Die Infrastruktur der Zukunft

Mehr als 500 Milliarden Euro müssen bis 2045 in Ausbau und Modernisierung des deutschen Stromnetzes investiert werden. Wer wird von diesem gigantischen Markt profitieren?

Kabel, Kabel, Kabel: Um das deutsche Stromnetz fit für die Zukunft zu machen, müssen unzählige Kilometer neu verlegt werden.

Kabel, Kabel, Kabel: Um das deutsche Stromnetz fit für die Zukunft zu machen, müssen unzählige Kilometer neu verlegt werden. Bildquelle Foto: picture alliance / Carsten Rehder

Zwischen 280 und 320 Milliarden Euro – je nachdem, wie viel Leitungsstrecke in der Erde verlegt wird – wird allein der Auf- und Ausbau der großen Stromtrassen quer durch die Republik kosten. Hinzu kommen mindestens 200 Milliarden Euro, die in die Modernisierung regionaler und lokaler Verbundnetze investiert werden müssen. Das wären ab 2025 rechnerisch durchschnittlich mindestens 24 Milliarden Euro pro Jahr. „Dabei liegen diese Hochrechnungen noch am unteren Ende“, sagt Eric Heymann von Deutsche Bank Research. „Die steigende Nachfrage dürfte auch angesichts des Fachkräftemangels zu höheren Kosten führen.“ Das Institut für Energiewirtschaft der Uni Köln erwartet für die Verteilnetze sogar Gesamtkosten in Höhe von 430 Milliarden Euro.

Investitionen in Übertragungsnetze

Bis 2019 wurde nicht einmal die Hälfte davon investiert. Die Aufrüstung der Stromnetze ist eine gewaltige Aufgabe, die viel zu lange vernachlässigt worden ist. Während der Ausbau erneuerbarer Energien und die Elektrifizierung fossiler Verbraucher wie Heizung und Auto vorangetrieben wurden, scheint die notwendige Infrastruktur hinterherzuhinken. Misslingt die Stärkung der Netze, wird die Dekarbonisierung massiv ausgebremst. Doch wer kümmert sich eigentlich (neben den politischen Entscheidern) um den Netzausbau? Welche Gewerke sind notwendig, und welche Probleme kann es geben?

Grundsätzlich muss zwischen den vier großen Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) und den mehreren Hundert Verteilnetzbetreibern (VNB) unterschieden werden. Die Hoch- und Höchstspannungsleitungen des deutschen Stromnetzes sind im Zuge der Strommarktliberalisierung aus den integrierten Energiekonzernen herausgelöst und in eigenständige Unternehmen überführt worden: Im Osten gehören sie 50Hertz, im Südwesten TransnetBW, im Westen (und einem Teil Süddeutschlands) Amprion und in der Mitte, längs von Nord bis Süd, Tennet. Drei der ÜNB sind mehrheitlich in privater Hand, Tennet gehört (noch) vollständig dem niederländischen Staat, TransnetBW seit November 2023 zu 24,95 Prozent dem Bund. 20 Prozent an 50Hertz liegen in Händen der KfW, den Rest hält der belgische Netzbetreiber Elia.

„Wenn man es in Deutschland wirklich umsetzen will, ist es zu schaffen. “

Anke Hüneburg
ZVEI

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Die ÜNB sind für den Bau zentraler Hochleistungstrassen zuständig. Dabei geht es nicht nur um die zentralen Nord-Süd-Links, die Strom aus dem windreichen Norden in den industriereichen Süden transportieren. Auch Ost-West-Trassen müssen neu gebaut werden. Weil die Arbeiten dem Zeitplan hinterherhinken, wurden die Genehmigungsverfahren zuletzt verschlankt. Drei der Betreiber kooperieren unter dem Dach StromNetzDC für den Bau der wichtigsten Verbindungen, die durch die Gebiete mehrerer ÜNB gelegt werden müssen.

