Der Fleischkonsum in Deutschland sinkt seit Jahren. Die Fleischproduzenten reagieren ganz unterschiedlich darauf. Welche Strategie verspricht am meisten Erfolg?
„Fleisch ist mein Gemüse“, nannte der Satiriker und Musiker Heinz Strunk seine vor 20 Jahren erschienene Autobiografie. Seitdem hat sich viel getan im Land der 1.000 Wurstsorten: Seit dem Rekordjahr 2016 werden inzwischen 1,3 Millionen Tonnen Fleisch weniger produziert, ein Rückgang von knapp 16 Prozent. Im Vergleich zu den Neunzigerjahren isst im Durchschnitt jeder Deutsche 10 Kilogramm Fleisch weniger pro Jahr. Allein 2022 ist der Fleischkonsum um 8 Prozent gesunken. Der Rückgang betrifft alle Fleischsorten und ist nicht auf einzelne Lebensmittelskandale oder Epidemien zurückzuführen, die in der Vergangenheit immer wieder mal zu Rückschlägen geführt hatten. Zwei Gründe sind entscheidend: Ein gewachsenes Bewusstsein über die Auswirkungen der Fleischproduktion auf Klima, Tierwohl und Gesundheit führt zum schrittweisen Umdenken bei den Konsumenten. Hinzu kamen zuletzt die 2022 um 14,6 Prozent gestiegenen Fleischpreise, die die Lust der Konsumenten gedämpft haben. Der Trend dürfte sich in Summe auch dann nicht umkehren, wenn die Inflationsraten wieder sinken.
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Rückgang des Fleischkonsums in Deutschland allein 2022.
Wie reagieren die Unternehmen auf diesen strukturellen Rückgang? Grundsätzlich gibt es zwei Strategien in schrumpfenden Märkten: Kosten senken oder Umsätze erhöhen; Letzteres entweder durch höhere Marktanteile auf Kosten des Wettbewerbs oder durch das Erschließen neuer Märkte. Höhere Marktanteile können anorganisch durch Zukäufe oder organisch durch Produktverbesserungen, Marketingmaßnahmen etc. erreicht werden. Neue Märkte lassen sich ebenfalls mit Zukäufen, aber auch mit neuen Produkten und neuen Zielgruppen erschließen. So weit die Theorie.
In der Praxis ist es allein mit weiteren Kosteneinsparungen schwierig. Die Branche hat in den vergangenen Jahren auf Größe und geringe Kosten mit Massentierhaltung und niedrigen Löhnen gesetzt. Die Top-10-Schlachtereien in Deutschland kommen zusammen auf über 80 Prozent des Gesamtmarkts. Die größten drei erreichen fast 60 Prozent, Marktführer Tönnies macht davon mehr als die Hälfte aus. Schrumpfen sie nun, verlieren sie an Skaleneffekten und könnten zunehmend Schwierigkeiten mit der Marge bekommen.
Der Handel macht Druck: Aldi stellt sein Fleischangebot auf höhere Haltungsformen um, Lidl will in Zukunft weniger Fleisch anbieten und mehr pflanzliche Alternativen.
Erfolgversprechender scheint es, auf die veränderten Kundenanforderungen einzugehen, um Umsätze zu halten oder zu erhöhen. In den vergangenen Jahren wurde beispielsweise die Herkunft von Fleisch transparenter gemacht; inzwischen werden Angaben zur Haltung der Tiere vor der Schlachtung auf die Packungen gedruckt. Andere Hersteller sprechen mit Marketingmaßnahmen gezielt bestimmte Kundensegmente („Hobbykoch“; „Biofleisch“) an, um so Marktanteile zu erringen. Für Aufmerksamkeit sorgte die Ankündigung von Discounter Aldi, das eigene Frischfleischsortiment bis 2030 auf die höheren Haltungsformen umzustellen. Konkurrent Lidl geht noch einen Schritt weiter und kündigt bereits bis 2025 eine Reduzierung des eigenen Wurst- und Fleischangebots an. Stattdessen soll das pflanzliche Angebot ausgebaut werden.
Weltweit stellen sich die Fleischproduktionskonzerne auf einen Wandel hin zu pflanzlichen Alternativen oder künstlich gezüchtetem Fleisch ein. Bereits 2015 hat Wiesenhof zwei vegane Produkte lanciert. Nachdem Clemens Tönnies noch 2018 die Produktion pflanzlicher Fleischalternativen einstellen ließ, hat der Konzern seit rund einem Jahr den Veggie-Bereich unter Führung seines Sohns wiederbelebt.
