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Für Dr. Andreas Elsner gibt es viele gute Gründe für den Einsatz von Gesundheits-Apps. Dazu gehört für den Orthopäden, dass Patientinnen und Patienten die Apps ohne großen Aufwand überall nutzen und so jederzeit etwas Gutes für sich tun könnten. Der niedergelassene Orthopäde aus Bielefeld verschreibt rund fünf Mal pro Woche eine App auf Rezept – in der Regel nutzt er die DiGA ViViRA, die unter anderem bei Rückenschmerzen eingesetzt werden kann. Elsner verordnet die App Patientinnen und Patienten mit unspezifischen Rücken-, Hüft- oder Knieschmerzen. Ziel ist es, Patientinnen und Patienten in Ergänzung zur ärztlichen Therapie zu Übungen anzuregen und so die Schmerzen zu verringern und die Bewegungsfähigkeit zu erhöhen. 

Täglich eine Viertelstunde Aktivität

Um dieses Ziel zu erreichen, poppen bei Nutzung von ViViRA täglich vier Übungen im Smartphone auf. Sie umzusetzen, nimmt rund eine Viertelstunde in Anspruch. Sie können unabhängig von Zeit und Ort ausgeübt werden. Nach jeder Übungseinheit werden die Patientinnen und Patienten gefragt, ob sie die Übungen ausführen konnten und ob sie dabei Schmerzen hatten. Die Antworten nutzt die App zu einer Anpassung der Übungen, damit die Nutzerinnen und Nutzer nicht über- oder unterfordert werden. Weitere Fragen zu Schmerzen, Einschränkungen, Lebensqualität und Therapie sollen die Patientinnen und Patienten einmal pro Woche für ein wöchentliches Verlaufsprotokoll beantworten. Zusätzlich bietet die App einmal monatlich eine Prüfung der Bewegungsfähigkeit, die mit 15 gezielten Übungen getestet wird. Über diesen Test können die Nutzerinnen und Nutzer verfolgen, ob und wie stark sich Kraft, Koordination und Mobilität durch die Übungen verbessert haben. Aus den Ergebnissen können die Anwenderinnen und Anwender Berichte als PDF erstellen und diese „Fortschrittsberichte“ dann mit Ärztin oder Arzt besprechen. 
Vor einer Verordnung achtet Orthopäde Elsner außer auf die Indikation auch sehr genau darauf, ob die Patientin oder der Patient von der persönlichen Einstellung her für die Nutzung der App infrage kommt. „Eine gewisse Nutzungsaffinität muss vorhanden sein. Die Patientinnen und Patienten sollten keine Angst vor der Nutzung haben. Bei Zweifeln frage ich, ob sie ihr Smartphone für Fotos gebrauchen. Wenn sie das bejahen, ist ihnen in der Regel auch die DiGA-Nutzung am Smartphone oder Tablet möglich“, sagt Elsner. 

DiGA sind vielfach noch unbekanntes Terrain

Elsner wünscht sich einen höheren Bekanntheitsgrad von DiGA unter den Patientinnen und Patienten. „Viele, die ich in der Praxis darauf anspreche, haben davon noch nichts gehört“, lautet seine Erfahrung. Inzwischen nutzen aber sieben von zehn Patientinnen und Patienten die Therapiemöglichkeit, wenn er ihnen eine App auf Rezept empfiehlt und verordnet.Mit fünf DiGA pro Woche gehört Elsner zu den „Viel-Verordnern“. Außerdem ist er einer der Pioniere – Elsner hat sich von Beginn an mit dem Thema beschäftigt und verfolgt seit Oktober 2020, wie sich dieser neue Markt entwickelt. Eine kürzlich veröffentlichte Studie im Auftrag der Stiftung Gesundheit zeigt, dass Elsner inzwischen zumindest kein Exot mehr ist. Ein Drittel der für die Studie Befragten hat schon einmal eine DiGA auf Rezept verordnet. Ihr Anteil stieg von 14,3 Prozent im Jahr 2021 auf 33,6 Prozent in 2022. Weitere 13,9 Prozent wollen DiGA laut der Studie „in nächster Zeit“ ebenfalls einsetzen, vor einem Jahr hatten dies nur 8,2 Prozent der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer erklärt.1 

