27. Mai 2020
(Fast) ganz Deutschland hat sich in den Wochen des Shutdowns digitalisiert. Aber mit den Lockerungen kehren viele Unternehmen zu ihren alten Gewohnheiten zurück. Das ist in den meisten Fällen ein Fehler.
Arbeitsalltag in Corona-Zeiten – und darüber hinaus? Homeoffice und Webkonferenz
Gerade einmal 8 bis 10 Prozent des bisherigen Umsatzes erzielte er während des Shutdowns durch Online-Bestellungen, klagt der Systemgastronom. Einzelhändler und Eventveranstalter stoßen ins gleiche Horn. Und kaum sind die ersten Lockerungen in Kraft getreten, beordern viele Chefs ihre Mitarbeiter wieder zurück ins Büro. War es das schon wieder mit der großen digitalen Aufholjagd in Deutschland?
Es war ein bemerkenswerter Schub. Im März nutzten 70 Prozent mehr Menschen Microsoft Teams als noch im Monat davor. Die Videokonferenz-Plattform Zoom vermeldete im April eine Verdreifachung der Downloads gegenüber dem Vormonat. Bislang skeptische Führungskräfte haben festgestellt, dass trotz ruckelndem Bild die digitale Kommunikation mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten gut funktioniert und einfach umzusetzen ist. Vor der Krise rein stationäre Händler haben in wenigen Wochen einen neuen digitalen Vertriebskanal zu Bestands- und sogar Neukunden erschlossen.
Wer jetzt so weitermachen will wie vor der Krise, verkennt die Dynamik in den Märkten.
Doch auch wenn erste Investitionen in digitale Arbeitsprozesse und Geschäftsmodelle jetzt zwangsweise getätigt sind, halten viele Unternehmen am Altbewährten fest. Die Begegnung vor Ort, das Gespräch von Angesicht zu Angesicht, das gemeinsame Essen im Restaurant sind nicht zu ersetzen. Gleiches gilt für den Austausch in der Kaffeeküche, die Team-Besprechung.
Denn: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass dieser Ansatz für ihr Unternehmen erfolgreich war. Und nach dem Ende der Zwangsschließungen gelten die Vorbehalte gegen sie auch wieder. Doch das ist in vielen Fällen gleich doppelt falsch.
Hier finden Sie Antworten auf die zentralen wirtschaftlichen Fragen rund um die Corona-Pandemie. Von Fördermaßnahmen bis zu aktuellen Unternehmerthemen.
Wer jetzt so weitermachen will wie vor der Krise, verkennt die Dynamik in den Märkten. Es liegt nahe, den greifbaren Status Quo überzubewerten im Vergleich zu den nur abzuschätzenden Prognosen für die Zukunft. Doch die Verlagerung ins Digitale wird fortschreiten. Wahrscheinlich schneller als vor der Krise:
Vielfach fällt die Entscheidung gegen eine digitale Transformation, weil die Fülle der Vorteile und Möglichkeiten des Digitalen nicht erkannt wird. Daran haben Homeoffice und Webshop vielleicht auch deshalb so wenig geändert, weil auch diese beiden Felder nur einen kleinen Teil der Digitalisierung ausmachen. Die digitale Transformation ist viel mehr, die Chancen sind viel größer. Nur zwei Beispiele:
Das gilt auch für den Unternehmer, der mit seinem Webshop kleine Erfolge erzielt hat und diese Kunden auch in Zukunft halten möchte. Oder für das Unternehmen, das auch künftig mit Webcasts und Webinaren kostengünstiger mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten kommuniziert.
Ein digitales Kundengespräch oder die Vertragsverhandlung per Webkonferenz haben ihre eigenen Spielregeln, die nicht jeder leicht erlernt. Der etablierte E-Commerce-Anbieter ist bei den Themen SEO-Strategie zur Suchmaschinenoptimierung, Usability, Customer-Journey-Analyse, digitalem Payment und Logistiknetz einfach deutlich weiter.
Hier zeigt sich schon, warum eine Webshop-Lösung allein nur wenig hilft. Wer online erfolgreich verkaufen will, sollte unterschiedliche Unternehmensbereiche miteinander verzahnen: So kann der Online-Shop automatisiert Rabatte für Restanten vorschlagen, wenn das Lager geleert werden muss. Erfolgreiche Produkte können schneller nachbestellt werden, um die Lieferzeiten zu verkürzen. Die Kundenhistorie und die Bonität, die die Finanzabteilung ins System einspeisen kann, erlauben angemessene Zahlungskonditionen. Die Wahl der Payment-Lösung nimmt Einfluss auf das Cash-Management des Unternehmens und automatische Produktempfehlungen oder Paket-Angebote erleichtern das Upselling.
Homeoffice und Online-Vertrieb sind eine Voraussetzung, aber längst nicht der Abschluss der digitalen Transformation.
Deutlich wird an diesem Beispiel: Digitalisierung erfordert Zeit und Geld. Wer digital erfolgreicher sein will, kommt um Investitionen nicht herum:
Hinzu kommt die Herausforderung, dass anders als beim Start-up das etablierte Geschäft und die Digitalaktivitäten parallel und verzahnt vorangetrieben werden. Gerade in kleinen Unternehmen stellt die Gleichzeitigkeit – das traditionelle Geschäft zu managen und zugleich ganz neue Strukturen zu entwickeln – eine große Herausforderung dar. Die Verzahnung ist eine Aufgabe für das Top-Management.
Nicht für jedes Unternehmen werden sich diese Investitionen (kurzfristig) rechnen. Doch den digitalen Schub nicht zu nutzen könnte noch viel teurer werden. Es sind nicht nur die Konkurrenten, die mit einer Professionalisierung ihrer digitalen Infrastruktur und ihrer Geschäftsmodelle Marktanteile verschieben können, weil sie neue Kunden hinzugewinnen. Auch Finanziers und Investoren schauen zunehmend kritisch auf die Digitalkompetenz von Unternehmen.
Investoren schauen inzwischen sehr genau, wer seine digitalen Hausaufgaben gemacht hat.
Im Umkehrschluss heißt das: Wer zeigt, dass er digitaler Treiber und nicht Getriebener ist, für den sinken die Finanzierungskosten. Auch Banker wissen die Vorteile eines zeitgemäßen Reportings und digitaler Kommunikation zu schätzen. Sie selbst haben in den vergangenen Jahren ihre Systeme umgestellt, sodass der digitale Austausch für beide Seiten sehr viel komfortabler werden kann. Und nicht zuletzt schauen Investoren inzwischen sehr genau, wer seine digitalen Hausaufgaben gemacht hat: Ganz unabhängig von Umsatz und EBIT werden für diese Unternehmen höhere Bewertungen gezahlt.
Homeoffice und Online-Vertrieb sind eine Voraussetzung, aber längst nicht der Abschluss der digitalen Transformation. Wer den digitalen Schub durch die Corona-Krise nicht nutzt und ausbaut, wird das in Zukunft kaum noch aufholen können.
Unter dem Projektnamen „6 feet office“ hat der Immobiliendienstleister Cushman & Wakefield ein Konzept für Büroarbeit in der Corona-Zeit entwickelt. Dies soll eine möglichst „normale“ Büroarbeit ermöglichen, ohne die Ansteckungsrisiken zu erhöhen. Das Konzept sieht unter anderem vor:
Durch die Abstandsregeln wird natürlich eine größere Fläche je Arbeitsplatz benötigt – ein Grund mehr, die Möglichkeiten des Homeoffice weiter zu nutzen und auszubauen.