Im Automobilsektor eskaliert mancherorts gerade der Konflikt zwischen Zulieferer und Abnehmer. Doch auch in anderen Branchen ist die gegenseitige Abhängigkeit mitunter groß. Wie können Zulieferer unabhängiger von ihren Kunden werden?
Selbst die Großen sind davor nicht gefeit: Weil offenbar Apple einen Großauftrag storniert hat, muss das Unternehmen ams Osram nun bis zu 900 Millionen Euro auf sein neues Werk in Malaysia abschreiben. Der Sensor- und Lichtkonzern hatte eine neue 8-Zoll-Wafer-Fabrik gebaut und entsprechende Maschinen aufgestellt, um in diesem Jahr mit der Produktion der neuen MicroLED-Technik zu beginnen. Über die Gründe für die Absage wird spekuliert: Apple könnte die leistungsstarken, aber auch teuren Displays doch nicht in seiner Smartwatch und anderen Produkten einsetzen oder war mit der Leistung des Osram-Produkts unzufrieden. Die Fabrik wurde bereits wieder verkauft.
Zulieferer und Kunde, das ist schon immer ein fragiles Verhältnis gewesen. Zulieferer können mit ihren Kunden wachsen oder an ihren Kunden scheitern. Gerade das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis in der Automobilindustrie sorgt für Schlagzeilen. Fehlen beim Zulieferer wichtige Chips aus Asien, stehen die Bänder bei den Herstellern still. Nimmt der OEM aber, wie derzeit vielfach zu beobachten, nur einen Bruchteil der angekündigten Projekte im Bereich E-Mobilität ab, kommen Zulieferer in Bedrängnis.
„Die Substanz ist bei vielen Autozulieferern aufgezehrt.“
Hans Remsing, Automotive-Experte Deutsche Bank
Es war der legendäre Opel-Einkäufer José Ignacio López, der Ende der 1980er-Jahre öffentlichkeitswirksam die Preisschrauben bei den Zulieferern deutlich anzog. Damit sparte Opel zwar viele Kosten, doch auch die Qualität der Autos sank erheblich. Seitdem sind die Einkäufer der Autohersteller zwar medienscheuer, aber der Preisdruck ist weiter hoch. 2022 hat die Opel-Mutter Stellantis die Verträge mit ihren Zulieferern deutlich verschärft. Erst nach massiven Zuliefererprotesten wurden sie fünf Monate später wieder etwas entschärft – bevor Anfang dieses Jahres die Kosten gedeckelt wurden. Nun klagt Stellantis gegen vereinzelte Zulieferer, die die Lieferung trotz langjähriger Geschäftsbeziehung eingestellt haben. Weitere Zulieferer haben ihren Rückzug angekündigt. Die Bänder bei Stellantis drohen länger stillzustehen.
Schon Ende Februar hat der deutsche Verbindungselemente-Spezialist Kamax seine Lieferung an Stellantis eingestellt. Seitdem streiten sich Lieferant und Kunde vor Gericht, ein Stellantis-Werk musste kurzzeitig schließen, Kamax wartet auf vereinbarte Nachzahlungen. Das Ende des Rechtsstreits ist offen. Der Zulieferer weiß, dass Stellantis 18 bis 24 Monate benötigt, um einen Ersatz-Zulieferer zu finden. Doch er dürfte auch wissen, wie es Kiekert nach seinem „Lieferstreik“ bei Ford 1998 ergangen ist: Der Spezialist für Schließsysteme verlor seinen Großkunden für einige Jahre und geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten.
„Die Lage der Zulieferer ist im Automotive-Bereich seit einigen Jahren sehr schwierig“, erläutert Automobilexperte Hans Remsing von der Deutschen Bank. „Sie stehen nicht nur vor der doppelten Transformationsaufgabe Elektromobilität und Digitalisierung, sondern hatten mit der Halbleiterkrise sowie dem Preisanstieg bei Energie und Rohstoffen in kurzer Abfolge mehrere exogene Schocks zu verkraften. Die Substanz ist bei vielen aufgezehrt.“ Doch den angeschlagenen Zulieferern gelingt es meist nicht, ihre Preiserhöhungen weiterzugeben. Was können Zulieferer unternehmen, um gar nicht erst in diese Situation zu geraten?
I. Diversifizierung der Kundenbasis: Anstatt sich auf wenige Großkunden zu verlassen, sollten Zulieferer aktiv neue Kunden in verschiedenen Regionen (und vielleicht auch Branchen) gewinnen. So sind sie weniger anfällig für Nachfrageschwankungen.
II. Aufbau starker, partnerschaftlicher Kundenbeziehungen: Durch enge Zusammenarbeit, regelmäßige Kommunikation und gemeinsame Ziele lässt sich eine für beide Seiten vorteilhafte Partnerschaft etablieren. Das kann Vertrauen und Loyalität schaffen, vor allem erfahren Zulieferer früh von Nachfrageveränderungen.
III. Spezialisierung und exklusive Produkte und Dienstleistungen: Wenn Zulieferer Nischenprodukte, maßgeschneiderte Lösungen oder herausragenden Service bieten, sind sie schwerer zu ersetzen und mit Wettbewerbern zu vergleichen. Damit vermeiden sie eine rein preisgetriebene Verhandlung mit den Kunden, weil sie austauschbar wären.
