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Das junge Unternehmen Sustainable med supply GbR – Praxis ohne Plastik in Kiel hat ein Konzept entwickelt, das in ärztlichen und zahnärztlichen Praxen zunächst über Beratung und Workshops das Bewusstsein für nachhaltige Praxisführung schärfen hilft. Vor Kurzem ist nun auch ein Shop eröffnet worden, in dem Produkte zu kaufen sind, die sich im Vergleich zu konventionellen Produkten durch mehr Nachhaltigkeit auszeichnen.

„In einer Zahnarztpraxis zum Beispiel fällt besonders viel Plastik durch Einmalprodukte an“, erläutert Nora Stroetzel, die das Unternehmen gegründet hat. „Allein durch den Ersatz von Plastikzahnbürsten könnten wir in Deutschland 180 Tonnen Plastik pro Jahr sparen. Bei Mundspülbechern wären es sogar 9.750 Tonnen pro Jahr.“

Noch steht das Unternehmen ganz am Anfang. Doch erste Kontakte zur Zahn- und zur Humanmedizin sind geknüpft, unter anderem zu Klaas Köppe, einem Zahnmediziner aus Kiel.

Nora Strötzel, Gründerin von Sustainable med supply GbR

Nora Strötzel, Gründerin von Sustainable med supply GbR

„Der Faktor Zeit ist in der Praxis das teuerste Gut“

Klaas Köppe, seit fünf Jahren niedergelassener Zahnarzt in Kiel, hat einen pragmatischen Ansatz, wenn es um die Ökologie bei der Arbeit in der Praxis geht. Vor allem müssen nachhaltige Produkte in die Abläufe der Praxis passen, dann nutzt er sie gerne, wie er im Interview erläutert.

Herr Köppe, Sie sind seit bald fünf Jahren niedergelassen. Wie wichtig ist Ihnen in der Praxis der ökologische Fußabdruck, den Sie hinterlassen?
Zuerst müssen wir den Laden am Laufen halten. Aber klar, das Thema ist wichtig. Wenn ich jedoch bei der Industrie einkaufe und nach nachhaltigen Produkten frage, wird mein Impact nicht ausreichen. Dafür bin ich als einzelner Einkäufer einfach zu klein. Deshalb ist es gut, wenn die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten durch einen Anbieter gebündelt wird. Der hat auch andere Möglichkeiten, zu recherchieren, welche Produkte tatsächlich nachhaltig sind.

Was sind für Zahnärztinnen und Zahnärzte die ärgsten, sagen wir mal, Klimasünden?
Wir haben vor allem sehr viel Verpackungsmüll. Manchmal kommt ein kleiner Artikel, dreifach abgesichert in Umverpackungen. Manches davon lässt sich schon vermeiden. Und es gibt so viele Einwegartikel bei uns in der Praxis. Nicht alle davon müssen aus hygienischen Gründen sein.

Das beginnt schon bei den Plastikbechern, mit denen die Patientinnen und Patienten den Mund spülen. War Ihnen das gleich ein Dorn im Auge?
Das war für mich von Anfang an kein Thema. Wir nutzen Opalbecher wie aus den 1960er-Jahren, die wiederverwertbar sind. Im Thermodesinfektor mit aufbereitet, dann ist das sicher und hygienisch. Becher aus Edelstahl wären auch möglich. 50 Prozent meiner Praxiseinrichtung habe ich über Kleinanzeigen eingerichtet – mit Gegenständen aus aufgegebenen Praxen, auch vielen Zahnzangen. Das ist auf jeden Fall nachhaltig und oft auch günstig.

Wie sind Sie denn auf Praxis ohne Plastik aufmerksam geworden?
Auf einem ganz ungewöhnlichen Weg: bei einem Stadtteilfest, eine Freundin hatte mich darauf aufmerksam gemacht. Die Firma kommt wie ich aus Kiel. Da sind wir ins Gespräch gekommen, als die noch ganz am Anfang waren, und haben uns über den Verpackungswahnsinn ausgetauscht. Seitdem sind wir unter anderem in lockerem Kontakt über Social Media.

