Wo bleiben die nachhaltigen Treibstoffe?

Europa macht der Luftfahrtindustrie strenge Vorgaben, wie hoch der Anteil nachhaltiger Treibstoffe sein soll. Doch die Vorgaben zu erfüllen, wird schwierig. Und noch schwieriger wird es, dabei wettbewerbsfähig zu bleiben.

Nachhaltiger Fliegen: Die Beimisch-Quoten nachhaltiger Treibstoffe (SAF) werden deutlich steigen, doch wird es überhaupt ausreichend SAF geben?

Nachhaltiger Fliegen: Die Beimisch-Quoten nachhaltiger Treibstoffe (SAF) werden deutlich steigen, doch wird es überhaupt ausreichend SAF geben? Foto: adobe stock

Ab 2025, so schreibt es die europäische ReFuelEU-Verordnung vor, sollen mindestens 2 Prozent der an europäischen Flughäfen getankten Treibstoffe nachhaltig sein. Klingt machbar, doch in späteren Jahren steigt die Quote an SAF – Sustainable Aviation Fuels – deutlich: 2050 müssen es mindestens 70 Prozent sein, die Hälfte davon synthetisch hergestellte E-Fuels. Zahlreiche andere Länder haben ebenfalls Quoten eingeführt oder planen eine Quotierung. Das stellt Fluglinien vor zwei grundsätzliche Probleme: Woher bekommen sie ausreichend SAF – und welche Folgen werden die möglichen Mehrkosten haben?

1 Billion Euro

– so viel muss in den kommenden 25 Jahren in neue SAF-Raffinerien investiert werden, damit die Branche das Net-Zero-Ziel erreichen kann.

Um zumindest die erste Herausforderung für sich zu lösen, sind viele Fluglinien zuletzt Verträge mit SAF-Produzenten wie Neste, Shell, Gevo oder OMV eingegangen. Doch es gibt viele Unsicherheiten. So könnten die derzeit geplanten Produktionskapazitäten zwar ausreichen, um den Bedarf gemäß der EU-Vorgaben bis 2030 zu erfüllen. Doch kommt es immer wieder zu Verzögerungen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: ein schwieriges Marktumfeld durch niedrige Preise oder nötige Zusatzinvestitionen im Bereich der Technologieentwicklung. Umso wichtiger sind für die Beteiligten feste Abnahmeverträge. Auch die Beteiligung an der Finanzierung ist ein wichtiger Baustein, damit schnell ausreichend SAF-Produktionskapazitäten aufgebaut werden können. 2023 lag der SAF-Anteil am Gesamt-Flugtreibstoffverbrauch weltweit erst bei 0,17 Prozent, in diesem Jahr dürfte er sich nach Angaben des internationalen Luftverkehrsverbandes IATA verdreifachen. Das sind noch überschaubare Mengen, 2023 wurden weltweit weniger als 1 Million Tonnen SAF produziert. Allein zur Erfüllung der ReFuelEU-Vorgaben werden bis 2030 aber jährlich 2,8 Millionen Tonnen benötigt. Die erforderlichen Investitionen in neue SAF-Raffinerien werden für die nächsten 25 Jahre auf insgesamt eine Billion Euro geschätzt, damit die Branche das Net-Zero-Ziel erreichen kann.

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Fette und Öle

Bislang ist der Aufwand noch relativ überschaubar, da derzeit vor allem Altspeiseöl und -fette sowie Tierfette und Pflanzenöle im sogenannten HEFA-Verfahren verarbeitet werden. Da diese Grundstoffe aber nur sehr eingeschränkt verfügbar sind, wird bereits an der Nutzung weiterer „Feedstocks“ der dritten Generation wie festen Biomasseabfällen, recyceltem Kohlenstoff, Forstabfällen und vor allem landwirtschaftlichen Reststoffen wie Stroh gearbeitet. Dennoch, hat der International Council on Clean Transport (ICCT) berechnet, könnte all das nicht ausreichen, um über 2035 hinaus die entsprechenden SAF-Quoten zu erfüllen.

