Künftig landet das Geld nach der Überweisung sofort auf dem Konto – aber für welchen Mittelständler ist das wichtig? Warum sind digitale Marktplätze so spannend, und wird der digitale Euro eine Revolution oder ein Rohrkrepierer? Zahlungsverkehrsexperte Patrik Pohl hat die Antworten.
Foto: privat
Herr Pohl, Echtzeitzahlungen sind das große Projekt des Jahres 2025 im Zahlungsverkehr. Haben Mittelständler irgendetwas davon?
Zunächst einmal: Die Echtzeitzahlungen betreffen in erster Linie die Banken, weil diese die Umsetzung sicherstellen müssen. Seit Anfang des Jahres müssen alle Banken Echtzeitzahlungen empfangen können, ab Oktober entfallen die Obergrenzen pro Zahlung. Wie stark mittelständische Kunden betroffen sind, hängt vor allem von ihrem Geschäftsmodell ab. Die meisten Auswirkungen spüren Unternehmen mit Endkundengeschäft, vor allem die Händler.
Warum?
Die Zahlung erfolgt sofort und kann nicht mehr zurückgerufen werden. Damit ist die Liquidität sofort verfügbar, und das Risiko des Zahlungsausfalls entfällt.
Klingt gut, aber ist das nicht Fluch und Segen zugleich? Das Geld ist schneller und unwiderruflich da, aber der Kunde erwartet dann doch auch den sofortigen Versand …
Das stimmt, logistisch dürften viele Mittelständler vor einer gewissen Herausforderung stehen, weil die Erwartungshaltung der Kunden sich mit der Echtzeitzahlung verändern wird. Umgekehrt kann der Kunde das Geld bei Erstattungen aber auch sofort wieder im selben Online-Portal ausgeben – das ist nur durch die Echtzeitzahlung möglich und kann Unternehmen einen höheren Umsatz bescheren. Die Kunst wird darin bestehen, positive Kundenerlebnisse zu erzeugen, die den Umsatz im Unternehmen halten.
„Marktplatzanbieter konzentrieren die Zahlungsströme bei sich und sind damit für uns besonders attraktive Kunden. Außerdem sind die Herausforderungen vielfältig und spannend.“
Das ist eine Aufgabe für Logistik und Vertrieb – welche Auswirkungen spürt die Finanzabteilung?
Hier beginnt in gewisser Weise eine neue Zeitrechnung: Das Geld landet nun an sieben Tagen in der Woche zu jeder beliebigen Uhrzeit auf dem Konto. Die Finanzabteilung muss sich überlegen, wie sie damit umgeht. Zum einen hat der andauernde Liquiditätsfluss Auswirkungen auf die Liquiditäts- und Risikosteuerung, zum anderen nimmt die Verzahnung mit dem operativen Geschäft zu – und das nicht nur im Versandhandel: Wenn ein Kunde am Wochenende bezahlt, dann verbindet er damit die Erwartungshaltung, dass der Zahlungsempfänger umgehend reagiert. Ein Beispiel ist der säumige Zahler, dessen Telefon- oder Stromanschluss abgestellt wurde. Er wird nach Begleichung der Rechnung erwarten, sofort wieder freigeschaltet zu werden – ganz egal ob am Abend oder am Wochenende. Darauf werden sich Unternehmen einstellen müssen, und die Finanzabteilung muss die Zahlungsinformation natürlich umgehend im Unternehmen weiterleiten.
Das ist keine triviale Aufgabe für Unternehmen ohne Treasury-Abteilungen und automatisierte Systeme …
Genau darum suchen wir zum Thema Echtzeitzahlung den Dialog mit unseren Kunden. Mittelständische Unternehmen sind in der Finanzabteilung oft sehr schlank aufgestellt. Wir möchten „der Treasurer des Mittelstands“ sein, wenn es um Cash Management geht. Das umfasst sowohl den Zahlungsverkehr als auch das Liquiditätsmanagement. Wir wollen keine Produkte verkaufen, wir möchten Lösungen anbieten, die dem Kunden helfen, sein Geschäftsmodell zu optimieren und seine Finanzabteilung effizient aufzustellen.
Eine sofortige Überweisung hat doch auch zur Folge, dass nur sehr wenig Zeit mehr für Kontrollen bleibt …
Das ist richtig und durchaus eine Herausforderung. Grundsätzlich kann die Bank die Überprüfung des Zahlungsempfängers übernehmen und bei jedem einzelnen Kontakt prüfen, ob der Name zum Empfänger passt. Das Problem: Gerade bei Massenzahlungen, etwa wenn Unternehmen einmal pro Monat alle Zahlungen anweisen, treten auch mal Fehler auf – hier würde bei jeder kleinen Unregelmäßigkeit unter Umständen der komplette Zahlungslauf gestoppt. Daran kann kein Kunde ein Interesse haben. Unternehmen haben aber die Möglichkeit, auf die Überprüfung durch die Bank zu verzichten. Wir gehen davon aus, dass viele davon Gebrauch machen werden, auch weil die Kunden ihre Empfänger ohnehin dauernd überprüfen. Zu diesem Zweck bieten wir unseren Kunden bereits heute API-basierte Lösungen an.
