Liquidität ist wieder ein Thema geworden, doch die Steuerung ist bei komplexen Geschäftsmodellen schwierig. Treasury-Management-Systeme (TMS) versprechen auch dem Mittelstand Abhilfe. Aber was können und was kosten sie, und wer braucht sie wirklich?
Unternehmertum ist Umgang mit Unsicherheit – das ist nichts Neues. Die vergangenen zweieinhalb Jahre waren aber besonders: Die Pandemie zog einigen Branchen den Boden unter den Füßen weg, andere starteten dafür durch. Der aktuelle Krieg und die damit einhergehenden mittel- und langfristigen Fragestellungen werfen ganz neue Probleme auf. Und beide Phänomene zusammen rütteln eine durchoptimierte und keine Ausfälle duldende globale Lieferkette ordentlich durcheinander.
Lieferunsicherheit, steigende Kosten und Absatzsorgen rücken das Thema Working Capital Management in ein neues Licht. Vor allem aber geht es plötzlich wieder um das Lebenselixier von Unternehmen: Liquidität. Dank vieler guter Jahre und eilfertiger Finanzierer haben viele Mittelständler sich daran gewöhnt, die jederzeit reichliche Versorgung mit Geld als selbstverständlich anzusehen. Das ist vorbei, und darum ist es für zahlreiche Unternehmen an der Zeit, sich mit einer professionellen Liquiditätssteuerung zu beschäftigen.
In einigen Branchen ist das auch für mittelständische Unternehmen nichts Neues: „Automobilzulieferer zum Beispiel müssen schon lange sehr genau ihre Liquidität planen“, berichtet Thomas Stosberg, bei der Deutschen Bank für den Bereich Cash Management Structuring verantwortlich. „Für andere ist mit der Pandemie eine Welt zusammengebrochen, und auf die neuen Rahmenbedingungen müssen sich die Unternehmen erst einstellen.“ Stosberg beobachtet, dass die Unternehmensführung heute viel häufiger Auskunft über die Liquiditätssituation und die Planung verlangt. Nicht immer ist die Finanzabteilung darauf schon vorbereitet.
Für das professionelle Liquiditätsmanagement bietet der Markt eine zentrale Lösung: so genannte Treasury-Management-Systeme (TMS). Damit steuern Finanzabteilungen ihre Zahlungen und ihre finanziellen Risiken – was viele Mittelständler noch über Excel abwickeln, wird hier in eine spezialisierte Software überführt, im Idealfall mit einer Anbindung an das ERP-System. Großunternehmen haben praktisch alle mindestens ein System der zahlreichen Anbieter im Einsatz. Mit der fortschreitenden Digitalisierung und der immer weiteren Verbreitung von Treasurern sind TMS auch im Mittelstand immer häufiger anzutreffen.
Dafür gibt es gute Gründe. „Ich schätze, dass die Hälfte der größeren Mittelständler nicht auf Knopfdruck sagen kann, wieviel Geld das Unternehmen aktuell zur Verfügung hat“, sagt Alexander Spieker, der mit seiner Firma Finance & Treasury Services Mittelständler in der Professionalisierung der Treasury-Funktion unterstützt. Er glaubt fest an den Nutzen von TMS für die Steuerung von Liquidität, Währungs-Exposure und Finanzierung. TMS erfassen einerseits den aktuellen Cash-Bestand und anderseits alle Kredite und Linien inklusive Ausnutzungsgrad und Avalen.
„Die Hälfte der größeren Mittelständler kann nicht auf Knopfdruck sagen, wieviel Geld das Unternehmen aktuell zur Verfügung hat.“
Alexander Spieker,
Finance & Treasury Services
Das ist jedoch nur ein Anfang. Um die verfügbare Liquidität zu berechnen, ziehen TMS auch so genanntes Trapped Cash ab – das sind zum Beispiel Einlagen etwa in Indien oder Brasilien, die man nicht ohne weiteres abziehen kann, aber auch verpfändete Liquidität etwa für ein Aval einer Tochtergesellschaft. „Diese Positionen jederzeit und automatisiert verfügbar zu haben ist die Voraussetzung für eine genaue Planung der Liquidität für zukünftige Stichtage wie z.B. für den Jahresabschluss und auch wichtig für eine Covenant-Berechnung“, sagt Spieker. Vor allem aber kann man aus der Planung die Anforderung an die Finanzierung berechnen und das Währungs-Exposure ableiten. „Beides ist mit Excel kaum möglich.“
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Ab wann lohnt sich ein professionelles TMS für den Mittelstand? Stosberg nennt eine Faustregel: „Ab 150 Millionen Euro aufwärts ist eine TMS-Komponente sinnvoll. Darunter kommt es auf das Geschäftsmodell an.“ Je internationaler das Unternehmen je mehr Bankenbeziehungen in der ganzen Welt gepflegt werden, umso wichtiger ist eine professionelle Steuerung, weil TMS länder- und währungsübergreifend funktionieren. Stosberg rät außerdem, nicht die Kosten in den Mittelpunkt zu stellen: „Der Business Case für ein TMS kommt aus der Compliance und aus der Sicherheit.“
Beide Punkte werden auch für den Mittelstand immer wichtiger. Wirtschaftsprüfer und Banken sehen es gern, wenn die Liquiditätsströme und Finanzrisiken nicht mit Excel gesteuert werden und der Treasurer ohne Kontrolle 50 Millionen Euro bewegen kann. Die Anfälligkeit gegen Betrug aus den eigenen Reihen ist deutlich geringer, wenn automatisierte und an das ERP angebundene Systeme eingesetzt werden.
