Green Asset Ratio: die Nachhaltigkeits-Kennziffer für Banken

Das Thema Nachhaltigkeit revolutioniert die Kreditfinanzierung für den Mittelstand. Mit der Green Asset Ratio (GAR) müssen die Banken ab 2024 eine neue Kennziffer berichten. Wie wirkt die GAR auf das Firmenkundengeschäft?

Grün ist nicht nur die Farbe der Hoffnung, sondern auch die Mission von EZB-Direktoriumsmitglied Frank Elderson. Die Green Asset Ratio ist dabei nur ein Teil der politischen Anstrengungen der EU, die Finanzwirtschaft in den nachhaltigen Umbau der europäischen Wirtschaft mit einzubeziehen.

Grün ist nicht nur die Farbe der Hoffnung, sondern auch die Mission von EZB-Direktoriumsmitglied Frank Elderson. Die Green Asset Ratio ist dabei nur ein Teil der politischen Anstrengungen der EU, die Finanzwirtschaft in den nachhaltigen Umbau der europäischen Wirtschaft mit einzubeziehen. Foto: Sanziana Perju / ECB

Das Thema ist omnipräsent: Jeder Firmenkunde merkt im Gespräch mit seiner Bank, wie sehr die Finanzinstitute das Thema Nachhaltigkeit umtreibt. Die Fragen zu den nachhaltigen Aspekten des Geschäftsmodells werden bohrender, das Volumen und die Spielarten nachhaltiger Finanzierungen immer mehr. Die Finanzwirtschaft ist zweifellos zu einem Treiber des nachhaltigen Umbaus der deutschen Volkswirtschaft geworden – kein Haus, das sich nicht den ökologisch verträglichen Fortschritt auf die Fahnen geschrieben hat.

Die Hinwendung zur Nachhaltigkeit ist mittlerweile tief in der Strategie der Häuser verwurzelt, sie entspricht den Bedürfnissen und Forderungen zahlreicher Stakeholder wie Mitarbeitern, Aktionären, Kunden und Lieferanten. Dabei sollte aber nicht übersehen werden, dass die Banken und andere Akteure des Finanzmarkts auch Getriebene sind: Die Politik verpflichtet sie über die Regulierung dazu, ihren Teil zum Umbau der Volkswirtschaft beizutragen. „2022 wird das Jahr sein, in dem Klima- und Umweltrisiken zu einem festen Bestandteil der täglichen Aufsichtsarbeit werden“, sagte Frank Elderson, der Vizechef der EZB-Bankenaufsicht, vor einigen Monaten. Immerhin legt ein erster Stresstest nahe, dass die Klimarisiken die Stabilität der Banken kaum bedrohen.

Eine simple Kennzahl – aber nicht simpel zu berechnen

Seit langem heiß diskutiert wird die so genannte EU-Taxonomie, die von den Banken bereits angewendet wird. „Mit der EU-Taxonomie haben wir in Europa ein wissenschaftsbasiertes Klassifikationssystem implementiert, das Kapitalströme in nachhaltige Aktivitäten lenken soll“, betont Julia Dieckmann, Head of Sustainable Finance Policy bei der Deutschen Bank. Als Teil der EU-Taxonomie rückt nun eine neue Kennzahl in den Fokus: die so genannte Green Asset Ratio (GAR), die ab 2024 von den Banken berichtet werden muss.