Nutzen Sie Produkte aus dem Shop, der mittlerweile entstanden ist?
Zum Teil. Ich habe die Einmalzahnbürsten aus Bambus gekauft. Es kommen ja immer wieder Patientinnen oder Patienten, die sich vor der Behandlung noch schnell die Zähne putzen wollen. In der Regel gibt es dafür Einmalzahnbürsten aus Plastik, die in Plastik verpackt sind.

Sind Sie zufrieden?
Im Preisvergleich sind die Bürsten aus Bambus schon teurer als die gewöhnlichen. Das ist aber noch relativ verschmerzbar bei einem Preis von 70 Euro für 100 Zahnbürsten. Allerdings stammen die Abrechnungswerke und/oder die Methoden der Zahnmedizin, auf denen sie fußen, aus dem letzten Jahrhundert und tragen unserem Kostenapparat so in keiner Weise Rechnung. Schon deswegen sind die Preise für eine „grün geführte Praxis“ kein Selbstläufer mehr. Außerdem: Die Plastikzahnbürsten sind immer schon imprägniert mit Zahnpasta. Das Produkt ohne Plastik nicht – und das erhöht am Ende auch noch den Aufwand für uns, oder wir benötigen Einmalportionen mit Zahnpasta, und das ist auch wenig nachhaltig.

Sind die nachhaltigen Produkte immer schon praxistauglich?
Der Rechercheaufwand dafür ist so groß, dass ich als einzelner Zahnarzt kaum eine Chance hätte, gute Produkte zu finden. Aber selbst für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Praxis ohne Plastik ist es nicht einfach. Beispiel unbeschichtete Servietten oder Lätzchen, die der Patientin oder dem Patienten während der Behandlung umgebunden werden: Wenn die Flüssigkeiten bei einer Papierserviette durchsuppen können, dann geht es am Ende doch in die Kleidung. Da ist dann noch Potenzial für ein besseres Produkt, waschbare beschichtete Servietten zum Beispiel.

Wie nehmen Sie das Praxisteam mit? Wer macht die Bestellungen? Gibt es Vorgaben?
Die Bestellungen macht jemand aus dem Team. Die ziehen aber gut mit. Wenn ich neue Ideen für mehr Nachhaltigkeit vorstelle, dann werden die, wenn sie gut sind, auch übernommen. Und sobald es um Umverpackungen geht, sind sowieso alle sensibilisiert. Das Thema kommt so häufig in den Nachrichten, dadurch ändert sich auch etwas im Bewusstsein.

Es gibt verschiedene Kennzeichen im Shop, die zeigen sollen, dass ein Produkt ökologisch günstiger arbeitet – zum Beispiel Mehrweg statt Einweg zum Beispiel oder plastikfrei oder plastikreduziert oder wassersparend oder, oder, oder. Ist das für Sie transparent?
Ja, schon, das ist gut nachvollziehbar. Ich verlasse mich da aber auch auf die Mitarbeitenden des Shops, dass die eine gute Auswahl treffen. Die nehmen uns ja die Arbeit ab, nachhaltige Produkte zu finden und haben darin mein Vertrauen.

Es ist ja nicht nur das Geld beim Einkauf, auch der Zeitfaktor teilweise: Sterilisieren oder Wegwerfen von Einwegbechern – macht das viel aus für den Praxisablauf?
Also, beim Becher macht das sicher keinen großen Unterschied, ob ich den in den Thermodesinfektor stelle oder in den Müll werfe. Aber das ist schon ein Spannungsfeld, die Prozesse müssen stimmen. Der Faktor Zeit ist in der Praxis das teuerste Gut.

Auf dem Weg in die klimaneutrale Praxis – wie weit ist es noch?
Ich wage es zu bezweifeln, dass es jemals eine vollständig klimaneutrale Praxis gibt. Aber es gibt schon Wege, sehr weit zu kommen, etwa beim Einkauf der Energie. Und auch in anderen Bereichen gibt es Ansätze. Jede und jeder kann jedenfalls einen Beitrag in Richtung Klimaneutralität leisten.