Ablehnung von Apps auf Rezept geht zurück

Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass der Anteil der ablehnenden Ärztinnen und Ärzte auf 34,7 Prozent gesunken ist. Vor einem Jahr lag dieser Anteil noch bei 55,2 Prozent. Allerdings setzt nach wie vor nur ein kleiner Anteil an Ärztinnen und Ärzten so intensiv wie Elsner auf DiGA im Praxisalltag: 6,3 Prozent der rund 2.200 Teilnehmenden gaben an, dass sie schon mehr als 15 Verordnungen insgesamt ausgestellt hätten. Weitere 7,5 Prozent kommen auf sechs bis 15 Verordnungen. Unter dem Strich zeigt sich aber eine zunehmende Akzeptanz, für die in der Studie folgende Gründe genannt werden:

—   Klinische Evidenz – diese lässt bei zwei Dritteln der teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte die Akzeptanz steigen.

—   Sich wandelnde Wünsche und Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten – ein Argument für rund die Hälfte der Befragten.

—    Die Vertrautheit mit digitalen Diagnostika und Therapeutika (ebenfalls 50 Prozent).

Die Position der ärztlichen Fachgesellschaften und Gremien (36 Prozent).

Orthopäde Elsner kann sich vorstellen, dass die Akzeptanz unter Ärztinnen und Ärzten durch verstärkte Aufklärung steigt. „Das Thema müsste in Fortbildungen stärker berücksichtigt werden. Unter manchen Kolleginnen und Kollegen herrscht noch Misstrauen, das durch verstärkte Information ausgeräumt werden könnte“, merkt er an.Auch die Techniker Krankenkasse (TK)drängt darauf, dass DiGA vonseiten der ärztlichen Fachverbände enger begleitet werden. „Auch die medizinischen Fachgesellschaften, die unter anderem die Leitlinien weiterentwickeln, müssen sich mit DiGA als Bestandteil der Versorgung auseinandersetzen“, fordert die Krankenkasse in ihrem „DiGA-Report 2022“. 

TK: Vorbehalte gegen Evidenz „offenbar unbegründet“

Demnach suchen bislang 44 Prozent der DiGA-Hersteller den Austausch mit den für sie relevanten Fachgesellschaften. Die TK mahnt: „Die fachliche Diskussion ist notwendig auf dem Weg der Integration von DiGA in Behandlungspfade und Leitlinien.“Die TK zieht eine positive Zwischenbilanz und bezeichnet viele Vorbehalte, etwa im Hinblick auf Evidenz, als „offenbar unbegründet“. Zugleich sieht die Kasse weiterhin „Bedarf an Information und Aufklärung gegenüber den Verschreibenden und den Nutzenden sowie an einer Umsetzung der Verordnung von DiGA im Entlassmanagement.“ 
Damit liegt die Ersatzkasse mit Elsner auf einer Linie. Nach seiner Erfahrung ist unter den Patientinnen und Patienten noch weitgehend unbekannt, dass ihre gesetzliche Krankenkasse auf Antrag und mit entsprechender Diagnose die Kosten für eine DiGA auch ohne ärztliche Verordnung tragen muss. 

Keine Angst vor Missbrauch

Angst, dass damit einem Missbrauch Tür und Tor geöffnet wird und möglicherweise Versichertengelder für unnütze Anwendungen ausgegeben werden, hat Elsner nicht: „Wir haben strenge Vorgaben und die Prüfung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Bislang sind 38 DiGA zugelassen. Wenn es so profan wäre, DiGA zu etablieren, hätten wir längst viel mehr.“Elsners positive Einstellung zu den DiGA wird nicht nur vom Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung e. V. (siehe Interview) geteilt. Auch Zahlen aus dem DiGA-Report der TK sprechen dafür. Die dafür vorgenommene Nutzerbefragung zeigt, dass 37 Prozent die verordnete App jeden Tag nutzen und weitere 17 Prozent vier bis sechs Mal pro Woche. Rund zwei Drittel der Nutzerinnen und Nutzer gaben an, dass die App ihnen geholfen habe, die Beschwerden zu lindern. Positiv stimmt viele Akteure in der Szene aber auch, dass sich DiGA in Deutschland schneller etablieren konnten als in anderen Ländern – auf diesem Gebiet ist Deutschland digital weiter als seine Nachbarn. 