Investitionen in Verteilnetze

Doch nicht nur die vier ÜNB werden in den kommenden zwei Jahrzehnten massiv in Netze investieren, auch lokale Verteilnetze müssen ertüchtigt werden. Sie sind selten auf eine deutlich höhere Nachfrage oder Einspeisung ausgelegt – wenn beispielsweise eine Neubausiedlung Wallboxen installieren möchte oder PV-Strom einspeist. Bereits zur Jahresmitte 2024 sind in Deutschland mehr als sieben Gigawatt Solarkapazität hinzugekommen. Notwendig ist auch eine Modernisierung der Netztechnik, die den zunehmend dezentral produzierten Strom besser regelt. So könnten Netzbetreiber nicht nur schneller auf Schwankungen reagieren, auch Netzauslastung und Nachfrage wären effizienter: Wallboxen würden vor allem dann geladen, wenn das Stromangebot sehr hoch ist. Bessere Prognosemodelle können die zu erwartende Einspeisung von Wind- und Sonnenenergie genauer vorhersagen und bei Bedarf überschüssigen Strom dank intelligenter Steuerungssysteme in Batteriespeicher umleiten.

Das alles sind keine neuen Ideen und Lösungen. Doch ihre Umsetzung ist teuer, bis vor Kurzem meist unbezahlbar – wie die Installation größerer Speicher. Mit sinkenden Preisen bei gleichzeitig steigenden Erneuerbare-Energie-Kapazitäten, die nicht nur relativ zentral aus Solar- und Windparks kommen, sondern auch von „Prosumern“ mit eigenen PV-Anlagen, steigt der Investitionsdruck.

Schon heute sind die Stromnetze chronisch überlastet

Vor allem in (Tief)baumaßnahmen und ihre Planung sowie Elektrotechnik und Leitungen werden die Investitionen fließen. Unterschiedlichste Sektoren freuen sich auf Aufträge: Planungsbüros und Umweltgutachter sind für den Bau neuer Leitungsstrecken notwendig. Bauunternehmen kümmern sich darum, neue Trassen zu schaffen oder bestehende Leitungskanäle zu öffnen. Und Kabelproduzenten sind gefragt, die über das anspruchsvolle Know-how zur Herstellung der neuen Leitungen verfügen. Dazu braucht es noch viel neue Elektrotechnik, von den Sicherungskästen bis zu intelligenter Mess-, Regel- und Verteiltechnik. Auch dürften spezialisierte Softwareunternehmen eine größere Nachfrage erwarten. Schließlich könnten Maschinenbauer Aufträge erhalten, um die Fertigungskapazitäten in der Kabelherstellung zu modernisieren und zu erhöhen.

Was benötigt wird

Vieles passiert schon. Der Kabel- und Stromtrassenspezialist Köster hat Ende April 2024 von Amprion den Zuschlag für ein Teilstück der Offshore-Netzanbindung an Land erhalten. Im Auftrag von 50Hertz hat das Unternehmen Streicher den Prototyp eines Grabenschlittens zur Kabelverlegung in der Erde entwickelt. Siemens Energy kommt bei der Errichtung von Konverteranlagen für den zweiten Strang von SuedOstLink und dessen nördliche Verlängerung zum Zug. Die deutsche Tochter von Fluence Energy hat gemeinsam mit TransnetBW den Bau des weltweit größten netzintegrierten Speichervorhabens begonnen; der 250-Megawatt-„Netzbooster“ soll an einem der wichtigsten Knotenpunkte im deutschen Übertragungsnetz eine effizientere Betriebsweise ermöglichen.

„Die häufig kommunalen Verteilnetzbetreiber müssen plötzlich Investitionen in einem ganz neuen Ausmaß finanzieren.“

Felix Holz
Deutsche Bank

Doch nicht immer profitieren deutsche Unternehmen. Tennet und TransnetBW haben die US-amerikanische Jacobs Engineering Group als zentralen Dienstleister für die Planung, Genehmigung und Einholung weiterer Gewerke beauftragt. Mit der Lieferung und Verlegung von rund 2500 Kilometer Erdkabeln wurden Mitte 2020 das dänische Unternehmen NKT und Prysmian aus Italien betraut.

