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Individuelle Gesundheitsleistungen, kurz IGeL – unter diesem Begriff bieten Praxen ihren Patientinnen und Patienten seit 1998 Privatleistungen an, die die Krankenkasse nicht übernimmt. In vielen Praxen machen die IGeL seitdem einen erheblichen Teil der Einnahmen aus. Eine Milliarde Euro sind es aktuell jährlich, so die Berechnungen des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO).

25 Jahre Streit ums „faire IGeLn“

Die 25-jährige Geschichte der Selbstzahlerleistungen ist aber auch eine Geschichte des Streits um das faire „IGeLn“ und darüber, was diese Leistungen wirklich taugen, die die Niedergelassenen den Patientinnen und Patienten über die Diagnose- und Therapiemethoden des GKV-Katalogs hinaus anbieten. Der Deutsche Ärztetag hat bereits 2006 Kriterien für seriöses „IGeLn“ festgelegt.

Dazu gehören Leistungen, die nicht Bestandteil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen sind: zum Beispiel sportmedizinische Gutachten, Reiseimpfungen oder auch die dermatologische Behandlung bei Haarausfall. Es ist die Entscheidung von Patientinnen und Patienten, diese Leistungen nachzufragen.

Wie wichtig ist ein Screening ohne Verdacht?

Immer wieder aber wird darüber gestritten, welchen Nutzen angebotene Leistungen für Patientinnen und Patienten tatsächlich haben, etwa Augeninnendruckmessungen ohne konkreten Verdacht auf ein Glaukom oder auch das Angebot eines PSA-Tests zur Erkennung eines gesteigerten Risikos auf Prostata-Ca.

Top-Ten-IGeL kommen schlecht weg

Seit 2012 prüft der IGeL-Monitor die Angebote, der vom Medizinischen Dienst Bund betrieben wird, dem Rechtsnachfolger des Medizinischen Diensts des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (MDS). Man arbeite mit vielen externen Sachverständigen zusammen, um faire Urteile zu fällen, so die Initiatorinnen und Initiatoren des IGeL-Monitors. Der IGeL-Monitor ordnet die Leistungen in fünf Qualitätsstufen: „positiv“, „tendenziell positiv“, „unklar“, „tendenziell negativ“ und „negativ“.

Dabei kommen die Top Ten der IGeL in Praxen laut IGeL-Report 2020 schlecht weg. Diese sind:

Unter den 55 IGeL, die der Monitor bisher beurteilt hat, schlossen nur zwei mit dem Urteil „tendenziell positiv“ ab. Wer also unter den Niedergelassenen „IGeLt“, tut dies in der Regel gegen die Qualitätsurteile des IGeL-Monitors.

Zweifel an den Bewertungen des MDS

Allerdings wecken die Qualitätsurteile auch Zweifel. Denn würde der IGeL-Monitor etwa Leistungen als positiv bewerten, die nicht von der GKV bezahlt werden? Müssten diese Leistungen nicht allein schon aus dieser positiven Bewertung heraus zur Kassenleistung werden?

Nicht nur an dieser Stelle gibt es Zweifel in der „IGeLnden“ Ärzteschaft. Ärztinnen und Ärzte argumentieren auch damit, dass manche Leistungen von der IGeL-Liste, auf der sie jahrelang standen, schließlich doch in den GKV-Leistungskatalog gerutscht sind. So geschehen zum Beispiel mit dem immunologischen Stuhltest zur Früherkennung von Darmkrebs. Der iFOBT ist allerdings nie vom IGeL-Monitor beurteilt worden.

Einige Ärztinnen und Ärzte zweifeln auch die Methodik und die Auswahl des Monitors generell an.

„Ohne Wunschleistungen keine GKV-Sprechstunde“

Wer sich nicht auf das Urteil des IGeL-Monitors verlassen möchte, dem bleibt natürlich das eigene ärztliche Ermessen, um zu beurteilen, wie nützlich eine Wunschleistung tatsächlich für Patientinnen und Patienten ist.

Hautarzt Dr. Ralph von Kiedrowski aus Selters im Westerwald beispielsweise hat Leistungen ausgewählt, die er nach seinem ärztlichen Ermessen als IGeL-Angebot vertreten kann. Kiedrowski, der auch Vorsitzender des Berufsverbands der Deutschen Dermatologen (BVDD) ist, bietet rund 20 verschiedene Wunschleistungen an. Wer wie von Kiedrowski für seine Praxis geeignete Leistungen auswählt und den Patientinnen und Patienten anbietet, hat es meist leichter, diese Leistungen auch der Patientenschaft gegenüber zu vertreten.