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Wird Echtzeit für den Kunden teurer?
Nein, die Regulierung legt fest, dass eine Echtzeitzahlung nicht mehr kosten darf als eine SEPA-Zahlung. Wir müssen uns als Bank daher überlegen, welchen zusätzlichen Mehrwert wir etwa in der Risikosteuerung bieten können, um ein Erlöspotenzial zu erschließen. Zum Beispiel können Banken standardisierte Schnittstellen anbieten, mit den die Empfängerdaten automatisch aktualisiert werden.
Immer mehr mittelständische Unternehmen betreiben Online-Marktplätze, gerade auch im B2B-Bereich. Da werden oft entlang der Wertschöpfungskette nicht nur eigene Produkte angeboten. Was bedeutet dieses Geschäftsmodell aus Sicht des Zahlungsverkehrsanbieters?
Das ist in der Tat eine Entwicklung, die wir auch begleiten und die wir extrem interessant finden. Der Marktplatzanbieter konzentriert die Zahlungsströme bei sich und ist damit für uns ein besonders attraktiver Kunde. Außerdem sind die Herausforderungen vielfältig und spannend: Der Zahlungsverkehr muss in die Marktplätze integriert werden, um dem Kunden ein einfaches Einkaufserlebnis zu bescheren. Und der Marktplatzanbieter sollte integrierte Rechnungen anbieten und hinten die Erlöse an die einzelnen Lieferanten verteilen können. Außerdem operieren viele Marktplätze mit ganz unterschiedlichen, zum Teil nicht immer sehr gängigen Währungen – auch das ist eine sehr spannende Aufgabe für eine internationale Bank.
Im Zahlungsverkehr tummeln sich aber nicht nur Banken, sondern auch viele Tech-Unternehmen. Schützt die Regulatorik die Finanzinstitute vor dem großen Angriff branchenfremder Technologieunternehmen, weil diese das enge Korsett scheuen?
Tatsächlich hatte man vor zehn Jahren die Befürchtung, dass die großen Tech-Unternehmen die Banken beiseiteschieben könnten. Das ist nachweislich nicht passiert, und das hat sicherlich auch etwas mit Regulatorik zu tun. Stattdessen hat sich eine Symbiose entwickelt, in der alle Beteiligten ihre Stärken einbringen. In Summe ist der digitale Zahlungsverkehr heute ein sehr sinnvolles und gut funktionierendes Ökosystem.
„Programmierbares Geld für die Transaktion von Wertpapieren oder die enge Verknüpfung von Warenverkehr und Zahlungsströmen wäre ein echter Fortschritt.“
Ist dieses Ökosystem bereits stabil, oder wird sich der Markt in den kommenden Jahren weiter wandeln?
Das System hat sich als stabil erwiesen, wir werden aber weiterhin ständig Veränderungen erleben. Wir stehen immer auf den Zehenspitzen und schauen, aus welcher Richtung welche neue Dynamik kommt. Dabei können wir nicht nur darauf schauen, was die anderen Banken treiben – die Innovationen kommen aus den verschiedensten Richtungen.
Eine weitere Innovation könnte der digitale Euro sein. Welche Rolle wird er spielen?
Bislang ist der digitale Euro der Europäischen Zentralbank nur für die Retail-Seite konzipiert. Und hier darf man die Frage stellen, welches Problem – welcher „use case“ – für Konsumenten und Handel gelöst werden soll. Die Stärkung der europäischen Souveränität auch bei Zahlungslösungen ist sehr wichtig aus meiner Perspektive. Alle Beteiligten sollten dabei das Interesse haben, möglichst auf bestehender Infrastruktur aufzubauen.
Heißt das, der digitale Euro ist aus Sicht des Zahlungsverkehrs belanglos?
Ganz anders sähe es aus, wenn der so genannte digitale Wholesale-Euro käme. Dessen Mehrwert leuchtet vielen Marktteilnehmern ein: Programmierbares Geld für die Transaktion von Wertpapieren oder die enge Verknüpfung von Warenverkehr und Zahlungsströmen wäre ein echter Fortschritt. Für diesen digitalen Euro gibt es bislang noch keinen Zeitplan, aber nach meinem Eindruck gehen immer mehr Gedanken in diese Richtung.
Zum Schluss ein Tipp: Was können Mittelständler von großen Treasury-Abteilungen lernen?
Fokus, Fokus, Fokus – so gehen die Großen vor, und auch der Mittelständler ist gut beraten, sich auf das wirklich Wichtige in der Finanzabteilung zu konzentrieren. Und sich dafür der Digitalisierung zu bedienen: Es wird ein Wettbewerbsfaktor werden, wie integriert und effizient ein Mittelständler Liquidität, Zahlungen und Risiken steuern kann. Das bedeutet auch, dass sich die Profile der Mitarbeiter in der Finanzabteilung ändern. Ohne technikaffine Kollegen wird es künftig nicht mehr gehen. Aber der Mittelständler steht nicht allein vor dieser Herausforderung: Gerade in der Verbindung von Finanz-Knowhow und technischem Verständnis wollen wir als Bank unserem bereits erwähnten Anspruch gerecht werden, „der Treasurer des Mittelstands“ zu sein.
02/2025
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.