Bei Strategie und Wachstum geraten viele Familienunternehmen irgendwann an ihre Grenzen. Doch mit der Aufnahme von Private-Equity-Investoren geht es zügig weiter. Drei Beispiele zeigen, wie so etwas funktionieren kann
Text: Stephan Schlote
Eine Marktnische finden und belegen, das will jeder. Manchmal gibt es dafür einen ganz einfachen Weg: Dinge tun, die andere meiden. Zum Beispiel, wenn sich ein junger Facharzt auf die Arbeitsmedizin spezialisiert, ein bei seinen Kollegen ziemlich unbeliebtes Gebiet. Doch der Arzt erkennt mit Unternehmergeist frühzeitig das Potenzial dieser scheinbar unattraktiven Nische. Heute ist Roland Schermer Inhaber des größten Anbieters werksärztlicher Leistungen im boomenden Markt der Zeitarbeit. Und sein Werksarztzentrum Deutschland rüstet gerade auf und um für die Telemedizin, den nächsten großen Sprung nach vorn. Da kommt der Arzt per Bildschirm zum Arbeitnehmer.
Der Aufstieg des einstigen Facharztes zum Medizinunternehmer ist beispielhaft. Denn wie viele andere Wachstumsunternehmen kam der Arzt irgendwann an die natürlichen Grenzen von Eigenkapital und Finanzierung. Schermer brauchte einen Partner mit Finanzkraft. Den fand er im Herbst 2018 in der Münchner Beteiligungsgesellschaft Auctus Capital Partners. „Ohne unseren Private-Equity-Investor“, sagt der habilitierte Mediziner, „wären wir an die Decke gestoßen.“
Genau auf solche Situationen haben sich viele Investoren spezialisiert. Private Equity ist eine Ehe auf Zeit, meist verkauft der Investor nach etwa vier bis sieben Jahren seine Anteile und zahlt seine Geldgeber aus. Das funktioniert nur, wenn der Firmenwert beim sogenannten Exit deutlich höher liegt als zu Beginn. Der Plan: das Unternehmen in eine Flughöhe bringen, die es aus eigener Kraft niemals erreicht hätte. Damit haben die Investoren die gleichen Ziele wie die Altgesellschafter. Und zur Verwirklichung dieser Wachstumsziele bringen die neuen Gesellschafter Eigenkapital ein oder eben „viel finanzielle Firepower, Erfahrung und Kompetenz“, wie es der Corporate-Finance-Experte Marcus Stein von der Deutschen Bank formuliert.
Private Equity macht vor allem für Familienunternehmen Sinn, die eine klare Perspektive haben. Und bei denen Unternehmer und Management mit einer eigenen Beteiligung an Bord bleiben. Es ist eine Frage der Absprache. Medizinunternehmer Schermer etwa ist weiterhin mit 40 Prozent an der neuen Unternehmensform beteiligt. Der gerade begonnene Sprung in den noch wenig besetzten Markt der Telemedizin ist ein Transformationsprozess ins Digitale. Medizinische Fernbehandlung ist in anderen Ländern längst üblich, hierzulande aber erst seit 2018 erlaubt. Seitdem, so Schermer, werde ihm „die Bude eingerannt“. Arbeitnehmer und Arbeitsplätze per Computer oder Smartphone rund um die Uhr zu betreuen ist hoch gefragt, erfordert aber auch eine Menge Investitionen und IT-Kompetenz. Investor Auctus brachte praktischerweise beides mit. Schermer will zukaufen, expandieren in andere Länder Europas. Auch für solche Ideen hat der neue Partner ein paar Kontakte.
Ideen und Strategien sind Worte, die Investoren überzeugen. Etwa die Idee, aus einer Ausgründung des vormaligen Kombinats Carl Zeiss Jena eine ganze Unternehmensgruppe zu schaffen: Elevion Gruppe, heute einer der führenden mittelständischen Dienstleister in der mechanischen und elektrotechnischen Gebäudetechnik. Frühzeitig erkannte Lars Eberlein, dass das gemeinsam mit dem Vater geführte Unternehmen nur über Zukäufe in eine bundesweite Präsenz wachsen konnte. Mehr als 40 kleinere Unternehmen sind inzwischen unter das Dach der Elevion Gruppe gekommen, an über 50 nationalen und internationalen Standorten ist eine Tochtergesellschaft mit einer Niederlassung vor Ort. Eberlein kauft sensibel zu, je nach Fall behalten die Unternehmen ihre eingeführte Identität und den Namen. Die Frage nach seiner unternehmerischen Kernkompetenz beantwortet er mit „Firmen zukaufen“, er hat sogar eigene M&A-Experten unter Vertrag.