IV. Aufbau eigener Marken und Vertriebskanäle: Mit Investitionen in die Markenbildung und den Direktvertrieb an Endkunden können Zulieferer die Loyalität ihrer Kunden erhöhen und sich eigene Zugänge schaffen. Letzteres könnte gerade bei einer hohen Abhängigkeit vom Handel helfen.
V. Vertikale Integration und Insourcing: Wer seine Wertschöpfungskette erweitert, kann sich unentbehrlicher machen.
VI. Verbesserung der internen Prozesse und Kostenstruktur: Mit einer kontinuierlichen Optimierung von Abläufen, Qualität und Kosteneffizienz können Zulieferer sich auf harte Verhandlungen mit Kunden vorbereiten. Doch Vorsicht: Wer nur die Kosten optimiert, könnte dadurch die eigene Flexibilität vernachlässigen. Nur eine schlanke und zugleich flexible Organisation kann auf Marktveränderungen reagieren.
VII. Wasserdichte Verträge: Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, um sich gegen die Risiken einseitiger Vertragsveränderungen abzusichern. Allerdings zeigt die Praxis, dass es oft genug erst vor Gericht eine verbindliche Einigung gibt – und das kostet Zeit.
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Einen Überblick über die wichtigsten Ansätze erhalten Sie im Kasten. Zwei besonders wichtige haben wir genauer analysiert:
„Es gibt auch im Automobilbereich Beispiele sehr erfolgreicher Zulieferer“, berichtet Automotive-Experte Remsing. „Die können es sich erlauben, auch einmal einen Pitch aus Preisgründen zu verlieren – weil sie wissen, dass der Kunde oftmals nach wenigen Monaten wieder zu ihnen zurückkommt. Und dann geht es oft um andere Faktoren als nur den Preis.“
Diese Unternehmen zeichnen sich durch ihre Fertigungsprozesse und ihre Qualität aus. Gerade in der Fahrzeugbranche legen OEMs vertraglich fest, dass Kosteneinsparungen durch zum Beispiel Effizienzgewinne direkt an den Kunden weitergereicht werden müssen. Doch sind beides Bereiche, die insbesondere deutsche Zulieferer bereits seit Jahren fortwährend optimieren. Allerdings helfen häufige, auch kleinere Innovationen und Anpassungen an den Produkten, dass die Preisdiskussion in den Verhandlungen mit den Kunden einen kleineren Raum einnimmt.
Zudem investieren deutsche Autozulieferer beispielsweise bereits massiv in Forschung und Entwicklung. Trotz schwacher Erträge und Wachstumsraten wandten sie laut „Industriemagazin“ 2022 rund 15,9 Milliarden Euro für Innovationen auf Ganz Asien hingegen nur 15,3 Milliarden Euro, USA lediglich 3,6 Milliarden Euro. Allerdings, kritisieren Experten, laufen sie bei ihren Entwicklungen zu häufig bereits gesetzten Trends hinterher – statt sich stärker vom Wettbewerb abzusetzen.
Weiterer Ansatz: die Diversifizierung der Kundenstruktur. Dazu gehört beispielsweise, nicht allein in Europa zu produzieren, sondern in den wichtigsten Weltregionen wie auch Nordamerika und Asien nah am (potenziellen) Kunden zu sein. Damit rücken auch neue Kundensegmente in den Fokus – beispielsweise neue chinesische und US-amerikanische Hersteller. „Jeder zweite deutsche Autozulieferer, zeigte unsere Erhebung, sieht Start-up-OEMs wie Nio, BYD oder auch Tesla als wichtigen Teil der eigenen Kundenstrategie“, berichtet Remsing. Ein Viertel der durch die Deutsche Bank Befragten sieht bei den Neulingen attraktives Ertragspotenzial.
Eine noch weitergehende Diversifikation wäre die Ansprache branchenfremder Kundensegmente. Wenn der Kunststoffzulieferer der Automobilindustrie nun auch Produkte für die Medizintechnik herstellen würde, wäre die zyklische Abhängigkeit einer Branche entschärft. Tatsächlich beschäftigt sich ein Großteil der Autozulieferer genau mit diesen Themen. Doch was in der Theorie gut klingt, ist in der Praxis schwierig umzusetzen: Es braucht Zeit, neue Ansprechpartner kennenzulernen und passende Vertriebsstrukturen aufzubauen. Auch können die entsprechenden Zertifizierungen deutlich zeitaufwendiger sein als gewohnt. Und schließlich muss all das geschafft werden, ohne dabei das intensive bisherige Geschäft zu vernachlässigen. „Von innen heraus aus einer bestehenden Struktur ist das kaum zu schaffen“, urteilt Remsing.
Doch ein Zukauf könnte helfen. Immerhin wollen 42 Prozent der Autozulieferer zukaufen, vor allem, um neue Märkte zu erschließen. Aber auch das muss man erst einmal finanzieren können. Zulieferer, egal welcher Branche, sollten daher so früh wie möglich darauf achten, gar nicht erst in eine Abhängigkeit zu geraten. Auch wenn es manchmal das Wachstum verlangsamt.
05/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.