Die Grenzen des Wachstums

Obwohl das Gros der notwendigen Investitionen noch vor uns liegt, sind die Grenzen der Umsetzung absehbar. „Die Auftragsbücher sind randvoll“, berichtet Anke Hüneburg, Bereichsleiterin Energie im Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI. Mancher Hersteller einzelner Netzkomponenten wie Kabel oder Transformatoren ist bis 2030 ausgebucht. Allerdings zeichnen sich Material- und Personalengpässe ab. Zum einen fehlen bereits Fachkräfte, die Lösungen für die neuen Anforderungen entwickeln und umsetzen können – ein Problem vor allem für die Steuerung der Verbundnetze. Zum anderen ist Deutschland längst nicht allein mit seinen Ausbauplänen. Die Niederlande haben entschieden, ab 2023 die jährlichen Investitionen in das Stromnetz auf acht Milliarden Euro zu verdoppeln. Griechenland investiert in eine Großleitung nach Zypern und Ägypten, Indien baut Verbindungen in seine Nachbarländer, und die baltischen Staaten wollen sich vom russischen Stromnetz abkoppeln. Länder wie Marokko (Sonne) und Laos (Wasser) sehen ihre Chance als Stromexporteure und müssen ebenfalls kritische Leitungsnetze aufbauen.

Beim Ausbau der Netze ist noch viel zu tun

All das verblasst gegen die Investitionen Chinas. 2022 wurden 166 Milliarden US-Dollar ins Leitungsnetz investiert, mehr als im Rest der Welt zusammen. In diesem Jahr sind Investitionen von 70 Milliarden US-Dollar geplant. China steht vor ähnlichen Problemen wie Deutschland: Sonne und Wind gibt es im Westen, Verbraucher im Osten. All diese Vorhaben konkurrieren um die wenigen Unternehmen, die die notwendigen Erfahrungen und Kapazitäten mitbringen.

Und wer zahlt die Rechnung?

Dennoch ist ZVEI-Bereichsleiterin Hüneburg zuversichtlich: „Wenn man es in Deutschland wirklich umsetzen will, ist es zu schaffen.“ Auch Felix Holz von der Deutschen Bank sagt: Die Finanzierung ist möglich – eigentlich. Der Greentech-Experte beobachtet: „Die häufig kommunalen Verteilnetzbetreiber, also meist Stadtwerke, müssen plötzlich Investitionen in einem ganz neuen Ausmaß finanzieren. Das wird mit Kommunalkrediten allein nicht zu schaffen sein. Das benötigte Eigenkapital und Mezzanine wären sogar vorhanden, institutionelle Investoren wie Versicherungen stünden bereit. Dann wäre es notwendig, die kommunale Entscheidungshoheit mit diesen Investoren zu teilen – wozu längst nicht jeder bereit ist, wie mir scheint.“

„Voraussichtlich werden sich die geplanten Investitionen nicht allein mit Netzentgelten refinanzieren lassen.“

Eric Heymann,
Deutsche Bank Research


Auch die Refinanzierung über die Netzentgelte könnte problematisch werden. Schon jetzt steigen sie deutlich und sorgen für hohe Strompreise. Dabei passen höhere Strompreise nicht zum politischen Wunsch nach mehr Elektrifizierung von Mobilität und Heizung, zumal die Industrie schon jetzt unter den Energiepreisen leidet. „Voraussichtlich werden sich die geplanten Investitionen nicht allein mit Netzentgelten refinanzieren lassen“, sagt Heymann. Sprich: Der Staat setzt Steuergelder ein. Ein erster Versuch, den staatlichen Einfluss auf das Stromnetz zu erhöhen – der lang geplante Verkauf von Tennet an den deutschen Staat –, ist bekanntlich gescheitert.

11/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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