Auch für den Elevion-Investor Deutsche Private Equity (DPE), der 2011 mit 83 Prozent ins Unternehmen kam, war „Buy and Build“ die erklärte Strategie. Es sollte sich lohnen: Beim Einstieg lag der Umsatz bei 60 Millionen, beim Exit sieben Jahre später bei 350 Millionen Euro. Und noch immer liegen die Wachstumsraten weit im zweistelligen Bereich. Die Elevion Gruppe zählt zu den größten und erfolgreichsten Unternehmen der Branche, sie gilt inzwischen als regelrechter Hidden Champion.
Manchmal muss man komplett anders denken. Etwa wenn es darum geht, mit dem Unternehmen einen großen, neuen Schritt zu tun. Und gewohnte Formen der Finanzierung nicht mehr weitertragen. Oft handelt es sich dabei um Gelegenheiten, die einem nicht täglich vor die Füße fallen: etwa eine große Akquisition, eine neue Wachstumsstrategie, eine Neuordnung im Gesellschafterkreis zum Beispiel im Rahmen der Nachfolgeregelung eines Unternehmens oder die Entwicklung einer zusätzlichen Produktreihe. All das erfordert so hohe Mittel, dass eine klassische Fremdkapitalfinanzierung meist überfordert ist. Eine Lösung kann dann eine Stärkung der Eigenkapitalseite sein, etwa durch Aufnahme von Private-Equity-Investoren. Aber das ist nur eine von mehreren Optionen. Möglich ist eine Menge, bis hin zum Börsengang. Dafür braucht es zunächst mal eine Menge Diskussion über Vor- und Nachteile der verschiedenen Möglichkeiten, die Eigenkapitalseite zu stärken. Es erfordert mit allen Gesellschaftern einen offenen „strategischen Dialog“, wie es Marcus Stein nennt, Chef des Bereichs Equity Solutions der Deutschen Bank. Stein, der auch für die Betreuung der mittelständischen Finanzinvestoren zuständig ist, führt diesen Dialog. Und hilft anders denken.
Die Zukunft ärztlicher Beratung lässt sich derzeit schon in der Arbeitsmedizin und beim Arbeitsschutz erleben. So baut der Medizinprofessor Roland Schermer gerade sein von ihm gegründetes bundesweites Werksarztzentrum auf die nun auch in Deutschland mögliche Telemedizin um – die Sprechstunde wird ins Netz verlagert. Der große Schritt in die Digitalisierung erfordert auch eine große Finanzkraft. Und die bringt Schermers Private-Equity-Partner nun mal mit.
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Der Plan: die Unternehmen auf eine neue Flughöhe bringen
An wen aber verkauft eine Private-Equity-Gesellschaft ihre Anteile beim Exit? Etwa an einen sogenannten strategischen Investor, ein meist größeres Unternehmen, das in diesem Zukauf eine gute Ergänzung des eigenen Portfolios erkennt. Im Juli 2017 übernimmt der tschechische Energieversorger CEZ die DPE-Anteile, die Tochtergesellschaften der Gruppe ergänzen perfekt den Energiedienstleister. Und für Eberlein, der gemeinsam mit dem Management noch acht Prozent hält, bleibt das Geschäftsmodell unverändert: leistungsstarke mittelständische Unternehmen zusammenführen.
Auch andere haben den Aufstieg von Elevion angesehen und beurteilt. So erhielt Investor DPE für sein Engagement einen renommierten Preis, für die Investitionsphilosophie von DPE gab es außerdem eine Auszeichnung als „bester Wachstumsfinanzierer in Europa“. Eberlein: „Ich kann jedem nur raten, die Option Private Equity ausführlich zu prüfen. Meine Erfahrungen waren durchweg positiv.“
Von selbst zugefallen ist ihm das nicht. Zehn verschiedene Investoren hat er sich angesehen, Themen wie Schuldendienst, Branchenfokus und Track Record abgeklopft. „Viele Investoren sind finanzgetrieben“, warnt Hans-Peter Opitz, Geschäftsführer der Nürnberger GMC Instruments, der selbst durch einen solchen Suchprozess gegangen ist. Und daraus seine eigenen Erfahrungen gesammelt hat: Beim potenziellen Investor müsse etwa ein „echtes Interesse am Geschäft“ erkennbar sein, ein „wirkliches Verständnis“, so Unternehmer Opitz, und nicht nur „Zahlenschieberei“. Referenzen abfragen, genauso wie die Historie des Investors. Den Zuschlag bekam dann der Berliner Mittelstandsspezialist Capiton.
