Das Mainzer Pharmaunternehmen Biontech setzt im Cash Management auf Echtzeitdaten. Ein Etappenziel auf dem Weg dahin hat das Unternehmen nun verwirklicht. Für eine breite Anwendung im Corporate Treasury müssen aber noch technische Hürden genommen werden.
Seit sechs Jahren können Verbraucher und Unternehmen in Europa in Echtzeit bezahlen. Im ersten Quartal dieses Jahres lag die Quote bei 17,34 Prozent aller Sepa-Überweisungen, wie Daten des European Payments Council (EPC) zeigen – Tendenz steigend. Mit der Verordnung über Sofortzahlungen sollen Instant Payments in Europa zum Standard werden. Bis Oktober 2025 müssen alle Zahlungsdienstleister in der Eurozone in der Lage sein, Sofortzahlungen senden und empfangen zu können. Die neue Regulierung – die noch einige weitere Änderungen mit sich bringt – könnte zum Katalysator für Innovationen im Zahlungsverkehr werden. Davon profitieren vor allem Unternehmen mit Endkundenbezug, etwa Onlinehändler, Versicherer, Energieversorger sowie alle Unternehmen, die für ihre Geschäftsmodelle schnellen Zugriff auf Cash benötigen.
Die Regelung rückt aber auch die Vision eines Echtzeit-Treasury wieder in den Fokus, bei dem Prozesse nicht länger auf Basis von Tagesend-Kontoauszügen gesteuert, sondern Cash und Risiken verstärkt untertägig gemanagt werden. „Eine solche untertägige Steuerung wünschen sich immer mehr Treasurer“, sagt Nina Schwammel, Firmenkundenbetreuerin bei der Deutschen Bank.
Vor dem Hintergrund der Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten sowie den geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China ist das nachvollziehbar: In einer Welt mit zunehmender Volatilität, Ungewissheit und Komplexität wird Geschwindigkeit immer wichtiger. Kontoinformationen in Echtzeit zu erhalten und Transaktionen in Echtzeit durchzuführen ermöglicht nicht nur eine zielgerichtete Disposition von liquiden Mitteln, sondern auch bessere Cashflow-Prognosen. Vorbei sind die Tage, in denen Zinsschäden durch ungenaue Disposition und Forecasts entstehen – argumentieren die Befürworter.
„Über unsere Standard-Treasury-Anwendung können wir nun jederzeit die Kontostände in Echtzeit abrufen.“
Dirk Schreiber, Biontech
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Zu dieser Fraktion gehört Dirk Schreiber, Leiter Treasury beim Mainzer Biotech-Unternehmen Biontech. Als Biontech 2008 von Uğur Şahin, Özlem Türeci und Christoph Huber in Mainz gegründet wurde, wollten die drei Immunologen und Onkologen nichts Geringeres, als die Behandlung von Krebs revolutionieren. Nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie im Januar 2020 konzentrierte Biontech seine Kapazitäten aber zunächst auf die Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Coronavirus. Mit Erfolg: Zusammen mit dem Partner Pfizer gelang es binnen kürzester Zeit, einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln und auf den Markt zu bringen.
Für Biontech brach damit nicht nur medizinisch, sondern auch finanziell eine neue Zeitrechnung an. „Als wir im Januar 2022 die erste große Zahlung von Pfizer erhielten, bestand die Aufgabe darin, schnell eine Treasury-Funktion aufzubauen, die in der Lage war, die mit dem US-Dollar/Euro-Wechselkurs verbundenen Währungsrisiken zu managen und das überschüssige Bargeld zu investieren“, erinnert sich Schreiber. Ende Juni 2024 verfügte das Unternehmen über eine Liquiditätsposition von rund 17 Milliarden Euro, die unter anderem in Geldmarktfonds und Staatsanleihen investiert wird.
Diese unter Berücksichtigung von Absicherungs- und Anlageanforderungen zu optimieren, stand deshalb auf der Agenda des Biontech-Treasury ganz oben. Ziel war es, sofort über Zahlungseingänge informiert zu werden. Gemeinsam mit der Deutschen Bank, JP Morgan und dem Softwarepartner SAP entwickelten Schreiber und sein Team eine Lösung, um in den Treasury-Management-Anwendungen von Biontech die Kontostände in Echtzeit einsehen zu können. Das Besondere dabei: Die Anbindung geschieht über eine sogenannte Anwendungsprogrammierschnittstelle, die für neue, innovative Treasury-Lösungen in der Regel die technologische Grundlage stellt. Vereinfacht gesprochen handelt es sich bei Application Programming Interfaces (APIs) um digitale Schnittstellen, über die Systeme auf Unternehmensseite sicher, kontrolliert und vor allem automatisiert mit denen der Bank kommunizieren können.
Bislang läuft die digitale Kommunikation zwischen Unternehmen und Banken üblicherweise per File-Transfer ab. Dabei werden verschiedene Authentifizierungs- und Verschlüsselungsverfahren verwendet – beispielsweise das Ebics-Verfahren mit elektronischer Unterschrift. Ähnlich verhält es sich bei der Bankanbindung via Swift und Host-to-Host. Zur Übertragung von Daten werden zum Beispiel Kontoauszugsdateien von der Bank abgeholt oder Dateien mit Zahlungsinstruktionen an die Bank gesendet. Die Kommunikation ist vergleichbar mit dem Versenden von Briefen und gestattet nur eine zeitlich verzögerte Reaktion.
