die Verschiebungen im globalen Handel
Krisen und Kriege haben sie einige erlebt, die Firmengeschichte beginnt 1918, als Julius und Hans Hüpeden gesund aus dem Krieg zurückkommen. Die beiden Brüder werden „Chinakaufleute“, sie spezialisieren sich auf den Handel mit Ostasien. Nach 1945, Wilhelm Martin Maibaum ist unversehrt zurück aus Russland, fokussiert sich die Firma dann auf den Import von Lebensmittelkonserven und textilen Rohgeweben. Heute unterhält Hüpeden neben zwei Niederlassungen in China Vertretungen in vielen Ländern Europas, Afrikas und Asiens.
„Wir müssen uns tummeln“, sagt der Senior, und das bedeutet: immer wieder das Portfolio überprüfen. Nähmaschinen aus Japan waren einst der Renner, heute will das keiner mehr. Es gilt, ein Gespür zu entwickeln für die großen Verschiebungen im globalen Handel. China etwa ist bis heute die Werkbank der Welt. Doch das Land entwickelt sich rasant bei Kaufkraft, Technologie und Auslandsinvestitionen. Wer aber übernimmt in Zukunft die Rolle eines auf kostengünstige Auftragsfertigung spezialisierten Standorts? Für Handelshäuser wie Hüpeden ein zentrales Thema.
Solche Fragen sind nicht neu, andere Beschaffungsmärkte und andere Handelswaren mussten die Hüpedens immer wieder suchen. Im Januar haben sie ihr 100-jähriges Firmenjubiläum groß gefeiert, mit Empfang und Festreden in der altehrwürdigen Handelskammer zu Hamburg. Freunde und Geschäftspartner bekamen ein aufwendig bebildertes Buch in die Hand gedrückt, so viel Öffentlichkeit pflegen echte Hamburger Kaufleute nur im Sonderfall. Hüpeden sieht sich als wertegetriebenes Unternehmen, tickt eher old school als cool, einer der beiden Chefs sagt es selbst: „Wir sind erzkonservativ ausgerichtet“, und das heißt auch Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. „Das Wort gilt“, sagt Tsalkas, koste es, was es wolle. Explodieren die Beschaffungspreise oder fällt ein Lieferant überraschend aus, mögen sich andere mit irgendwelchen Ausreden aus einer Lieferzusage schummeln. Hüpeden liefert.
Verträge sind zu halten, diese Einstellung mögen auch die Geldgeber. „Die Banken schätzen unsere Beständigkeit“, sagt Wolf. Schon vor 100 Jahren war die Deutsche Bank international ausgerichtet, mit ihr ist Hüpeden seit dem Gründungsjahr eng verbunden. Die Bank begleitet alle Geschäfte rund um Import und Export, sichert Währungen, Zinsen, organisiert den globalen Zahlungsverkehr und kümmert sich um die Handelsdokumente. Mitunter braucht es auch mal eine ganz spezielle Finanzierungslösung, Hüpeden hat das immer bekommen. Exotische Handelsprodukte aus exotischen Ländern, das muss eine Bank verstehen. Maibaum wusste immer, dass das nicht selbstverständlich ist. Beim früheren Firmenkundenchef der Deutschen Bank hat er sich dafür schon vor Jahren bedankt. Ganz traditionell per Brief. Gerade ein Kaufmann weiß: Geschäftsleben besteht letztlich nicht aus Zahlen, sondern aus Beziehungen.
100 Jahre haben sie nun hinter sich, die Feier ist vorbei, der dritte Generationswechsel vollzogen. Wie geht es weiter? Vielleicht wird Hüpeden verstärkt mit Kooperationspartnern zusammenarbeiten (vgl. results 2_2017), vielleicht mehr Importwaren veredeln, so wie jetzt schon bei den Damaststoffen für Afrika, die Hüpeden in Auftragsfertigung weben und ausrüsten lässt. Nicht einfach nur Ware rein und Ware raus, sondern die gehandelten Produkte mit einem Zusatznutzen versehen.
Sicher ist: Auch ein Traditionsbetrieb verändert sich, genauso wie Handelswaren und Welthandel. 2015 haben sie in Schanghai für den Textilhandel eine eigene Niederlassung eröffnet. Der Ableger hat seitdem seinen Umsatz verdreifacht. Seit wenigen Jahren exportieren sie Wein, hochwertige Lebensmittel oder Sportbekleidung nach Asien, ein neues und ziemlich wachsendes Geschäftsfeld. Wie sagte der Senior? Man muss sich tummeln.
results. Das Unternehmer-Magazin der Deutschen Bank 3-2019