Auch dort weiß man, worauf Unternehmer auf Partnersuche achten sollten: die Verschuldung normalerweise auf maximal 50 Prozent des Kaufpreises begrenzen, den Schuldendienst so regeln, dass Luft für alle bleibt. „Menschen ansehen, nicht Zahlen“, rät Capiton-Mann Christoph Karbenk und empfiehlt, einen neutralen M&A-Berater zu suchen, der sich auskennt mit Branche und Unternehmenstyp. Es gibt Investoren mit Rechtssitz in Deutschland, in Europa oder gar an einem Offshore-Standort. Es gibt Investoren, die halten sich komplett raus, und es gibt andere, die denken und arbeiten mit, suchen Leute und potenzielle Zukäufe. Als ein regelrechtes „Backoffice mit Netzwerk“ erlebt etwa Medizinmann Schermer seinen neuen Partner Auctus.
Mit Volt und Ampere kennt sich Lars Eberlein, Gesellschafter des Elektro- und Gebäudetechnikers Elevion, naturgemäß gut aus. Womit er sich fast noch besser auskennt, ist der bundesweite Zukauf leistungsstarker mittelgroßer Elektrodienstleister seiner Branche. Eberlein hatte frühzeitig erkannt, dass es in seinem Geschäft nur über Wachstum nach vorn geht. Mit der Finanzkraft von Private Equity konnte er über die Jahre eine ganze Unternehmensgruppe aufbauen.
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Für alle gilt: Jedes gute Unternehmen, das nach möglichen Investoren sucht, steht in einer starken Position. „Private Equity sucht intensiv nach attraktiven Beteiligungen im Mittelstand“, sagt Deutsche Bank Experte Stein. Die Bewertungen sind hoch, die Nachfrage übersteigt das Angebot. Verglichen mit anderen Ländern hat der deutsche Transaktionsmarkt ohnehin Nachholpotenzial. Für gute Unternehmen somit ein echter Verkäufermarkt.
Mehrere Hundert verschiedene Private-Equity-Gesellschaften sind in Deutschland aktiv, im Detail unterscheiden sie sich stark nach Investmentphilosophie, Finanzkraft und Branchenfokus. Seit Jahren sinkt die durchschnittliche Transaktionsgröße, „und auch für kleinere Buy-outs gibt es Interessenten“, sagt Leif Knoch, Leiter Leveraged Finance für den Mittelstand bei der Deutschen Bank. Knoch: „Champions im deutschen Mittelstand, gern global ausgerichtet, aber das volle Potenzial nicht vollständig umgesetzt – das finden Investoren attraktiv.“
Manchmal gehen auch Champions zu Boden und haben doch noch eine Menge Kraft und Potenzial. So wie etwa bei der vormaligen Gossen Metrawatt. 2004 meldet der von Pensionszusagen überfrachtete Messgerätehersteller Insolvenz an. 470 Mitarbeiter sollten die Pensionen für 1800 Ruheständler erwirtschaften. Hans-Peter Opitz, selbst in einer benachbarten Branche tätig, beobachtet den Fall. Und weiß: „Im Unternehmen war noch eine Menge Leben drin.“ 2005 steigt er gemeinsam mit einem Geldgeber ein, Capiton übernimmt 70 Prozent, er selbst 30.
Mit seiner Einschätzung liegt Opitz richtig. Gemeinsam mit der auf den Mittelstand ausgerichteten Capiton wird restrukturiert und zugekauft. Zentraler Baustein: die Expansion in die USA und nach Großbritannien. 2011 geht Capiton planmäßig raus, Opitz stockt seine Anteile an der neu gegründeten GMC Instruments auf 80 Prozent auf, der Mittelstandsfonds M Cap Finance übernimmt den Rest. Opitz kauft weiter zu, baut auf und aus und schafft 2015 erstmals 100 Millionen Euro Umsatz. 2018 übernimmt er die restlichen 20 Prozent am Unternehmen und hat damit ein kleines Meisterwerk vollbracht: Er ist heute mithilfe von Private Equity, „einer immer treuen Deutschen Bank“ und zusätzlichem Mezzanin-Kapital alleiniger Gesellschafter. Das schaffen nur wenige. So was braucht Disziplin: „Wir haben nie was entnommen“, sagt Opitz heute, „der Gewinn wurde stets reinvestiert oder zur Schuldentilgung verwendet."