„Eine untertägige Steuerung wünschen sich immer mehr Treasurer.“
Nina Schwammel, Deutsche Bank
Die Kommunikation über eine API jedoch ähnelt eher einem „Gespräch“ zwischen Unternehmen und Bank, bei dem sich die Teilnehmer zu Beginn versichern, dass sie auch derjenige sind, der sie vorgeben zu sein. Anschließend werden einzelne Datensätze auf Knopfdruck ausgetauscht, seien es Zahlungen an die Bank oder Kontoinformationen von der Bank. Das heißt aber auch, dass sich Unternehmen nach außen öffnen müssen, um diese Art der Kommunikation zu nutzen – natürlich mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen.
Bei Biontech funktioniert die Verknüpfung zwischen den hauseigenen Treasury-Anwendungen und den API-Lösungen der Bankenpartner über die multibankfähige Plattform Multi-Bank Connectivity (MBC) von SAP. „Über unsere Standard-Treasury-Anwendung können wir nun jederzeit die Kontostände in Echtzeit abrufen und werden per Push-Benachrichtigung über Gutschriften und Belastungen informiert“, erklärt Schreiber.
Perspektivisch möchte der Biontech-Treasurer die Nutzung des API-Kanals erweitern, um unter anderem Sofortzahlungen zu initiieren. Damit könnten die frühen Cut-off-Zeiten der meisten Automated-Clearing-House(ACH)-Systeme umgangen und so die Cash-Allokation weiter optimiert werden. Denn noch ist es so: Wenn Biontech nachmittags eine Zahlung von einem Vertriebspartner erhält, kann aufgrund der Annahmeschlusszeiten in der Regel nicht am selben Tag investiert werden. Am Ende soll der gesamte Zahlungsverkehr über die Nutzung von API-Schnittstellen optimiert werden.
Für Schreiber ist klar: An der Transformation zum Echtzeit-Treasury führt kein Weg vorbei – auch wenn sich diese Sichtweise in der Treasurer-Community noch nicht flächendeckend durchgesetzt hat. Gerade im B2B-Universum ist der Mehrwert von Realtime-Daten für viele Treasurer noch nicht greifbar.
Hinzu kommen technische Hürden. „Technologisch sind für den Zugang zu Echtzeitinformationen und -zahlungen APIs entscheidend“, erklärt Moritz Strobel, zuständiger Produktmanager bei der Deutschen Bank. Nur diese Schnittstellen ermöglichen Stand heute den Echtzeitaustausch von Zahlungs- und Cash-Management-Nachrichten zwischen dem Treasury-Management-System (TMS) auf Unternehmensseite und der Bank, die Vorabvalidierung von Konten (um das Risiko von Fehlern und Betrugsfällen zu minimieren) oder Zahlungen in Echtzeit – auch wenn die geltenden Betragsgrenzen von 100.000 Euro für Sepa-Echtzeitzahlungen noch eine Hürde darstellen.
„Technologisch sind für den Zugang zu Echtzeitinformationen und -zahlungen APIs entscheidend.“
Moritz Strobel, Deutsche Bank
Doch trotz dieses immensen Potentials bleibt die praktische Anwendung der APIs im Treasury- und Corporate-Bereich bisher hinter den Erwartungen zurück. Beispiele wie bei BioNTech sind noch die Ausnahme. „Ein entscheidendes Hindernis ist nach wie vor die fehlende Standardisierung“, heißt es beim Verband Deutscher Treasurer (VDT). Weltweit gingen sowohl Implementierungsstatus als auch Nutzung von APIs stark auseinander. Zwar haben seit dem Inkrafttreten der Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 fast alle Banken die vorgeschriebenen APIs für Drittanbieter bereitgestellt. Aber nur einzelne Banken haben nach Einschätzung des VDT sogenannte Premium-APIs (auch Corporate Banking APIs oder Private APIs genannt) an den Markt gebracht. Ein kohärentes Rahmenwerk als verbindliche Grundlage für eine effiziente bankenübergreifende Anwendung von APIs fehlt nach wie vor.
Der VDT hat deshalb den Arbeitskreis API ins Leben gerufen. „Damit wollen wir den Weg für eine verbesserte und standardisierte Anwendung von Banking-APIs im Treasury- und Corporate-Bereich ebnen“, sagt Mario Reichel, Leiter des Arbeitskreises API beim VDT. Es bleibt also noch viel Arbeit, bis sich Echtzeit-Treasury in der Unternehmenswelt durchsetzt. Denn nur wenn Systeme und Prozesse die Verarbeitung von Realtime-Informationen auch effizient unterstützen, können Treasurer die zweifellos vorhandenen Vorteile nutzen. Die Grundlagen dafür, gilt es jetzt zu schaffen.
11/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Andreas Knoch. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.