Für viele Niedergelassene sind die Erlöse aus den Wunschleistungen trotz aller Kritik mehr als ein Zubrot. „Hätte man als Praxischefin oder -chef nur GKV-Patientinnen und Patienten und keine Patienten mit Wunschleistungen, hätte man nicht nur zu wenig Honorar, sondern könnte – auch wegen der steigenden Energie- und Gesamtkosten – gar keine Sprechstunde mehr aufrechterhalten“, sagt Dr. Ralph von Kiedrowski.

Dermatologen mit dem höchsten Privatanteil

Allerdings dürften die Hautärztinnen und -ärzte mit einem extrem hohen Privatanteil von fast 55 Prozent an den Praxisumsätzen eher eine Ausnahme sein, vor allem jene, die viele, relativ teure kosmetische IGeL erbringen.

Nach den jüngsten statistischen Zahlen lagen die Dermatologinnen und Dermatologen mit einem Privatanteil von 54,7 Prozent deutlich vor allen anderen Fachgruppen.

Zum Vergleich: Die Urologinnen und Urologen verzeichneten im selben Zeitraum einen Privatanteil bei den Einnahmen von 37,9 Prozent, die Pädiaterinnen und Pädiater von 15,3 Prozent und die Hausärztinnen und Hausärzte von 11,9 Prozent im Jahr 2019.

Und noch etwas kommt dazu: „Wer „IGeLt“ will, muss auch über Geld reden können“, so Dr. Wolfgang Grebe, Sportmediziner und Internist in Frankenberg und ein IGeL-Veteran der ersten Stunde. Laut Grebe tun sich viele seiner Kolleginnen und Kollegen aber schwer damit, den Patientinnen und Patienten Privatleistungen anzubieten.

Seriöse Informationen, transparente Regeln

Unterstützung beim „IGeLn“ bekamen Ärztinnen und Ärzte bereits vor einiger Zeit auch von ihren Körperschaften mit dem gemeinsamen Ratgeber „Selbst zahlen?“ für Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten, herausgegeben von der Bundesärztekammer (BÄK) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Der Ratgeber soll seriöse Informationen zum richtigen Umgang mit dem „IGeLn“ geben.

Bleibt die Frage, ob IGeLnde Ärztinnen und Ärzte in den Wochenstunden, die sie für ihre GKV-Patientinnen und Patienten reservieren, das Massengeschäft noch erledigen können. „Grundsätzlich nein“, kommentiert der Hautarzt Kiedrowski diesen Punkt. „Niemand bekommt in 25 Stunden den Ansturm von GKV-Patientinnen und Patienten geregelt. Das Ergebnis sind lange Wartezeiten.“

Individuelle Gesundheitsleistungen

  • Definition der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV): Individuelle Gesundheitsleistungen sind solche ärztlichen Leistungen, die nicht zum Leistungsumfang der GKV gehören, die dennoch von Patientinnen und Patienten nachgefragt werden und die ärztlich empfehlenswert oder – je nach Intensität des Patientenwunschs – zumindest ärztlich vertretbar sind.
  • Offizieller Start: 1998.
  • Begründung der KBV: Die 1990er-Jahre waren geprägt vom Punktwertverfall in der Kassenmedizin. Dennoch: „Ärztinnen und Ärzte erbrachten immer wieder Leistungen auf Chipkarte, die nicht zum GKV-Leistungskatalog gehörten und die sie deshalb auch nicht von den Kassen vergütet bekamen“, erinnert sich der damalige stellvertretende Hauptgeschäftsführer der KBV Dr. Lothar Krimmel, der als „IGeL-Erfinder“ gilt. Daher wollte die KBV Ärztinnen und Ärzte ermutigen, Leistungen, die nicht im GKV-Katalog stehen, privat abzurechnen.
  • Die KBV legte, nachdem zunächst 20 Leistungen mit der GKV als IGeL abgesprochen waren, später ohne Vereinbarung mit der GKV eine erste Liste von 80 Leistungen vor, die Ärztinnen und Ärzte bei Kassenpatientinnen und -patienten privat abrechnen konnten.
  • Eine Positivliste von Wunschleistungen ist daraus nicht entstanden. Die Anzahl von IGeL auf dem Gesundheitsmarkt ist inzwischen auf über 1.000 gewachsen.
  • Nach und nach entstanden IGeL-Kompendien und Abrechnungshilfen in Buchform, beispielsweise „MEGO- Gebührenverzeichnis für Individuelle Gesundheitsleistungen“.
  • Die Abrechnung von IGeL erfolgt über die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Bei neuen Leistungen kann eine Analogbewertung genutzt werden.
  • Nach den Recherchen des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO), das dieses Thema zuletzt 2019 untersucht hat, wurden ca. 15 Millionen IGeL im Jahr von Praxen erbracht. Patientinnen und Patienten zahlten demnach im Durchschnitt 67 Euro je Leistung.

