Die Digitalisierung des Geldes schreitet voran. Obwohl sich die meisten Initiativen auf den Interbankenmarkt fokussieren, werden nun auch die Vorteile für Treasurer sichtbarer – ein Überblick.
Zwei Ankündigungen haben kürzlich aufhorchen lassen: Anfang Oktober hat die Börse Stuttgart eine Reihe von Transaktionen mit tokenisierten Wertpapieren erprobt. Dazu gehörten Anleihen, Fonds und eine Aktie. Der Schwerpunkt der Tests lag auf der Interoperabilität von Blockchain und Zentralbankgeld: Die Börse Stuttgart konnte zeigen, dass diese Kombination Abwicklungsprozesse innerhalb weniger Minuten, vollautomatisiert und direkt zwischen den Handelsteilnehmern ermöglicht – sicher und ohne Kontrahentenrisiko. Sechs Banken waren an der Transaktion beteiligt, darunter auch die Deutsche Bank.
Kurz zuvor – Anfang September – hatte der Industriekonzern Siemens seine zweite digitale Anleihe emittiert. Das ein Jahr laufende Papier im Volumen von 300 Millionen Euro wurde über die private Blockchain-Infrastruktur Swiat abgewickelt. Wie die Börse Stuttgart nutzte auch Siemens eine von der Bundesbank entwickelte Trigger-Lösung, die es ermöglicht, die Blockchain mit dem traditionellen Zahlungssystem Target2 (T2) zu verknüpfen. Dadurch konnte der Konzern erstmal eine Blockchain-basierte Anleihe innerhalb weniger Minuten vollständig automatisch in Zentralbankgeld abwickeln.
Diese zwei Beispiele zeigen deutlich: Die Digitalisierung des Geldes nimmt an Fahrt auf, die Arbeiten an einer Central Bank Digital Currency (CBDC) laufen. Zwar wird der auf Verbraucher zugeschnittene digitale Zentralbank-Euro bzw. die Retail CBDC für Treasurer kaum relevant sein, da die EZB für Unternehmen ein Haltelimit von null Euro plant. Sollten Privatpersonen, die den Digitalen Euro in einem gewissen Umfang halten dürfen, also künftig zum Beispiel beim Online-Shopping in einer CBDC bezahlen, müsste der jeweilige Zahlungsdienstleister diese sofort auf reguläre Konten bei Geschäftsbanken überführen. Die CBDC könnte von der Treasury-Abteilung daher nicht für Zahlungen eingesetzt werden.
Anders sieht es dagegen bei einer digitalen Wholesale CBDC aus, die Transaktionen im Interbankenmarkt effizienter machen soll. Seit die EZB im Mai dieses Jahres ein in zwei Phasen geteiltes Projekt zur Einführung einer solchen Wholesale CBDC gestartet hat, lohnt es sich auch für Treasurer, genau hinzuschauen – und die Chancen für effiziente Kapitalmarkttransaktionen, Zahlungsverkehr und das Liquiditätsmanagement abzuwägen.
Die Europäische Zentralbank untersucht derzeit drei verschiedene Ansätze, um Blockchain-basiertes Zentralbankgeld für den Interbankenmarkt bereitzustellen. Zwei davon befassen sich mit sogenannten Trigger-Lösungen, die bestehende Zahlungssysteme – wie Target2 und das Instant Payment Settlement System (TIPS) – mit Blockchains verbinden. Sie werden von der Bundesbank und der Banca d’Italia vorangetrieben. Ein drittes Projekt ermöglicht es Marktteilnehmern, die Blockchains ihrer Wahl, die sie etwa für Anleiheemissionen und -handel nutzen, mit der Blockchain der Banque de France zu verbinden. Auf dieser Blockchain wird Zentralbankgeld direkt als Wholesale-CBDC-Token ausgegeben.
Die Hoffnung: Die Projekte könnten die Abwicklungseffizienz bei Kapitalmarkttransaktionen verbessern, da sie das physische Settlement von Urkunden obsolet machen und den gleichzeitigen Austausch von Wertpapieren und Zentralbankgeld zwischen zwei Parteien ermöglichen (Delivery-versus-Payment, DvP) – siehe Börse Stuttgart. Während der größere Effizienzhebel im Interbankenbereich liegt, könnten auch Unternehmen bei ihren Anleihetransaktionen von kürzeren Emissionszeiten und geringeren Kosten profitieren – wie das Beispiel Siemens zeigt.
Aber auch im Zahlungsverkehr ergeben sich neue Möglichkeiten. Durch den Einsatz von tokenisierten Einlagen – traditionellen Bankeinlagen, die als digitale Token dargestellt werden – lässt sich Geld über Buch-zu-Buch Transfers zwischen Konten derselben Bank bewegen. Die Blockchain-Technologie unterliegt nicht den Beschränkungen etablierter Zahlungssysteme, wie etwa Cut-off-Zeiten, die eine 24/7-Verfügbarkeit verhindern. Ein weiterer Vorteil: Blockchain-Infrastrukturen erlauben die Programmierung von Zahlungen mit Hilfe von Smart Contracts – so dass Treasurer Zahlungen oder das Cash Pooling mit vordefinierten Auslösern automatisieren könnten.
Allerdings sind 24/7-Zahlungsprozesse sowie Programmierbarkeitsfunktionen kein Alleinstellungsmerkmal der Blockchain-Technologie. Das Rennen ist noch offen, ob Banken wirklich in der Breite auf Blockchain-basierte Zahlungsinfrastrukturen setzen oder sich Cloud- und API-basierte Systeme in Verbindung mit Echtzeitzahlungen durchsetzen. Diese Möglichkeit besteht sowohl im lokalen als auch im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr und über die Grenzen einzelner Bank-Ökosysteme hinweg.
Schließlich gibt es bei bankzentrierten Blockchain-Systemen einen wesentlichen Nachteil: Das Geld kann das Netzwerk der Bank nicht ohne traditionelle Zahlungs- und Abwicklungsschienen verlassen. Diese Systeme müssten daher in irgendeiner Form mit Zentralbankgeld verbunden sein. Dies könnte entweder über Trigger-Lösungen oder tokenisiertes Zentralbankgeld erfolgen – und hier schließt sich der Kreis zu den Wholesale-CBDC-Projekten: Wenn sich die EZB zur Einführung einer solchen CBDC entscheidet, entstehen auch für Treasurer neue Möglichkeiten.
Diesem Zusammenspiel aus tokenisierten Einlagen und Wholesale CBDC widmet sich auch das kürzlich gestartete Projekt Agorá der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), an dem sieben Zentralbanken und 43 privatwirtschaftliche Institute teilnehmen – darunter auch die Deutsche Bank. Das Projekt gilt als das bisher ambitionierteste, das die Anwendung der Blockchain im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr unter der Berücksichtigung der bestehenden Rollenverteilung aus Geschäftsbanken und Zentralbanken verprobt.
Christof Hofmann ist Global Head of Corporate Cash Management bei der Deutschen Bank.