Aktien, Volkswirtschaft/Geldpolitik – 10.08.2023
Die wichtigsten Fakten:
Die Schwerpunkte der globalen Infrastrukturinvestitionen liegen mittlerweile nicht mehr nur in traditionellen Infrastrukturen, etwa Verkehr, Energie und anderen Versorgungseinrichtungen, sondern auch in Bereichen, die im Zusammenhang mit der grünen Transformation der Wirtschaft oder dem sozialen Ausgleich stehen. Letztere befinden sich im Einklang mit den nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen (United Nations, UN), die neben „sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen“ oder „erschwinglicher und sauberer Energie“ auch den Aufbau „einer widerstandsfähigen Infrastruktur, eine integrative und nachhaltige Industrialisierung und die Förderung von Innovationen“ vorsehen. Themen wie Klimakrise, soziale Ungleichheit, Resilienz und Anpassungsfähigkeit rücken damit in den Fokus. Beispielsweise trägt der Bereich Infrastruktur mit rund 80 Prozent am meisten zu den weltweiten Treibhausgasemissionen bei – allen voran die Sektoren Energie, Gebäude und Transport.
Entsprechend groß dürfte künftig der Bedarf an Infrastrukturinvestitionen sein. Während die entwickelten Länder vor allem die Defizite ihrer bestehenden Infrastrukturen zu beheben haben, werden Schwellenländer ihr relativ robustes Wirtschaftswachstum nutzen wollen, um grundsätzliche infrastrukturelle Fortschritte zu finanzieren. Entwicklungsländer haben in Anbetracht ihrer geringen finanziellen Mittel die größten Herausforderungen zu bewältigen. Schätzungen zufolge beträgt der globale Infrastrukturfinanzierungsbedarf für den Zeitraum von 2016 bis 2040 rund 97 Billionen US-Dollar.1 Einer der Schlüsselbereiche ist dabei mit 28 Billionen US-Dollar die Energieinfrastruktur, Hauptinvestitionsstandort mit mehr als der Hälfte aller Infrastrukturausgaben dürfte Asien sein.
Infrastruktur ist ein weitgefasster Begriff, der physische und organisatorische Strukturen umfasst, die das Funktionieren von Gesellschaften und Volkswirtschaften ermöglichen. Als Haupttreiber der künftigen Infrastrukturentwicklung können vier Schlüsselbereiche definiert werden: Resilienz, Nachhaltigkeit, Innovation und Inklusivität. Zwei Konzepte gewinnen in diesem Zusammenhang zunehmend an Bedeutung. Zum einen die Erzielung „transformativer Ergebnisse“, also solcher, die über einen rein wirtschaftlichen Rahmen hinausgehen, um beispielsweise Herausforderungen wie die Klimakrise, soziale Ungleichheit, Resilienz und Anpassungsfähigkeit anzugehen. Zum anderen das Beschreiten von „Transformationspfaden“, die die Infrastruktur mit den nachhaltigen Entwicklungszielen der UN und den globalen Klimazielen in Einklang bringen.
Insgesamt lassen sich Infrastrukturentwicklungen heute in vier Kategorien einteilen:
Die Politik verschiedener Regierungen im Bereich der Infrastruktur ändert sich schnell. In Europa beispielsweise hat die bereits bestehende, groß angelegte politische Unterstützung für Infrastrukturmaßnahmen durch das NextGenerationEU-Konjunkturpaket und das „Fit for 55“-Gesetzespaket einen großen Schub erhalten. Als direkte Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine und die daraus resultierende Notwendigkeit, auf russisches Erdgas zu verzichten, wurden die europäischen Ambitionen zur Dekarbonisierung erweitert und beschleunigt. Jenseits des Atlantiks wird der Inflation Reduction Act (IRA) zu höheren Investitionen in verschiedenen Infrastrukturbereichen der USA führen, die zur Energiesicherheit und Dekarbonisierung beitragen.