POP – Praxis ohne Plastik

Das Unternehmen wurde erst vor knapp einem Jahr von Nora Stroetzel und Nicolai Niethe gegründet. Die Motivation dafür war, dass Plastik überall auf der Welt zu finden ist, selbst in den entlegensten Winkeln der Erde. Gleichzeitig wird in Industrieländern weiterhin häufig gedankenlos Plastik eingesetzt, gerade im Gesundheitswesen, teilweise mit der Begründung, dass nur so Hygiene gewährleistet werden könne. „Wir wollen es allen Beteiligten in der Gesundheitsbranche ermöglichen, nachhaltig zu wirtschaften“, hält Praxis ohne Plastik auf der Website dagegen. Einmalprodukte aus Erdöl, also Plastik, sollen durch möglichst mehrfach verwendbare Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen ersetzt werden. Auch um besseres Recycling geht es dem Unternehmen sowie um einen verringerten Einsatz von Ressourcen, etwa von Energie, bei der Herstellung.

Geschäftsidee: Das Geschäftsmodell basiert auf zwei Säulen. In Workshops und Einzelberatungen sollen Praxisteams geschult werden, wie sie die Praxis nachhaltiger aufstellen und den ökologischen Fußabdruck verkleinern können. Dazu gehört auch der Einkauf nachhaltiger Produkte. Parallel zur Beratung von Praxen baut POP einen Online-Shop auf mit Produkten, die ohne oder mit weniger Plastik auskommen, die bei der Verpackung ökologische Gesichtspunkte berücksichtigen, die recyclingfähig sind, schadstofffrei oder wassersparend hergestellt werden oder aus Deutschland kommen – was den Transportweg verkürzt. Im Shop wird über spezielle Symbole gezeigt, welche Nachhaltigkeitsvorteile das jeweilige Produkt hat.

Umsetzung: Aktuell sind nach eigenen Angaben gut 40 Produkte im Shop, die den Kriterien des Unternehmens entsprechen. Man habe sich zunächst auf Produkte konzentriert, die in Praxen aller Fachrichtungen oder in einer Fachrichtung sehr häufig gebraucht werden, berichtet die Unternehmensgründerin auf Anfrage, also zum Beispiel Abdeckpapier für Liegen, Einmalzahnbürsten aus Bambus oder Becher als Alternativen für die Plastikbecher in der Zahnarztpraxis. Ständig recherchieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach neuen Produktalternativen für die konventionellen Produkte. Praxis ohne Plastik ruft (Zahn-)Ärztinnen und (Zahn-)Ärzte auch auf, Vorschläge für Produkte zu machen, die dann das Sortiment im Shop erweitern können. Die Preise für die nachhaltigen Produkte sind zum Teil noch deutlich höher als die der konventionellen: So kosten 100 Plastikzahnbürsten mit imprägnierter Zahnpasta im Fachhandel um die 13 Euro, Bambuszahnbürsten ohne Imprägnierung im Shop dagegen 69,99 Euro.

Die nachhaltige Zahnarztpraxis: Praxis ohne Plastik führt beispielhaft auf, wie eine Zahnarztpraxis nachhaltig geführt werden kann:

  • Mundspülbecher aus Pappe oder aus wiederverwertbarem Material
  • Einwegzahnbürsten aus Bambus
  • Digitales Röntgen statt Röntgen mit Film
  • Sterilgutcontainer verwenden, statt desinfizierte Instrumente nach Sterilisation neu einzuschweißen
  • Papierauflagen als Servietten statt beschichteter Servietten mit Plastikstoffen
  • Reduktion von Verpackungsmüll durch Bestellung größerer Mengen oder Wiederverwendung von Kartons
  • Digitale Dokumentation statt Karteikarten auf Papier
  • Einsatz von Energiesparlampen, sparsames Heizen, gutes Lüftungskonzept, Einsatz nachhaltiger Energien

Partner:

  • KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit, www.klimawandel-gesundheit.de
  • Health for Future, www.healthforfuture.de
  • Verschiedene Praxisnetze, u. a. QuE in Nürnberg, ÄrzteNetz Hamburg, Ärztenetz Eutin-Malente
  • Arbeitskreis Plastik und Nachhaltigkeit in der Dermatologie (DDG)

Kontakt: www.praxisohneplastik.de

Klaas Köppe, niedergelassener Zahnarzt in Kiel

Klaas Köppe, niedergelassener Zahnarzt in Kiel

Redaktion:
Springer Medizin, Postfach 21 31, 63243 Neu-Isenburg, Hauke Gerlof (V. i. S. d. P.)

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