1) Stiftung Gesundheit, Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Praxis: Erkenntnisse und Erfahrungen. Ärztinnen und Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit 2022, https://go.sn.pub/8EHtBO 

„Wir brauchen neue, auch digitale Lösungsansätze“

Kurzinterview mit Dr. Anne Sophie Geier, Geschäftsführerin des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung e. V. 
Frau Dr. Geier, wie schätzen Sie das künftige Potenzial von DiGA in Deutschland ein und welche Wachstumschancen sehen Sie?

Dr. Anne Sophie Geier: DiGA können die Gesundheitsversorgung hierzulande deutlich verbessern: Sie können Versorgungsengpässe beheben, die beispielsweise durch zunehmenden Ärztinnen- und Ärztemangel oder durch lange Anfahrtswege im ländlichen Raum entstehen. Für diese Probleme brauchen wir neue, auch digitale Lösungsansätze – denn um sie rein personell abzudecken, fehlt es seit Langem an Fachkräften.

Gibt es ärztliche Fachgruppen, bei denen Sie noch eine besondere Zurückhaltung spüren?

Geier: Eine fachgruppenspezifische Zurückhaltung bei DiGA können wir nicht erkennen. Es zeigt sich aber, dass Ärztinnen und Ärzte, die DiGA bereits verordnet haben und ausprobieren, sehr positive Erfahrungen machen und einem Einsatz auch künftig aufgeschlossener gegenüberstehen.

Welche Indikationsbereiche werden in den kommenden Jahren besonders stark nachgefragt werden?

Geier: Bei Indikationen, die langfristige Verhaltensänderungen erfordern, sind DiGA sehr interessant, weil sie eine engmaschige Begleitung ermöglichen. Das trifft beispielsweise auf verschiedene Erkrankungen des Stoffwechsels oder des Muskel-Skelett-Bereichs zu. In diesen Indikationsbereichen wird auch künftig ein hoher Bedarf an Behandlung und Unterstützung bestehen. Ähnliches gilt für psychische Erkrankungen: Hier tragen schon jetzt verschiedene DiGA dazu bei, die teils sehr langen Wartezeiten auf Therapieplätze zu überbrücken.

Zahlen & Daten

Die Techniker Krankenkasse ist mit rund elf Millionen Versicherten die größte Ersatzkasse in Deutschland. Seit dem DiGA-Start im Oktober 2020 verzeichnete die TK bis zum 1. November 2022: 
55.000 Anträge zur Kostenübernahme, davon 20 Prozent als Versichertenanfrage und 80 Prozent als ärztliche Verordnung. 

93 Prozent der Anträge werden bewilligt.

12 Prozent der ausgegebenen Codes werden nicht eingelöst.

—    Die durchschnittlichen Kosten einer DiGA im ersten Jahr liegen bei rund 500 Euro.

—    Zwei Drittel der DiGA werden von Frauen genutzt.

—    Das Durchschnittsalter der Nutzerinnen und Nutzer liegt bei ca. 45 Jahren.

Die größte Nachfrage besteht nach folgenden DiGA:

—    ViViRA (Rückenschmerzen): 16 Prozent der Anträge

—    zanadio (Adipositas): 14,3 Prozent der Anträge

—    Kalmeda (chronische Tinnitusbelastung): 14,2 Prozent der Anträge

Quelle: TK 

Redaktion:

Springer Medizin, Postfach 21 31, 63243 Neu-Isenburg, Hauke Gerlof (V. i. S. d.P.)

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