Diese Maßnahmen machen deutlich, dass die Energiewende eine wichtige Triebkraft für die Nachfrage nach Infrastruktur sein wird. Es wird ein erheblicher Kapitalbedarf für groß angelegte Energieproduktionsprojekte bestehen, sowohl um den bestehenden Stromverbrauch zu dekarbonisieren als auch die zunehmend elektrifizierte Wirtschaft entsprechend zu versorgen. Lag der Schwerpunkt bisher auf den Energieinitiativen der Industrieländer, rücken nun auch die Schwellenländer zunehmend in den Fokus. Im Mittelpunkt dürften dabei Unternehmen stehen, die dazu beitragen können, eine breitere Energiewende zu ermöglichen, zum Beispiel Unternehmen aus den Bereichen Energieeffizienz, Netzmanagement, alternative Kraftstoffe, Elektrofahrzeuge und Energiespeicherung. Auch die Digitalisierung wird ein wesentlicher Treiber bleiben. In den vergangenen Jahren ergaben sich hier Möglichkeiten vor allem für digitale Infrastrukturdienste wie Rechenzentrumsbetreiber, Cloud-Computing- oder Breitbandanbieter. Weitere Chancen könnte etwa der Boom der künstlichen Intelligenz (KI) bieten.
Traditionell achten Investoren bei Infrastrukturinvestments bislang vor allem auf vier Aspekte:
Mit Blick auf die Konsequenzen eines globalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels sollten Anleger allerdings beachten, dass der Begriff der Infrastruktur inzwischen weit über langfristige physische Infrastrukturprojekte hinausgeht. Zusätzlich zu den allgemeinen Marktklassifizierungen – zum Beispiel nicht börsennotiert oder börsennotiert, aktienbasiert oder fremdkapitalbasiert – können Infrastrukturinvestitionen daher sinnvollerweise in vier Risiko-Rendite-Bereiche unterteilt werden.
Als Kerninfrastruktur gelten große bestehende Anlagen, die sowohl für die Gesellschaft als auch für die Wirtschaft von enormer Bedeutung sind. Dazu gehören zum Beispiel Versorgungsunternehmen, kritische Stromerzeugungs- und Transportanlagen, Brücken und große Mautstraßen. Aufgrund ihres monopolistischen Charakters sind hier die generierten Cashflows oft für den Großteil der Renditen verantwortlich, während die Wertsteigerung der Vermögenswerte eine untergeordnete Rolle spielt.
Die sogenannte Core-plus-Infrastruktur bietet mehr Spielraum für Wertsteigerungen, ist aber auch anfälliger für Liquiditätsschwankungen. Ihre Vermögenswerte ähneln im Allgemeinen denen der Kerninfrastruktur, haben aber oft keine Monopolqualitäten und/oder bergen ein gewisses Entwicklungsrisiko.
Die Value-add- sowie die opportunistische Infrastruktur sind mit den höchsten Risiken und potenziellen Renditen verbunden. Zu ersteren gehören beispielsweise Energieprojekte oder Rechenzentren, die sich in der Entwicklungsphase befinden, während letztere Infrastrukturen in Schwellenländern oder Vermögenswerte in finanziellen Schwierigkeiten umfassen.
Insgesamt können Infrastrukturinvestitionen dazu beitragen, die Gesamtvolatilität des Portfolios zu verringern und die risikobereinigten Renditen potenziell zu verbessern. Dabei ist zu beachten, dass auch Infrastrukturinvestments nicht immun gegen wirtschaftliche Entwicklungen sind. Obwohl sie eine Absicherung gegen die Inflation bieten können und der Sektor als relativ defensiv gilt, hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass ein schwieriges konjunkturelles Gesamtumfeld auch am Infrastruktursegment nicht spurlos vorbeigeht.
1 Global Investment Hub, Global Infrastructure Outlook, 2018. Abgerufen von „Global Infrastructure Outlook factsheet June 2018.pdf“ (gihub.org) am 8. Juni 2023
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