15.06.2022
Besonders größere Einrichtungen im ambulanten Bereich müssen oft auf räumlich getrennte Einheiten mit ausgelagerten Praxisräumen setzen. Den dabei bestehenden Spielraum für die Fahrtzeit hat das Bundessozialgericht (BSG) kürzlich definiert.
Ausgelagerte Praxisräume können vom Hauptsitz einer Praxis so weit entfernt liegen, dass sie erst innerhalb von 30 Minuten Fahrtzeit erreicht werden. Engere zeitliche Grenzen sind laut Bundessozialgericht (BSG) nicht erforderlich.
Wichtig ist allerdings, dass in diesen ausgelagerten Räumen nicht – wie zum Beispiel in einer Zweigpraxis – das gesamte Spektrum, sondern nur spezielle Leistungen erbracht werden. Der Hauptsitz der Praxis muss also auch der Hauptort der Praxistätigkeit bleiben.
Im konkreten Streitfall ermöglicht die Entscheidung des BSG einem MVZ, dass es Labor- und Büroflächen an einem anderen Ort nutzen kann. Das MVZ selbst befindet sich in Pulheim und erbringt dort zytologische Laborleistungen für niedergelassene Gynäkologinnen und Gynäkologen. Weil die räumlichen Kapazitäten am Hauptort erschöpft sind, hat das MVZ im benachbarten Köln rund 1.000 Quadratmeter für Labor- und Büroflächen angemietet. Die Fahrtzeit zwischen den beiden Standorten liegt unter 20 Minuten.
In der Vorinstanz hatte das Landessozialgericht noch entschieden, dass ausgelagerte Praxisräume nur im „räumlichen Nahbereich“ zulässig seien – diesen sahen sie im Streitfall nicht gegeben. Die inzwischen abgeschaffte Residenzpflicht, wonach Ärztinnen und Ärzte ihre Praxen innerhalb von 30 Minuten erreichen sollten, sah das Gericht für den konkreten Fall nicht anwendbar.
Das BSG dagegen hält die 30 Minuten weiterhin für ein geeignetes Kriterium zur Bestimmung einer „räumlichen Nähe“. Damit sei sichergestellt, dass Ärztinnen und Ärzte in angemessener Zeit vor Ort sein könnten.
Die Ansicht, dass Hauptsitz und ausgelagerte Räume einer Praxis auch in den Augen des Publikums eine organisatorische Einheit bilden müssten, bezeichnete das BSG als überholt. Die Digitalisierung erlaube enge Organisationsstrukturen auch über größere Entfernungen
(Az.: B 6 KA 12/21 R).
15.06.2022
Ärztinnen und Ärzte, die wegen Überschreitungen ihrer Richtgrößen eine Beratung erhalten, müssen diese auch innerhalb von vier Jahren nach der Überschreitung noch in Kauf nehmen. Dies entschied das Bundessozialgericht (BSG).
Für wirtschaftliche unmittelbar belastende Sanktionen dagegen gilt eine verkürzte Verjährungsfrist. Hierunter fallen finanzielle Rückforderungen der Krankenkassen, die nach zwei Jahren verjähren.
Das BSG hatte sich mit der Frage beschäftigt, weil eine Allgemeinmedizinerin gegen die Frist von vier Jahren geklagt hatte, nachdem sie ihr Heilmittelrichtgrößenvolumen im Jahr 2011 um 17,74 Prozent überschritten haben soll und deshalb im Jahr 2015 eine Beratung erhielt.
Die Beratung verstehen Ärztinnen und Ärzte in aller Regel als Aufforderung zur Verhaltensänderung. Die Ärztin war der Meinung, dass ein Beratungserfordernis vier Jahre nach der Überschreitung verjährt sei. Grundsätzlich gilt bei Überschreitung von Richtgrößen das Prinzip Beratung vor Regress.
Das BSG stellte jedoch klar, dass sich die Frist von zwei Jahren nur auf finanzielle Rückforderungen, nicht jedoch auf Beratungen bezieht, die auf Verhaltensänderungen abzielen.
Den Grundsatz „Beratung vor Regress“ gibt es seit rund zehn Jahren. Wirtschaftliche Sanktionen sind damit erst möglich, wenn nach einer ersten Überschreitung des Richtgrößenvolumens eine Beratung erfolgt ist. Die detaillierten Regularien können aber von KV zu KV variieren
(Az.: B 6 KA 6/21 R).
15.06.2022
MVZ, die Sonderbedarf abdecken, haben mit einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) mehr Freiheiten erhalten. Sie können hierfür auch mit Viertel- oder Dreiviertelstellen arbeiten.
Damit können MVZ-Betreiber für diese Leistungen häufiger auf Teilzeitkräfte zurückgreifen. Viele Ärztinnen und Ärzte bevorzugen Teilzeitstellen aus familiären oder anderen Gründen.
Im konkreten Fall hatte ein MVZ aus Baden geklagt, das zunächst einen Facharzt für Strahlentherapie mit einem Vertrag für 31 Wochenstunden angestellt hatte. Diese Arbeitszeit entspricht formal dem Anrechnungsfaktor 1,0. Später beantragte das MVZ eine Teilung der Stelle.
Der bereits angestellte Facharzt sollte seine Arbeitszeit um eine auf 30 Wochenstunden reduzieren, womit formal der Anrechnungsfaktor 0,75 Stellen angelegt werden konnte und musste. Zugleich sollte eine Kollegin für zehn Wochenstunden angestellt werden, was formal dem Anrechnungsfaktor 0,25 entspricht. Damit hätte das MVZ formal weiterhin zusammengerechnet den Anrechnungsfaktor 1,0 erfüllt, die Wochenarbeitszeit durch die Teilung aber von zuvor 31 Stunden auf neu 40 Stunden erhöht.
Die Zulassungsgremien wollten diesen Weg nicht mitgehen. Sie beriefen sich auf Bedarfsplanungsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), die Viertelstellen bei der Abdeckung von Sonderbedarf nicht vorsehen.
Das BSG sieht die Zulassungsgremien an diesen Grundsatz aber nicht gebunden. Das Gericht hält es für entscheidender, dass die Zulassungsgremien bei personellen Änderungen prüfen, ob der Bedarf fortbesteht – was im vorliegenden Fall erfüllt sei. Damit gibt es laut BSG keinen Grund, der einer Bedarfsdeckung durch Dreiviertel- und Viertelstellen entgegensteht. Anlass für eine Prüfung, ob die Viertelstelle für sich genommen tragfähig ist, sieht das Gericht nicht
(Az.: B 6 KA 7/21 R).
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