» Wir müssen viel rigoroser werden «

Die Energiewende ist wichtig wie nie. Dass wir sie schaffen können, davon ist Energieexperte Volker Quaschning fest überzeugt. Aber dafür müssen alle mit anpacken – auch die Unternehmen.

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Foto: Silke Reents

Herr Quaschning, haben wir in 15 Jahren regenerative Energien im Überfluss?

Wenn wir die Energiewende konsequent umsetzen, werden wir in 15 Jahren zeitweise in Energie ertrinken, weil wir in erster Linie auf Solar und Wind setzen. Es wird aber auch Zeiten von Knappheit geben, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht – das können wir über Speicher und intelligente Netze lösen.

Wie konsequent werden wir sein? Wird die finanzielle Belastung durch die geopolitische Krise die Energiewende bremsen oder der Drang nach Unabhängigkeit sie sogar fördern?

Die Krise wird den Umbau beschleunigen. Ich musste mir in den letzten 30 Jahren oft anhören, dass erneuerbare Energie viel zu teuer sei. Wir haben immer auf die Abhängigkeit von importierter fossiler Energie verwiesen – aktuell sehen wir, wie groß die Gefahr ist. Und mittlerweile sind die regenerativen Energieträger sogar die günstigsten. Aber die Energiewende erfordert eine enorme Anstrengung: Heute decken wir erst 20 Prozent unseres gesamten Energiebedarfs aus regenerativen Quellen. Für 100 Prozent müssen wir Solar um den Faktor zehn und Wind um den Faktor drei steigern. Um das in 15 Jahren zu erreichen und von Importen unabhängig zu sein, müssen wir den jährlichen Zubau versechsfachen.

Kurzporträt Professor Volker Quaschning

„In Deutschland kann man derzeit leichter eine Munitionsfabrik errichten als eine Windkraftanlage.“ Mit solch provokanten Aussagen erreicht Volker Quaschning ein breites Publikum. Seit mehr als 30 Jahren ist der Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin ein glühender Verfechter Erneuerbarer Energien. In unterhaltsamen Podcasts und in dem aktuellen Buch „Energierevolution jetzt!“ beleuchtet er gemeinsam mit seiner Frau in einer Mischung aus Wissenschaft und Leidenschaft die unterschiedlichsten Aspekte der Energiewende.

Klingt nicht nur aufwendig, sondern auch teuer. Wird Energie denn auch mal wieder billiger?

Langfristig schon, kurzfristig nicht. Fossile Energieträger werden vermutlich dauerhaft auf einem höheren Preisniveau bleiben als gewohnt. Und die Zeit des Umbaus ist eine Zeit der Investitionen. Der Preis hängt aber natürlich auch davon ab, wie wir die Rahmenbedingungen der Energiewende gestalten und wie rasch wir vorankommen.

Wo hakt es?

Wir müssen viel rigoroser in der Umsetzung werden. In Deutschland kann man derzeit leichter eine Munitionsfabrik errichten als eine Windkraftanlage. Für Solar brauchen wir viel privates Engagement, für Wind eine durchsetzungsstarke Politik. Ohne geht es nicht – Wasserstoff wird es nicht richten, weil er teuer ist und viel Energie bei Herstellung, Transport und Umwandlung verloren geht. Wir sind bislang einfach zu langsam.

„Der Staat darf nicht davor zurückschrecken, klare Rahmenbedingungen vorzugeben.“

Was muss passieren?

Der Staat darf nicht davor zurückschrecken, klare Rahmenbedingungen vorzugeben. Wir sollten Fahrverbote und Zulassungsverbote für Verbrenner beschließen. In Paris darf ab 2025 kein Diesel mehr fahren. Außerdem sollten wir Gas- und Ölheizungen schlicht verbieten und Investitionen in neue Technologien für fossile Energien unterbinden. Auf globaler Ebene müssen wir die Förderung der Klimakiller beenden: Weltweit fließen jährlich mehr als fünf Billionen Euro in die Subvention fossiler Energieträger.

Treibt denn die ESG-Regulierung für Unternehmen und Finanzbranche die Energiewende sinnvoll voran?

Schon, aber zu langsam. Es ist gut, wenn Unternehmen zum nachhaltigen Handeln angehalten werden. Und es ist auch gut, wenn die Kapitalbeschaffung für fossile Energien schwieriger und teurer wird. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit – darum brauchen wir zusätzlich Vorgaben und Beschränkungen.

Energie war immer eine zentrale, staatliche Aufgabe, mit den Erneuerbaren ist daraus ein dezentrales Thema geworden. Ist das bei den Unternehmen schon angekommen?

Ich glaube schon. Bei vielen Unternehmen hat in den letzten Jahren ein Umdenken eingesetzt. Viele spüren heute den Schmerz hoher Energiepreise. Wer auf erneuerbare Energien umgestellt hat, besitzt schon heute Wettbewerbsvorteile. Das macht auch die nachdenklich, die bislang noch nicht gehandelt haben.

„Für Solar brauchen wir viel privates Engagement, für Wind eine durchsetzungsstarke Politik.“

Was können Unternehmen denn konkret tun?

Viel, das ist ja der Charme der dezentralen Struktur: Jeder kann handeln. Ganz oben steht natürlich das Energiesparen, da gibt es unglaublich viel Potenzial. Ein Beispiel: Die Raumtemperatur um nur ein Grad zu senken spart sechs Prozent der Heizkosten. Unternehmen mit eigenem Immobilienbestand sollten unbedingt Fotovoltaikanlagen integrieren. Auch die Fuhrparks sind ein wichtiger Hebel – leider spielen Elektroautos oft immer noch keine Rolle. Unternehmen haben auch die Möglichkeit, vor Ort Partner zu suchen, die grünen Strom produzieren. Und schließlich kann jedes Unternehmen über einschlägige Anbieter hundertprozentig grünen Strom beziehen.

Wenn plötzlich alle grünen Strom kaufen wollen, sind die Anbieter doch vollkommen überfordert …

Das ist richtig, aber die Nachfrage führt zum Bau neuer Anlagen. Das ist sehr sinnvoll, selbst man die Klimaziele mal außen vor lässt. Für Unternehmen gilt nämlich dieselbe ökonomische Ratio wie für uns als Gesellschaft: Die verlässliche Versorgung hat oberste Priorität, und die können wir nur mit in Deutschland produzierten Ressourcen sicherstellen. Die zweite Komponente ist der Preis, und da haben sich die Parameter in den vergangenen Jahren zugunsten der Erneuerbaren verschoben. Zunächst müssen Unternehmen zwar eine relativ hohe Summe vorfinanzieren. Sie erhalten dafür aber Versorgungssicherheit und nicht nur einen niedrigen, sondern auch einen stabilen Energiepreis – das Risiko stark schwankender Kosten kann mit erneuerbaren Energien ausgeschaltet werden.

5/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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