„Die Regulatorik hat viele positive Anreize gesetzt. Die Vorgaben müssen aber handhabbar und angemessen für Unternehmen bleiben.“

Julia Dieckmann, Deutsche Bank

Die GAR ist bislang nur eine Reporting-Kennziffer – es gibt keine Vorgaben, welche Quote eine Bank erreichen muss. Sie beschreibt vereinfacht den Anteil des nachhaltigen Geschäfts an der Bilanzsumme. Damit könnten Banken nun theoretisch transparent miteinander verglichen werden. Für die Häuser ist die Aufstellung der GAR aber gar nicht einfach: Für die Einstufung der Kredite an Firmenkunden brauchen die Banken Daten, über die sie bislang oft noch gar nicht verfügen. „Wesentlich wird daher sein, die benötigten Daten zu definieren, systematisch zu erfassen und aufzubereiten, um auf ihrer Grundlage die GAR berechnen zu können. Das wird sicherlich viele Implikationen für die Banken haben – sei es in den Gesprächen mit unseren Kunden, bei den Know-Your-Client-Prozessen (KYC) oder auch für das Risikomanagement“, erklärt Evgeny Tyurin, Head of ESG Finance and Corporate Bank Financial Planning & Analysis bei der Deutschen Bank.

Was ist die Green Asset Ratio?

Ab Anfang 2024 müssen die Banken in der Europäischen Union nachweisen, welcher Anteil ihres Geschäfts nachhaltigen Kriterien genügt. Dafür wurde mit der Green Asset Ratio (GAR) eine Kennzahl entwickelt, die über alle Banken hinweg einen Vergleich ermöglichen soll. Das ist eine deutliche Weiterentwicklung gegenüber den bisherigen Vorgaben der Non-Financial Reporting Directive (NFRD), die größere Unternehmen mit Kapitalmarktbezug bereits seit 2017 zu einer Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet. Dieses Reporting ist aber in der Regel vorwiegend qualitativ und kaum mit Zahlen unterfüttert.

Die Berechnung der GAR ist im Prinzip simpel: Das nachhaltig finanzierte Geschäftsvolumen und die nachhaltigen Investitionen werden addiert und die Summe durch das gesamte Geschäftsvolumen der Bank geteilt. Die Kernfrage lautet natürlich, welche Aktivitäten einer Bank als nachhaltig eingestuft werden können. Hier gibt es einen Webfehler: Kredite an kleinere Unternehmen und internationales Geschäft werden im Zähler nicht mitgezählt, im Nenner dagegen schon. Das kann je nach Bank die GAR enorm verzerren. Die Banking Book Taxonomy Alignment Ratio (BTAR) soll hier Abhilfe schaffen.

Für die klassifizierungsfähigen Kredite hat die EU-Taxonomie von 2020 einen Rahmen abgesteckt, der zum Teil sehr detailreich aufgelistet, wie welche Aktivitäten einzuordnen sind. Damit sind zwar nicht alle Fragen ausgeräumt und nicht alle Kontroversen beendet (etwa um die Einstufung von Kernenergie), aber eine Arbeitsgrundlage für die Berechnung und das Reporting der GAR geschaffen. Über die so genannten Implementing Technical Standards (ITS) zur Offenlegung von ESG-Risiken werden die Banken darüber hinaus verpflichtet, die Geschäfte und die abgeleiteten Risiken detailliert zu beschreiben.

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Allerdings sind aktuell weder Erleichterungen für Banken zum Beispiel in der Eigenkapitalunterlegung geplant, wenn die GAR besonders hoch ist, noch Strafen für besonders niedrige Kennzahlen. Im Gegenteil: Die Europäische Bankenaufsicht EBA veröffentlichte im Mai eine skeptische Position zu dem Vorschlag, die Unterlegung von Kreditrisiken mit Eigenkapital auch von Nachhaltigkeitskriterien abhängig zu machen, weil sie dadurch Risiken für die Finanzstabilität der Institute befürchtet.