Zehn Punkte für seriöses „IGeLn“

Der Ärztetag in Magdeburg hat 2006 zehn Punkte beschlossen, die für seriöses „IGeLn“ selbstverständlich sein sollten – eine Richtschnur für den Praxisalltag bis heute.

  1. Sachliche Informationen über IGeL sind zulässig, Werbung ist es nicht.
  2. Zulässige Leistungen: Das Angebot muss sich beziehen auf notwendige oder ärztlich empfehlenswerte Leistungen. Es darf sich nicht um gewerbliche Dienstleistungen handeln.
  3. Korrekte und transparente Indikationsstellung erforderlich.
  4. Seriöse Beratung, die Patientinnen und Patienten nicht verängstigt oder verunsichert, sondern sachlich informiert und erklärt.
  5. Aufklärung: Sie erfolgt nach denselben Regeln wie ärztliche Aufklärung bei Kassenleistungen.
  6. Angemessene Bedenkzeit und Recht auf Zweitmeinung.
  7. Schriftlicher Behandlungsvertrag, vorgeschrieben durch den Bundesmantelvertrag – Ärzte, sollte Leistungen konkretisieren, die private Honorierung herausstellen und die voraussichtliche Höhe der Vergütung nennen.
  8. Keine Koppelung mit anderen Behandlungen.
  9. Einhaltung der eigenen Fachgebietsgrenzen und der Qualitätsanforderungen.
  10. GOÄ-Liquidation: Pauschalbeträge sind unzulässig, die Abrechnung erfolgt nach GOÄ. Die Rechnung muss wie jede Privatrechnung nachvollziehbar sein.

Wann lohnt sich eine Geräte-IGeL?

Die Anschaffung eines Medizingeräts ist nicht nur eine Frage des medizinischen Spektrums einer Praxis, sondern es geht natürlich auch darum, ob sich das Gerät amortisiert. Das gilt für Geräte, mit denen Kassenleistungen erbracht werden können, zum Beispiel Ultraschallgeräte oder EKG-Geräte, ebenso wie für Geräte für IGeL-Angebote.

Eine Hilfe bei der Investitionsentscheidung für ein Gerät bietet der Investitionscheck auf der Internetseite der Deutschen Bank im Bereich für Heilberufe.

Dort können Ärztinnen und Ärzte nach Fachgebiet und KV-Region für bestimmte Geräte ganz einfach Amortisationsberechnungen anstellen, indem sie einige Variablen einstellen und dann an der Grafik ablesen, in wie vielen Jahren sich ein Gerät amortisiert haben wird, wenn die angegebenen Variablen sich tatsächlich in die Realität umsetzen lassen.

Ein Rechenbeispiel: Geräte zur Knochendichtemessung/Osteodensitometrie in einer Orthopädenpraxis:

  • Bewertung IGeL-Monitor: Die Leistung ist noch nicht bewertet worden.
  • Kassenleistung oder IGeL? Sobald ein konkreter Befund für eine Osteoporose vorliegt, die mit Medikamenten behandelt werden soll, ist die Knochendichtemessung eine Kassenleistung und wird nach EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) abgerechnet. Als reine Screening-Untersuchung ist die Osteodensitometrie eine IGeL.
  • Abrechnung für Orthopädinnen und Orthopäden nach EBM: Gebührenordnungsposition (GOP) 34600/34601, 268 Punkte/30,80 Euro.
  • Abrechnung nach GOÄ: GOÄ-Nr. 1 (Beratung, 10,72 Euro zum 2,3-fachen Satz) und die GOÄ-Nr. 5475 (Quantitative Bestimmung des Mineralgehalts im Skelett [Osteodensitometrie], 31,48 Euro zum 1,8-fachen Satz): In Summe ergibt sich ein Honorar zum Regelsatz von 42,20 Euro.
  • Rechenbeispiel:
    • Anschaffungskosten Gerät – 10.000 €
    • Gerätekosten pro Jahr – 3.000 €
    • Eigenkapital – 0 % (steuerlich ist das sinnvoll, weil Schuldzinsen absetzbar sind)
    • GKV-Einnahmen p. a. – 3.500 € (aus dem Gerät = ca. 114 Untersuchungen)
    • PKV-Einnahmen p. a. – 2.500 € (59 Untersuchungen)
    • Amortisationszeit – 4 Jahre
    • (Steigt die Anzahl der Untersuchungen, sinkt die Amortisationszeit naturgemäß ab, was im Modul angezeigt wird. Zum Beispiel bei 4.500 € aus Privateinnahmen durch das Gerät verkürzte sich die Amortisationszeit auf 2,8 Jahre. Allerdings müssten dann im Jahr 106 IGeL- und Privat-Patientinnen und -patienten mit einer Osteodensitometrie diagnostiziert werden.)

Redaktion:
Springer Medizin, Postfach 2131, 63243 Neu-Isenburg, Hauke Gerlof (V. i. S. d. P.)

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