Aktien, Volkswirtschaft / Geldpolitik – 30.04.2024
Die wichtigsten Fakten:
Zu Beginn des Nationalen Volkskongresses (NVK) im März 2024 trug der chinesische Ministerpräsident Li Qiang den Arbeitsbericht der Regierung vor. Dieser legt das reale Wachstumsziel für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2024 auf „rund 5 Prozent“ fest. Dieser Wert liegt über unserer Prognose von 4,7 Prozent und ebenfalls über der Konsensprognose von 4,6 Prozent. Zum Erreichen ihres relativ hohen Wachstumsziels könnte die chinesische Regierung auf eine wachstumsfreundlichere Wirtschaftspolitik setzen. Premier Li räumte ein, dass die Grundlage für die wirtschaftliche Erholung Chinas nicht solide sei und dass es nicht einfach sein werde, das 5-Prozent-Ziel zu erreichen. Hauptprobleme der Wirtschaft sind nach wie vor die gedämpfte Inlandsnachfrage (vor allem nach Gütern), die Überkapazitäten in einigen Branchen, das schwache Vertrauen der Verbraucher und Unternehmen sowie der angeschlagene Immobiliensektor.
Laut Li sind für das Erreichen des Wachstumsziels „politische Unterstützung und gemeinsame Anstrengungen an allen Fronten“ erforderlich, „um Beschäftigung und Einkommen zu steigern sowie Risiken zu vermeiden und zu entschärfen“. Darüber hinaus forderte er, dass die Umgestaltung des Wachstumsmodells vorangetrieben, strukturelle Anpassungen vorgenommen, die Qualität verbessert und die Wirtschaftsleistung gesteigert werden müssten. Li betonte, dass dafür wirtschaftliche Stabilität die Grundlage sei, diese könne nur durch einen „proaktiven“ finanzpolitischen Kurs und eine „umsichtige“ Geldpolitik erreicht werden. Diese Aussage deckt sich im Großen und Ganzen mit dem auf der Zentralen Wirtschaftskonferenz im Dezember 2023 angeschlagenen Ton.
Das Inflationsziel des vergangenen Jahres in Höhe von 3 Prozent wurde für das laufende Jahr beibehalten. Dies sollte jedoch eher als Richtwert und nicht als verbindliches Ziel angesehen werden, da eine entsprechende Ankurbelung der Wirtschaft bedeuten würde, dass in diesem Jahr ein nominales BIP-Wachstum von rund 8 Prozent angestrebt würde. China stand zuletzt unter deflationärem Druck, da die Preise zu Beginn des Jahres immer noch fielen. Da hier in den verbleibenden Quartalen des laufenden Jahres ein lediglich leichter Umschwung zu erwarten ist, erscheint eine starke Inflation in der angegebenen Größenordnung nicht realistisch.
Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, in diesem Jahr 12 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen, also ähnlich viele wie im vergangenen Jahr. Das Ziel für die Arbeitslosenquote wurde bei 5,5 Prozent belassen. Premier Li kündigte an, dass die Regierung mehr Maßnahmen zur Förderung der Jugendbeschäftigung ergreifen werde, da in diesem Jahr 11,7 Millionen neue Hochschulabsolventen zu erwarten seien. Es war das erste Mal, dass der Nationale Volkskongress Fragen der Jugendbeschäftigung hervorhob. Diese stellen nach wie vor eine strukturelle Herausforderung für den chinesischen Arbeitsmarkt dar.
Li bekräftigte, dass das Geldmengen- und Kreditwachstum mit dem Wirtschaftswachstum und den Inflationszielen übereinstimmen und die Finanzierungskosten für die Wirtschaft „stabil und rückläufig“ sein sollten. Dies deutet auf eine moderat expansive Geldpolitik in China im Jahr 2024 hin – mit weiterem Spielraum für die People’s Bank of China (PBoC), den Mindestreservesatz (RRR) und den Hypotheken-Referenzzinssatz (LPR) zu senken sowie großzügige und stabile Liquiditätsbedingungen zu schaffen, zum Beispiel über die mittelfristige Kreditfazilität (MLF). Andererseits bekräftigte Peking sein Ziel, eine stabile Währung zu gewährleisten. Dies könnte bedeuten, dass die Regierung an ihrer bisherigen geldpolitischen Linie festhalten könnte, um eine starke oder besonders schnelle Abwertung des Yuan zu verhindern.
