Digitale Marktplätze erobern das B2B-Segment. Das hat viele Vorteile für die Kunden. Die Lieferanten müssen sich aber entscheiden: Will ich Händler sein oder Plattformbetreiber?
Jeder kennt die Kombis der oberen Mittelklasse, die mit gesetztem Blinker über die Autobahn jagen – oft genug sitzt darin der Vertriebler eines Mittelständlers, der von einem Kunden zum nächsten hetzt. Diese Leute gibt es immer noch, aber sie werden seltener. Das hat nicht nur mit der Pandemie zu tun, die die Verkäufer aus dem Auto vor den Bildschirm zwang. Der Point of Sale verlagert sich zunehmend ins Internet – und das hat massive Auswirkungen nicht nur auf den Vertrieb, sondern auf die strategische Ausrichtung vieler Mittelständler.
Plattformökonomie lautet das Stichwort, das den Wandel beschreibt. Der Vertriebskanal in der Onlinewelt gehört den Verkäufern nämlich nicht mehr zwingend selbst. Eine eigene Website zu betreiben, die auch Neukunden anlockt, wird nur wenigen gelingen. Der Kunde strebt nach einfachen Lösungen – One-Stop-Shopping heißt das Zauberwort. Im B2B-Bereich heißt das allerdings nicht, dass sämtliche Einkäufe künftig über eine einzige Plattform getätigt werden. Aber zusammengehörige Produkte und Dienstleistungen sollen aus einer Hand kommen.
Das bedeutet Chance und Risiko zugleich. Anders als das Endkundengeschäft ist das B2B-Segment nicht von Big Tech dominiert. Die Zukunft gehört Nischen-Platzhirschen, die Dritte in ihren Vertrieb integrieren und ein Ökosystem schaffen, das beim Kunden keine Wünsche offenlässt. Das funktioniert überall: Der Werkzeugmaschinenhersteller vertreibt nicht nur seine eigenen Produkte, sondern auch die dazugehörige Software plus Wartung. Der Produzent von MRT-Geräten verkauft zusätzlich die Montage vor Ort, das Training für das Personal und die Versicherung. Gerade die Verbindung von Produkt und Services ist für die Kunden spannend.
E-Commerce wächst rasant: Nach Angaben des Branchenverbands BEVH wurde in Deutschland 2021 ein Fünftel mehr Waren über das Internet verkauft als im Vorjahr. Der gesamte Umsatz betrug knapp 100 Milliarden Euro, weltweit dürften es mehr als drei Billionen Dollar gewesen sein.
Das B2B-Segment hinkt bislang hinterher, hat aber das größere Potenzial: Das Marktforschungsinstitut Ystat erwartet, dass 2024 mehr als 30 Prozent der weltweiten B2B-Verkäufe über digitale Marktplätze erfolgen werden. Die Deutsche Bank prognostiziert für 2025 einen Umsatz von vier Billionen US-Dollar auf B2B-Marktplätzen, Grand View Research sieht den Markt 2028 sogar bei 25 Billionen US-Dollar.
Jedes Unternehmen muss definieren, welche Rolle es im Ökosystem spielen will. Der Plattformbetreiber zu sein klingt erst mal attraktiv: Er nimmt sich ein Stück vom Kuchen des zusätzlichen Umsatzes und besetzt die Kundenschnittstelle. Aber der Aufwand für den Aufbau der Plattform ist groß – und wer nur einen kleinen Teil in der Wertschöpfungskette abbildet, der dürfte kaum die Akzeptanz des Kunden finden. Sich einfach einer Plattform anzuschließen kann attraktiver sein: Die Händler sparen Vertriebskosten und dürfen darauf hoffen, dass im Gegenzug für mehr Effizienz und Sicherheit die Zahlungsbereitschaft der Kunden im Ökosystem steigt.
Bislang haben sich in Deutschland noch nicht allzu viele erfolgreiche B2B-Plattformen etabliert. Das hat auch mit dem komplexen Zahlungsverkehr zu tun, der für einen durchschlagenden Markterfolg notwendig ist. Plattformlösungen sind für Banken eine echte Herausforderung: Die Kunden erwarten wie bei Amazon einen perfekt durchstrukturierten Prozess, sie wollen am Ende eine einzige Rechnung und eine große Auswahl bei der Zahlweise. Der Betreiber der Plattform und die Händler wiederum wollen die ihnen zustehenden Erlöse auf ihrem Konto sehen.
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Das alles klingt einfach, ist aber komplex. „Marktplätze sehen sich mit regulatorischen Vorgaben konfrontiert, die sie bei der Abwicklung von Zahlungen zwischen Verkäufer und Käufer einhalten müssen“, erklärt Matthaeus Sielecki, der bei der Deutschen Bank den Aufbau von B2B-Plattformen unterstützt. „Die Bank kümmert sich um diese Anforderungen, schafft dadurch Vertrauen in die Plattform und erhöht die Kundenbindung.“ Die Zahlungen müssen transparent rückverfolgt werden, und neben den regulatorischen Anforderungen sollen auch Sicherheitsbedürfnisse Berücksichtigung finden.
„Marktplätze sehen sich mit regulatorischen Vorgaben konfrontiert, die sie bei der Abwicklung von Zahlungen zwischen Verkäufer und Käufer einhalten müssen.“
Matthaeus Sielecki, Deutsche Bank
Auch die verständliche Erwartung des Käufers, nur eine einzige Rechnung zu erhalten und zu bezahlen, bedeutet erheblichen Aufwand. Die Bank schließt dafür nicht nur einen Vertrag mit dem Marktplatz, sondern zusätzlich mit den Verkäufern einen Collection-Vertrag. Außerdem muss jede Plattform ihre Händler vorab überprüfen (Stichwort KYC) – auch das kann aber die Bank übernehmen. Wenn Kunden und Händler im Ausland sitzen, bringen lokale Rechtsräume zusätzliche Komplexität. Außerhalb des Euroraums müssen auch Währungen getauscht werden.
An Herausforderungen besteht für Plattformbetreiber also kein Mangel. Dennoch ist die Vision, das Amazon der eigenen Nische zu bauen, extrem attraktiv. Eine gut funktionierende Plattform erleichtert nicht nur den Vertrieb, bindet die Kunden und steigert die Erträge. Sie erhöht vor allem auch den Unternehmenswert: Für erfolgreiche B2B-Plattformen werden nämlich ganz andere Preise bezahlt als für erfolgreiche Werkzeugmaschinenhersteller.
05/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.