Die Konkurrenz ist ebenfalls aktiv: Vion Foods aus den Niederlanden, dessen deutsche Tochter hierzulande zweitgrößter Fleischhersteller ist, produziert unter „ME-AT“ sojabasierte Fleischalternativen. Die PHW-Gruppe, Nummer 4 in Deutschland, ist 2018 eine strategische Partnerschaft mit SuperMeat aus Israel eingegangen, das Hähnchenfleisch aus Zellen gewinnen will. Im Jahr darauf haben die Geflügelspezialisten aus Niedersachsen in Redefine investiert. Das ebenfalls in Israel ansässige Unternehmen verspricht Fleischalternativen aus dem 3-D-Drucker. Weitere, teils indirekte Beteiligungen folgten, darunter LikeMeat (ein Hersteller veganer Nahrung aus Deutschland), NoMeat (die Alternatives-Protein-Marke des britischen Tiefkühleinzelhändlers Iceland Foods) und Dutch Weed Burger (ein Produzent von Fleischersatz auf Algenbasis). 2020 startete PHW auch eine eigene Vegan-Marke namens Green Legend.
Bei der Umstellung auf Alternativen versuchen sich die Fleischproduzenten an Eigenentwicklungen oder beteiligen sich an Start-ups, die eigene Produkte entwickeln. US-Fleischriese Tyson Foods war nicht nur an Beyond Meat beteiligt, sondern unterstützt unter anderem auch Memphis Meats und Future Meat Technologies, zwei Laborfleisch-Unternehmen.
Doch nicht immer ist hinter den zahlreichen Beteiligungen und Eigenentwicklungen eine stringente Strategie zu erkennen; manches wirkt wie Aktionismus einer verunsicherten Branche, die nach Antworten auf einen wachsenden Veganer- und Vegetarier-Anteil in der Bevölkerung sucht. Das Problem ist die Unreife vieler Fleischersatzangebote, die geschmacklich oft genug noch nicht überzeugen können – erst recht nicht die Konsumenten, die heute noch bewusst Fleisch essen. Die Hersteller von In-Vitro-Fleisch arbeiten gerade erst am Hochfahren ihrer Produktion.
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der Deutschen ist bereit, mehr Geld für pflanzliche Alternativen auszugeben als für Fleisch.
Maple Leaf Foods aus Kanada musste schon 2021 resümieren, dass es das Investment ins Pflanzen-Protein-Geschäft an „die Marktchancen anpassen“ werde: Die von Marktbeobachtern vorhergesagten Wachstumsraten seien wohl unrealistisch. Für Deutschland gilt diese Entwicklung offenbar nicht – das Land der Wurstliebhaber sticht in Europa heraus als wichtigster Markt für pflanzliche Nahrung mit dem höchsten Anteil von Vegetariern und Veganern. Zu diesen 10 Prozent kommen weitere 30 Prozent, die sich als Flexitarier bezeichnen: Sie schränken ihren Fleischkonsum bewusst ein, verzichten aber nicht ganz darauf. Darüber hinaus, das hat die Ernährungsinitiative ProVeg Mitte 2021 in einer Umfrage herausgefunden, ist ein Viertel der Deutschen bereit, mehr Geld für pflanzliches „Fleisch“ auszugeben als für klassisches Fleisch – vorausgesetzt, es schmeckt genauso wie das gewohnte Fleisch und hat die gleiche Textur.
Die Unsicherheit, wie sich der Fleischmarkt entwickeln wird und welche Rolle die heutigen Platzhirsche in diesem Markt noch spielen werden, ist groß. Die Inflation 2022 hat zu einem deutlichen Preisschub geführt und viele preisbewusste Verbraucher zu Einsparungen gezwungen. Wenn die Discounter zunehmend auf Alternativen oder höherpreisiges Fleisch setzen, dürfte das den Fleischkonsum nicht erhöhen. Auch der Export verspricht keine Unterstützung; von 2017 bis 2022 sind die Fleischausfuhren um 19,3 Prozent zurückgegangen. Herausfordernde Jahre liegen vor der deutschen Fleischbranche.
05/2023
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.