Darüber hinaus wurde der verstärkte Einsatz struktureller geldpolitischer Instrumente hervorgehoben, was sich mit dem Bericht der PBoC über geldpolitische Operationen im vierten Quartal 2023 deckt und darauf hindeutet, dass mehr Anstrengungen unternommen werden könnten, strategische Schlüsselsektoren wie Hochtechnologie, erneuerbare Energien und digitale Finanzdienstleitungen gezielt zu unterstützen.
Das offizielle Haushaltsdefizitziel wurde auf 3 Prozent des BIP (das heißt 4,06 Billionen Yuan bzw. 564 Milliarden US-Dollar) festgelegt. Dieser Wert liegt unter den 3,8 Prozent aus dem vergangenen Jahr und ebenfalls unter den Markterwartungen für 2024 von 3,2 bis 3,3 Prozent. Angesichts des relativ schwachen Binnenwachstums hatte es weitverbreitete Erwartungen gegeben, dass China stärkere fiskalische Maßnahmen ergreifen würde, einschließlich höherer Defizite, um die Wirtschaft anzukurbeln.
Premierminister Li kündigte für 2024 außerdem ein mehrjähriges Programm für chinesische ultralanglaufende Staatsanleihen (Central Government Bonds, CGB) in Höhe von 1 Billion Yuan (139 Milliarden US-Dollar) an. Dies signalisiert zum einen die Bereitschaft der Zentralregierung, größere fiskalische Verantwortung zu übernehmen; zum anderen deutet die längerfristige Vereinbarung auf zusätzliche fiskalische Unterstützung für Investitionen in wichtige strategische Projekte in den kommenden Jahren hin.
In Bezug auf den Immobilienmarkt behielt die Regierung ihren unterstützenden Ton bei, legte jedoch keine konkreten Pläne für weitere Impulse im Sektor vor. Li versprach, „gerechtfertigte“ Projekte zu finanzieren und Chinas Urbanisierungsprozess durch soziale Wohnungsbauprojekte und Stadterneuerungsprogramme zu beschleunigen.
Der Arbeitsbericht der Regierung konzentrierte sich im Weiteren auf die Entwicklung neuer Wachstumstreiber. Li rief dazu auf, „das Wachstumsmodell zu transformieren, strukturelle Anpassungen vorzunehmen, die Qualität zu verbessern und die Leistung zu steigern“. Er stellte in diesem Zusammenhang zehn Schlüsselaufgaben vor, darunter:
Die Aufhebung von Beschränkungen für ausländische Direktinvestitionen im verarbeitenden Gewerbe und die zunehmende Konzentration auf Hightechsektoren wie Quantencomputer, Big Data und KI stehen im Einklang mit der Strategie der chinesischen Regierung, den Förderungsschwerpunkt vom Immobiliensektor auf die Hightechfertigung zu verlagern. Die mögliche weitere Senkung des RRRs und des LPRs könnte für die dafür nötige Liquidität sorgen und die finanziellen Bedingungen für entsprechende Anlageinvestitionen erleichtern. Sollte zudem die US-Notenbank später in diesem Jahr mit dem erwarteten geldpolitischen Lockerungszyklus beginnen, würde es dies der PBoC erleichtern, die Währungsstabilität zu gewährleisten.
Die Wiederherstellung des Vertrauens der Verbraucher und Unternehmen in die chinesische Wirtschaft dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen. Das Tempo und die Wirksamkeit der Umsetzung der politischen Lockerungsprogramme könnten von entscheidender Bedeutung dafür sein, Pekings Ruf nach Stabilität, also nach einem stetigen und nachhaltigen Wachstum, zu erfüllen. Wir behalten vorerst unsere neutrale Haltung gegenüber dem chinesischen Gesamtmarkt bei, bis mehr Details dazu bekannt werden, wie Peking (insbesondere auf der Nachfrageseite) die chinesische Wirtschaft wieder ankurbeln will.
Mit Blick auf einzelne Sektoren bekräftigen wir unsere konstruktive Einschätzung zu Nicht-Basiskonsumgütern, die von politischen Maßnahmen und einem verbesserten Konsum der privaten Haushalte profitieren dürften, sowie zu den Sektoren grüne Energie und Technologie, denen staatliche Unterstützungsmaßnahmen sowie ihre robusten Fundamentaldaten und attraktiven Bewertungen zugutekommen könnten.
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Redaktionsschluss: 04. März 2024, 15 Uhr