Der ICCT warnt, dass frühzeitig mit dem Aufbau von SAF-Raffinerien, die über die HEFA-Technologie hinausgehen, begonnen werden sollte. Bislang entstehen diese aber überwiegend in den USA – nicht zuletzt angelockt von Fördergeldern aus dem Inflation Reduction Act (IRA). Damit können unter anderem Hausmüll oder Waldwirtschaftsabfälle verarbeitet werden.

Noch einmal deutlich aufwendiger dürfte sich der Aufbau von ausreichenden E-Fuel-Kapazitäten gestalten, auch wenn diese erst ab 2030, signifikanter ab 2035 beigemischt werden müssen. Die E-Fuel-Produktion, eine Weiterverarbeitung von grünem Wasserstoff, benötigt große Mengen an grüner Energie, Wasser und CO2. Letzteres bietet die Chance, beispielsweise durch Carbon Capturing CO2-Emissionen an anderer Stelle zu reduzieren – ist aber technisch und finanziell aufwendig. Dabei werden allein für die SAF-Produktion 2050 rund 100 Gigawatt Elektrolyse-Kapazität benötigt.

Langsamer Aufbau

Der Aufbau der Elektrolyse-Kapazitäten kommt nur langsam voran. Manch ein Projekt verschwindet sogar wieder in der Schublade. Das Problem: Die Finanzierung der notwendigen Erstprojekte ist eine große Herausforderung, weil bislang kein verlässliches Cashflow-Profil erstellt werden kann. Denn es fehlen schlichtweg die Abnehmer, die sich in ausreichender Zahl über einen längeren Zeitraum an den Elektrolyseur binden.

„Während „Bioabfall“-SAF etwa zwei- bis zweieinhalbmal so teuer ist wie fossiles Kerosin, kostet die E-Fuel-Produktion absehbar etwa 8-mal so viel.“

Das wiederum liegt am extrem hohen Preis. Während „Bioabfall“-SAF etwa 2- bis 2,5-mal so teuer ist wie fossiles Kerosin, kostet die E-Fuel-Produktion absehbar etwa 8-mal so viel, erklärt beispielsweise der Energieriese BP. Die Fluggesellschaften hoffen darauf, dass Folgeprojekte deutlich günstiger produzieren können, nachdem die Initialprojekte eine (teure) Lernkurve durchlaufen haben. Darum gehen sie keine langfristige, signifikante Bindung mit diesen „Breakthrough“-Projekten ein. Zu groß ist ihre Sorge, dass die Konkurrenz später deutlich günstiger einkaufen kann. Ein klassischer Teufelskreis: ohne Initialprojekte keine Erfahrungen; ohne Lernkurve wird es schwieriger, kostengünstigere Folgeprojekte aufzubauen. Und wie groß die Kosteneinsparungen in der Folge wirklich sein werden, ist ohnehin völlig offen.

Wackeln die Quoten?

Mit jedem Jahr wird es schwieriger, bis 2030 und danach die notwendigen E-Fuel-Kapazitäten zu errichten, denn von der Planung bis zum Produktionsstart vergehen mindestens sieben Jahre. Wenn jedoch absehbar die E-Fuel-Kapazitäten gar nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind, könnten die SAF-Quoten kippen. Der hohe Preis ist ein weiterer Grund, warum die Quoten wackeln könnten – denn es dürfte politisch sehr unpopulär werden, wenn sich das Fliegen deutlich verteuert. Dass in anderen Sektoren CO2-Reduktionen im vergleichbaren Umfang deutlich einfacher zu erreichen sind, könnte ein Festhalten an den Vorgaben zusätzlich erschweren.

Die Kostenentwicklung macht europäischen Fluggesellschaften und Flughäfen bereits jetzt Sorge. Denn wer von einem EU-Flughafen abhebt, unterliegt den EU-Vorgaben. Ein Industrievertreter rechnet vor: 2030 könnte ein Flug von Madrid nach Shanghai mit Zwischenlandung in Frankfurt rund 240 Euro mehr kosten – bei einer Zwischenlandung in Istanbul aber nur 60 Euro mehr. Das würde die EU-Standorte deutlich unter Druck setzen, Europa bliebe beim weiter wachsenden Flugverkehrsvolumen außen vor. Ob der Unterschied wirklich so deutlich ausfallen wird, ist unsicher, denn auch andere Nicht-EU-Länder dürften die Vorgaben verschärfen.

