„Wer innovativ sein will, muss die tägliche Routine hinter sich lassen und raus aus der Komfortzone“, sagt Tavernier. In Hamburg ist er für ein 30-köpfiges Team verantwortlich – darunter Ingenieure oder Experten für Beschaffung und das operative Geschäft vor Ort. Ziel ist, im gesamten Unternehmen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, Probleme zu erkennen und daran zu arbeiten – und dabei über die eigene Tätigkeit hinauszuschauen. „Nicht alle Mitarbeiter waren daran gewöhnt“, erinnert sich Tavernier. „Als wir vor zwei Jahren unsere Innovationsworkshops gestartet haben, waren sie in den ersten Tagen oft etwas verwirrt.“ Die Maßgabe „Mach dir dein Problem zu eigen“ erläutert der Oiltanking-Manager: Schon nach kurzer Zeit würden es die Kollegen sehr schätzen, auch über ihre tägliche Arbeit hinaus beteiligt zu werden. „Jeder mag gerne mal über den Tellerrand schauen – das gibt positive Energie.“
Tavernier ist überzeugt: „Jeder Mitarbeiter hat täglich gute Ideen, die uns voranbringen können. Es geht vor allem um Methoden, diese Ideen auf konkrete Probleme herunterzubrechen und Wege für die Umsetzung zu finden.“ Bei den Digitaltrainings für die Beschäftigten hat Oiltanking mit Beratern von Tools of Innovators zusammengearbeitet. „Sie haben uns dabei unterstützt zu definieren, wie wir Innovation überhaupt erreichen wollen, und die richtige Denkweise zu finden“, sagt Tavernier.
Digitalisierung sei mehr als eine Frage der Technik, betont TOI-Experte Leitl. „Das Topmanagement muss sich bewusst sein, dass Digitalisierungsprojekte das Unternehmen verändern.“ Sie entwickeln sich häufig zu umfangreichen Innovationsprojekten, für die meist zunächst die Grundlagen geschaffen werden müssen. Zum Einstieg rät er zu definieren, was mit digitaler Innovation erreicht werden soll. Nur Verbesserungen bestehender Prozesse und Produkte? Oder das Entwickeln neuer Geschäftsfelder? Ist das geklärt, sollte geprüft werden, ob die vorhandene Innovationskultur zu den Zielen passt – und ob die nötigen Prozesse und Fähigkeiten existieren. Dazu gehören zum Beispiel agile Methoden, um Prototypen zu entwickeln und am Kunden zu testen. Manchmal, so Leitl, kämen Unternehmen dann zu der Erkenntnis, dass zunächst die internen Widerstände überwunden werden müssen.
Integrieren über Silogrenzen hinweg
Es sei wichtig, „die Digitalisierung nicht nur technisch zu betrachten“, bestätigt Hamedo Ayadi, Vorstand der Frankfurter Beratung Intelligent Data Analytics (iDA): „Die wichtigste Frage bei der digitalen Transformation ist: Wie verändert man die Menschen?“ Um die Belegschaft fit zu machen für die neue Arbeitswelt, sei es nötig, sie „abzuholen und zu begleiten“. „Viele Unternehmen holen nur Externe rein und lassen die Mitarbeiter außen vor. Die Botschaft ist dann: Ihr versteht das nicht.“ Genau das Gegenteil sei nötig – auch im Zusammenspiel mit Beratern: „Man muss die Belegschaft fragen: Was braucht ihr? Man muss ihre Fähigkeiten entwickeln, damit Know-how im Haus bleibt.“
Ein Schwerpunkt von Ayadis Beratung ist, voneinander getrennte IT-Anwendungen zu verbinden, die etwa in der Logistik, im Marketing oder im Vertrieb genutzt werden. „Wir integrieren siloübergreifend“, erläutert Ayadi – also über einzelne Abteilungen hinweg. Denn ein Ziel der Digitalisierung lautet, in Unternehmen eine einheitliche Datenwelt zu schaffen. Die Informationen sollen vielfältig genutzt werden, etwa um interne Abläufe zu verbessern. Aber auch, um Kunden besser anzusprechen oder Transporte minutiös zu überwachen.
Ein mühsames Unterfangen. „Bei den Datenstrukturen, den Formaten fehlen Standardisierungen“, sagt Ayadi. „Da sind wir weit vom Ideal der Digitalisierung entfernt.“ Stand heute sei zum Beispiel, dass Mitarbeiter Daten aus verschiedenen Anwendungen herausziehen, um sie wieder in neue Anwendungen zu packen – vom SAP-Programm ins Excel-Dokument. „Da passieren die ganzen Fehler“, sagt Ayadi. iDA habe eine Plattform entwickelt, die solche Stammdaten passend aufbereitet. Erst auf dieser Basis können lernende Maschinen Wirklichkeit werden, und künstliche Intelligenz kann zum Einsatz kommen.
Auch die iDA-Experten gehen wohldosiert vor. „Oft reduzieren wir auf einen Anwendungsfall“, sagt Ayadi. „Wir überlegen, wie wir eine Anforderung technisch umsetzen können und machen dem Kunden einen Vorschlag.“ Ist der einverstanden, wird ein Prototyp entwickelt – in der Regel binnen drei, vier Wochen. „Wir bekommen die Daten und versuchen, damit in die Zukunft zu schauen“, erläutert Ayadi. „Da kann es um die Optimierung der Produktion oder von Prozessen gehen.“ Dazu habe iDA eine Standardsoftware entwickelt, die die Einstiegshürden senken soll. „Wir wollen nicht, dass ein Mittelständler sofort viel Geld ausgeben muss – ohne zu wissen, was am Ende herauskommt“, sagt Ayadi.
Nicht Ventile, sondern deren Leistung bezahlen
Die Einstiegshürden schon hinter sich gelassen hat der Frankfurter Mittelständler SAMSON. Ventile etwa für Industrieanlagen sind das Kerngeschäft des Spezialisten für Mess- und Regeltechnik. „Die Digitalisierung des eigentlichen Produkts hat bereits vor Jahrzehnten begonnen“, sagt Guido König, Senior Business Integration Manager. Inzwischen sei der Anspruch höher – die digitale Transformation des gesamten Geschäftsmodells auch mit Blick auf die Kunden steht an. „In diese Richtung bewegen wir uns seit gut zwei Jahren“, so König. Der nachweisbare Nutzen zählt. „Daten an sich bringen noch keinen Mehrwert, das Ganze ist kein Selbstzweck, sondern muss sich irgendwo niederschlagen, für unsere Kunden, aber auch für uns selbst.“