Die Empfehlung: „Menschen ansehen, nicht Zahlen“
Manchmal muss man nur die Chance sehen. So wie Hans-Peter Opitz, der das Potenzial eines insolventen Messgeräteproduzenten erkennt und auch andere Investoren überzeugen kann. Gemeinsam mit einem Private-Equity-Partner übernimmt Opitz die vormalige Gossen Metrawatt. Geld ist jetzt da, und über weitere Zukäufe vor allem in den USA und Großbritannien baut Opitz das Unternehmen global aus. Der Clou: Über die Jahre kann Opitz seine Partner auszahlen, heute hält er alle Anteile selbst.
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Die Bank prüft vorab das Risiko-Chancen-Verhältnis
Doch wozu überhaupt Private Equity? Sollte all das nicht auch eine Bank leisten als Finanzpartner des Mittelstands? Marcus Stein von der Deutschen Bank muss immer mal wieder solche Fragen beantworten und führt viele Gespräche über die richtige Wahl der Mittel. Bei Sprunginvestitionen wie etwa Akquisitionen sind neue Wege gefragt – oder bei einem Verkauf im Zusammenhang der Unternehmensnachfolge, bei der der Investor das unternehmerische Risiko übernimmt. Die Bank bleibt dennoch immer dabei, etwa durch die Mitfinanzierung des Kaufpreises. Mehr noch: „Die Bank prüft vorab das Risiko-Chancen-Verhältnis“, sagt Leveraged-Finance-Mann Knoch. Sie berechnet die Tragfähigkeit des Schuldendienstes und hinterfragt, ob der Investor auch wirklich ausreichend Kapital bereitstellt. „Wir vermitteln und beraten bei der Auswahl des richtigen Investors“, sagt Stein, der nicht nur wie ein M&A-Berater agiert, sondern das selbst auch lange Jahre war. Meist kennt er Käufer und Verkäufer zugleich. Diese Marktkenntnis kommt an: „Die Deutsche Bank hat uns von Anfang an begleitet“, berichtet etwa der Unternehmer Hans-Peter Opitz von GMC Instruments. Und: „Ohne die Deutsche Bank hätten wir das alles nicht gestemmt.
“Aber gab es da nicht mal das so plakative Schlagwort von den „Heuschrecken“? Die weiterziehen, wenn sie die Unternehmen kahl gefressen haben? Die Diskussion ist längst deutlich abgeflacht. Doch wer nicht etwas aufpasst, wem alles egal ist oder wer einfach nur meistbietend verkaufen will, der kann immer noch an solche zumeist angelsächsisch geprägte Investoren geraten. Die Regel ist das nicht, Private Equity ist im Mittelstand längst akzeptiert: „Die Heuschrecken-Diskussion ist völlig verkehrt“, sagt etwa der Werksarzt Roland Schermer. „Ohne die Hilfe von Capiton“, ergänzt GMC-Chef Opitz, „hätte uns ein Wettbewerber aus dem Ausland gekauft. Und unseren Standort einfach dichtgemacht.“ So sieht das auch Lars Eberlein von der Elevion Gruppe: „Ohne die DPE gäbe es die Gruppe im heutigen Format nicht.
“So ist das oft gehörte „Buy and Build“ kein Werbespruch, sondern eine von mehreren möglichen Investmentstrategien der Branche. Meist bedeutet das für den Unternehmer, sich von der Anteilsmehrheit zu trennen. Macht doch nichts, sagt Roland Schermer: „Mein Unternehmen wächst, der Kuchen wird für alle größer.“ Nur müsse man eben „das eigene Ego zügeln“, so Schermer, und „die Größe zum Teilen haben“, wie Lars Eberlein das nennt. Aber über diese Eigenschaft sollte man sowieso verfügen, als Mensch und Unternehmer.
results. Das Unternehmer-Magazin der Deutschen Bank 3-2019