Will die EU ihre Quoten beibehalten, wird sie dafür sorgen müssen, dass ausreichend SAF auch über 2035 hinaus zur Verfügung steht. Sie wird – wie in Großbritannien gerade diskutiert – um staatlich garantierte Mindestpreise zur Absicherung der kostspieligen Investitionen in synthetisches SAF kaum herumkommen. Ähnlich der Contracts for Difference gleicht die Regierung das Delta zwischen Marktpreis und Garantiepreis aus; die Einnahmen könnten aus einer entsprechenden Abgabe für Fluggäste kommen. Doch wie die Regelung im Einzelnen aussehen könnte, ist noch ungewiss. Denn man möchte gern die Probleme wie beim Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vermeiden, als zu lange zu hohe Einspeisevergütungen für erneuerbaren Strom gezahlt wurden. Eine zu kurze Laufzeit der Mindestvergütung wiederum könnte die Investitionssicherheit der Erstlingsprojekte gefährden.

Eine Frage des Preises

Doch damit ist noch nicht das Problem der Mehrkosten gelöst. Skeptiker bezweifeln, dass die Herstellkosten durch Folgeprojekte und eine Skalierung der Produktionskapazitäten signifikant fallen werden. Denn zum einen wird die Nachfrage nach grünem Wasserstoff das Angebot auf viele Jahre absehbar übersteigen. In der Seefahrt, aber auch in der Industrie sind nicht-fossile Moleküle und E-Fuels ebenfalls alternativlos, um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Anders als Industriestandorte haben Fluglinien allerdings den Vorteil, dass sie nicht darauf angewiesen sind, das jeweilige Flugzeug auch wirklich mit der SAF-Beimischung zu betanken. Möglich macht das ein „Book & Claim“-Verfahren. Das erlaubt einer Airline – ähnlich wie bei Grünstromzertifikaten – SAF-Zertifikate zu kaufen, um die eigene SAF-Quote aufzufüllen. Dadurch ist die Airline nicht abhängig von der Verfügbarkeit am jeweiligen Abflughafen. Es reicht, wenn nur der zur SAF-Produktion nächstgelegene Flughafen SAF lagert und zur Beimischung ausgibt. Allerdings gibt es noch keinen anerkannten „Book & Claim“-Mechanismus zur Erfüllung der ReFuelEU-Quotenvorgaben, der einen Missbrauch der Zertifikate durch Mehrfachverwendung oder Fälschungen vollständig ausschließen kann.

Immerhin: Mit den Zertifikaten können Fluglinien zumindest einen Teil der Transportkosten einsparen und SAF vor allem dort produziert werden, wo die besten Bedingungen herrschen. Dennoch werden die Kosten im Vergleich zum fossilen Kerosin um ein Vielfaches höher liegen. Darum verfolgen die Airlines noch eine andere Strategie, um den absoluten Bedarf an SAF zu senken: die Anschaffung verbrauchsärmerer, neuer Flugzeugmodelle. Das Ziel lautet 25 Prozent weniger Verbrauch je Flug. Andere Fluggesellschaften wie die skandinavische SAS experimentieren mit Elektroflugzeugen für die Kurzstrecke – allerdings nur für bis zu 20 Passagiere. Immerhin, der Jungfernflug 2028 ist längst ausverkauft.

Auch wenn die Flugzeuge sparsamer werden: Sehr wahrscheinlich werden die Preise für Flüge in Zukunft deutlich höher sein. Damit Fliegen in und aus der EU nicht zu teuer wird und der Standort gefährdet wird, müsste es eine weltweite Verpflichtung zumindest aller relevanten Standorte der Flugbranche geben. Doch eine solche Einigung dürfte schwierig werden, unter anderem durch die Wiederwahl von Donald Trump. In anderen klimarelevanten Bereichen ist es auch nur bei einer allgemeinen Zustimmung zu Klimazielen geblieben, aber zu keinen einheitlichen Vorgaben gekommen. Schon heute verzichtet die EU auf eine Flugbenzin-Besteuerung, damit europäische mit Nicht-EU-Fluggesellschaften mithalten zu können. Die Luftfahrt in der EU steht vor einer ungewissen Zukunft.

11/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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