Der TMS-Markt ist breit gefächert: Über ein Dutzend Anbieter dürften auf dem deutschen Markt vertreten sein, einer hat nach etlichen Zukäufen sogar acht verschiedene Systeme im Angebot. Am Anfang jedes Auswahlprozesses steht die Definition, was das Unternehmen im Treasury erreichen will. Damit stehen die Eckdaten für eine Ausschreibung. Darauf sollte nicht verzichtet werden, weil in einer Ausschreibung erstens das Look & Feel und zweitens die aktuelle Leistungsfähigkeit der Anbieter deutlich wird, diese drittens ein klares Leistungsversprechen abgeben und viertens ein Preiswettbewerb entsteht.
Der zeitliche Aufwand für die Auswahl und Einführung teilt sich auf die externe Unterstützung und die internen Ressourcen auf. Viel hängt von den Ressourcen und Knowhow des Unternehmens ab. Gibt es eine IT-Abteilung, die die technischen Feinheiten und Anforderungen des Zahlungsverkehrs versteht? Sollte das nicht der Fall sein, sollte man auf TMS zurückgreifen, die so genannte Format-Schubladen für den Zahlungsverkehr einzelner Länder anbieten.
Treasury-Spezialist Alexander Spieker rechnet bei mittelständischen Unternehmen mit rund 5 Tagen für die Analyse der Treasury-Funktion und die Bedarfsdefinition. Die Auswahl des TMS dauert etwa zwei Monate und verursacht zehn bis 15 Tage Beratungsaufwand. Die Einführung wiederum dauert zwischen sechs und zwölf Monaten. Dafür sollte intern etwa eine Vollzeitstelle einkalkuliert werden. Da es wichtig ist, dass die Person sich mit den jeweiligen Treasury-Prozessen gut auskennt und die Kompetenzen im Unternehmen oft verteilt sind, kann die Einführung auch auf drei oder mehr Schultern verteilt werden, Interim-Treasurer wie Spieker bieten dafür auch externe Unterstützung. Komplexe Zahlungsverkehrsthemen können den Aufwand deutlich vergrößern. Am Ende der Einführung steht aber eine dauerhafte und signifikante Zeitersparnis, weil alle gewünschten Informationen nicht nur fehlerfrei, sondern auch auf Knopfdruck zur Verfügung stehen.
Die laufenden Kosten für die TMS variieren naturgemäß, die meisten Anbieter bieten inhaltlich aufgebaute Module. Lizenzmodelle sind selten geworden, üblich sind monatliche Mietkosten plus ein initialer Aufwand für die Einführung. Die Implementierungskosten liegen in der Regel zwischen 20.000-70.000 Euro und sind auch abhängig von den eigenen Kompetenzen vor allem auf der IT-Seite. Die „Miete“ beträgt üblicherweise zwischen 1.000 und 5.000 Euro pro Monat.
Vor allem wird aber auch die Verteidigung gegen Angriffe von außen unter dem Stichwort Cyber-Security immer wichtiger. Gegen Erpressungen und Zahlungsverkehrsbetrug helfen die Cloud-Lösungen der TMS-Anbieter, Installationen beim Kunden werden immer seltener. Das gibt Sicherheit: „Natürlich können auch TMS-Anbieter angegriffen werden“, sagt Stosberg. „Sie sind aber deutlich weniger attraktive Ziele und schützen sich außerdem sehr gut.“ Auch Funktionen wie „Sanction Screening“ oder „Vendor Verification“ sorgen für einen sichereren Zahlungsverkehr. Für wenig sinnvoll hält Stosberg dagegen die bei immer mehr TMS angebotenen mobilen Anwendungen: „Die meisten Unternehmen ermöglichen mobiles Arbeiten über den Laptop, die Handy-Anwendung wird meiner Meinung nach nicht gebraucht.“
Der Nutzen der TMS liegt ebenso auf der Hand wie der damit verbundene Aufwand. Was können Unternehmen tun, für die ein TMS schlicht überdimensioniert wäre? Auch für sie hält der Markt Lösungen parat. „Die ganz kleinen Unternehmen können Angebot von der Datev oder EBICS nutzen“, sagt Stosberg. Für die etwas größeren Unternehmen bieten viele Banken eigene Lösungen: Die Bankportale für mittelständische Kunden bieten immer häufiger die Möglichkeit, Daten vom ERP-System einzuspielen.
„Ab 150 Millionen Euro aufwärts ist eine TMS-Komponente sinnvoll.“
Thomas Stosberg, Deutsche Bank
Beide Varianten sind zwar keine adäquaten Alternativen zu einem TMS, aber für viele Unternehmen eine ausreichende Lösung, um die Liquidität im Blick zu behalten und zu steuern. „Systeme vermeiden Medienbrüche“, betont Stosberg. „Und vor allem entkommen Unternehmen der Fehleranfälligkeit von Excel und der Abhängigkeit vom Fachwissen einzelner Kollegen.“ Das ist für viele Mittelständler kein kleiner Schritt, sondern ein Quantensprung.
06/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.