Eingeschränkt vergleichbar

Die Aussagekraft der GAR ist bislang begrenzt: Wer viele Kredite an kleinere Unternehmen vergibt oder viel Geschäft im EU-Ausland macht, der hat Stand heute per definitionem weniger taxonomiefähige Kredite und ist damit benachteiligt. Außerdem hat ein Reporting der Banken von Ende 2021 gezeigt, dass die Interpretation von Taxonomiefähigkeit bei den einzelnen Häusern noch weit auseinandergeht. „Vor diesem Hintergrund ist ein intensiver Dialog zwischen Banken, Aufsicht und Prüfern von zentraler Bedeutung, um zu einem gemeinsamen Verständnis diesbezüglich zu gelangen“, betont Evgeny Tyurin. Darum wird es nach seiner Einschätzung noch dauern, bis die GAR-Kennzahlen der einzelnen Banken miteinander vergleichbar sind. Trotzdem hält er die GAR in Verbindung mit den Nachhaltigkeitszielen für wichtig, weil sie transparent macht, wie die Häuser auf dem geplanten Weg vorankommen.

„Das Angebot an braunen, also nicht-nachhaltigen Finanzierungen wird abnehmen.“

Andreas Becker, Strategy&

Die strategische Komponente betont Andreas Becker, Berater bei Strategy&, dem Strategieberatungsarm von PwC: „Die Grundfrage für die Bank lautet: Wo steht mein Kundenportfolio heute, und wie soll es idealerweise in fünf Jahren aussehen?“ Dabei haben die Banken viel Freiraum: Die Green Asset Ratio ist nämlich bislang nicht als regulatorische Kennzahl geplant, die Banken bestimmte Geschäfte verbietet. Sie ist eine zusätzliche Information über das Geschäft der Banken, nicht mehr und nicht weniger. „Eine Mindestschwelle ist laut aktuellen Vorschriften zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgesehen“, sagt Tyurin.

Einfluss auf den Aktienkurs?

Trotzdem ist die GAR kein zahnloser Tiger: Dr. Patrik Buchmüller, Dozent an der Frankfurt School und früher bei der BaFin zuständig für die Umsetzung der Basel-II-Vorgaben zum operationellen Risiko der Banken, beschreibt in einem Blogbeitrag mögliche Folgen der GAR-Veröffentlichungen am Finanzmarkt: „Nicht jede GAR wird zur Zufriedenheit aller Stakeholder (einschließlich Gesellschaft und politischer/gesellschaftlicher Interessensvertretungen) ausfallen. Eine kritische Auseinandersetzung innerhalb und außerhalb des Unternehmens ist erwartbar. […] Diese betreffen nicht nur die derzeit weit verbreitete „Empörungskultur“, sondern auch Reputationsschäden mit Auswirkung auf Aktienkurse und Geschäftsbeziehungen, sowie Haftungsfragen für umweltschädigendes Geschäftsgebaren auf Unternehmens- und Managementebene.“

„Um zu einem gemeinsamen Verständnis über die Taxonomiefähigkeit zu gelangen, ist ein intensiver Dialog zwischen Banken, Aufsicht und Prüfern von zentraler Bedeutung.“

Evgeny Tyurin, Deutsche Bank

Die Märkte dürften also diese Kennzahl mit Argusaugen beobachten und ihr durchaus eine Bedeutung beim Unternehmenswert und bei den Refinanzierungskosten beimessen. „In der Praxis wird neben der GAR allerdings das Nachhaltigkeits-Rating eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielen“, erwartet Berater Becker. Wie auch immer – Folgen für die Kreditvergabe sind nicht auszuschließen: „Das Angebot an braunen, also nicht-nachhaltigen Finanzierungen wird abnehmen“, glaubt Becker.

Es gibt viele Treiber

Die GAR ist also kein Game Changer, aber sie ist auch nicht wirkungslos. Die über den eigenen Nachhaltigkeits-Ehrgeiz der Banken hinausgehenden Impulse kommen allerdings aus vielen Ecken: Taxonomie, Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR), Lieferkettengesetze auf deutscher und europäischer Ebene und künftig auch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Hier hat Bankerin Dieckmann einen Wunsch: „Die Regulatorik hat viele positive Anreize gesetzt“, lobt sie. „Die Vorgaben müssen aber handhabbar und angemessen für Unternehmen bleiben.“

09/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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