Retten neue Gebühren die Reisebüros?

Vor Ort beraten lassen, aber online buchen – darunter leiden auch Reisebüros. TUI-Reisebüros verlangen jetzt Beratungsgebühren. Doch es gibt auch viele Bedenken. Trotzdem auch für andere Branchen eine Antwort auf Online-Wettbewerber?

Retten neue Gebühren die Reisebüros

Beratung bei TUI – wenn’s ausführlicher wird, kostet es jetzt extra. Foto: picture alliance/Robin Utrecht

Nach dramatischen Umsatzeinbrüchen in der Pandemie sucht die Tourismusbranche dringend nach neuen Einnahmequellen. Besonders hart hat es den „stationären Touristikeinzelhandel“, die Reisebüros, getroffen: Zum einen waren Urlaubs- und Geschäftsreisen kaum noch möglich, zum anderen konnten Reisebüros selten für Publikumsverkehr öffnen. Dabei war der Druck auf die Büros schon vorher massiv – und kam gleich von zwei Seiten.

Erstens zogen Online-Konkurrenten (und die Websites der Veranstalter) wie fast überall im Handel Kunden vom stationären Geschäft zu sich herüber. Die schnelle Vergleichbarkeit von Leistungen und die Werbung mit „dem garantiert besten Preis“ führten dazu, dass der Markt paritätisch zwischen Online- und stationären Reisevermittlern geteilt ist. Zum zweiten lagerten die Reiseanbieter selbst immer mehr Leistungsaufwand an die Kunden aus. Einige Reisebüros übernehmen diesen Mehraufwand – von der Organisation von Visa bis zur Kombination komplexer Reisebausteine, um mit Service gegenüber dem Online-Wettbewerb punkten zu können. Das funktioniert allerdings nur gegen Bezahlung, weil der Aufwand längst zu hoch geworden ist. Wichtige Anbieter wie Lufthansa zahlen nämlich keine Provisionen mehr; Tickets werden zum gleichen Preis online und stationär angeboten. Das Reisebüro muss einen Aufschlag erheben, um an der Vermittlung zu verdienen.

Chance, die Margen zu steigern

Mit dem Modell von TUI – das einem ähnlichen Vorstoß von DER Touristik und Europas größtem Reiseverbund QTA (Quality Travel Alliance) folgt – geht die Reisebranche noch einen Schritt weiter. Je nach Leistungsumfang gibt es seit Mitte Mai zwei unterschiedliche Pakete, die abhängig vom Preis der Reise noch einmal gestaffelt sind. Mit dem Startpreis von 25 Euro wird nicht jedes Gespräch gleich gebührenpflichtig, aber TUI will das Bewusstsein verankern, dass komplexere Beratung mehr kostet. Bewusst sind diese Beratungskosten auf eine Buchung nicht anrechenbar. Solche „Gutschein“-Modelle haben einige Reisebüros eingeführt, um „Beratungsklau“ zu verhindern: wenn sich Kunden kostenlos im Reisebüro ausführlich beraten lassen, dann aber günstiger woanders buchen. Das TUI-Modell hingegen soll Mehrerlöse generieren. Nach Angaben der QTA, die unter anderem einen Versicherungsbaustein in ihrem Paket hat, sollen ihre Pakete sehr gut ankommen. 2019 seien etwa 3.000 bis 4.000 der „Quality-Plus“-Pakete in der Woche verkauft worden. Damit würden die Reisebüros ihre Marge um 2 Prozentpunkte steigern können.

„Die Provisionskürzung kommt sowieso – ob mit Beratungsaufschlag oder ohne.“

Markus Heller, Dr. Fried & Partner

Viele Reisebüros stehen den neuen Beratungsaufschlägen dennoch kritisch gegenüber. Ihre große Sorge: Unterm Strich könnten sie trotz neuer Einnahmen verlieren, weil die Reiseveranstalter ihnen in der Folge die Provisionen kürzen würden. Markus Heller, Geschäftsführer beim auf die Touristikbranche spezialisierten Beratungshaus Dr. Fried & Partner, ist aber überzeugt: „Die Provisionskürzung kommt sowieso – ob mit Beratungsaufschlag oder ohne.“ Die Provisionen stehen schon seit Jahren unter Druck, da die Reiseanbieter nach Wegen suchen, Kosten zu senken.

Auslaufmodell Provisionsgeschäft?

So könnte das etablierte „Handelsvertreter-Modell“ – die Verkäufer werden von den „Herstellern“ entlohnt statt direkt von den Kunden – langsam ausrangiert werden. Wenn es keine Provisionen mehr gibt, muss der Kunde offen für Beratung und Vermittlung zahlen. Durch die Preisbindung der Veranstalter können die Reisebüros anders als zum Beispiel im Autohandel ihre Preise (und eventuelle Rabatte) nicht einfach anpassen. Damit entsteht Preistransparenz, weil der Kunde klarer Netto-Reisepreis und Reisebürokosten voneinander trennen kann. Nicht jedem Reisebüro gefällt so viel Transparenz, zumal die Online-Konkurrenz dank niedrigerer Kosten mit günstigeren Aufschlägen punkten kann. Berater Heller versteht die Sorge: „Wir haben diese Entwicklung bereits in den Niederlanden beobachtet; die E-Commerce-Anbieter haben niedrigere Kosten, die sie an ihre Kunden weitergeben können. Darum erwarte ich, dass der Online-Bereich von jetzt 50 Prozent Marktanteil in absehbarer Zeit auf 55 bis 60 Prozent steigen wird.“ Dennoch hält er den eingeschlagenen Weg von DER, TUI und QTA für unvermeidlich, wollen die Reisebüros überleben.

In anderen Branchen gibt es die Abkehr von Provisionen zum Teil bereits, beispielsweise durch Honorarberatung bei Versicherungen. Mehrheitlich durchgesetzt hat sich das Honorarberatungsmodell aber bislang nicht, obwohl es vom Gesetzgeber gefördert wird und die Versicherungen zunehmend Nettotarife im Angebot haben. Doch nicht nur bei den Vermittlern, sondern auch beim Kunden findet das Modell wenig Anklang. Einer aktuellen Studie zufolge glauben selbst Versicherer, die Nettotarife anbieten, nicht daran, dass das Honorarmodell auf absehbare Zeit eine entscheidende Rolle spielen wird. Dabei liegt der Vorteil der Aufteilung auf der Hand: Der Kunde kann klar die Beratung vom Produkt unterscheiden und muss nicht fürchten, dass ihm vor allem das provisionskräftigste Produkt empfohlen wird.

„Service hat einen Wert, und Kunden sind bereit, dafür zu zahlen.“

Florian Pfeiffer, Deutsche Bank

Der Trend zur Bepreisung von Service-Leistungen ist bereits deutlich in anderen Branchen zu erkennen. Beispiel Werkzeuge: Statt eine Spezialbohrmaschine zu verkaufen, die dann nur für wenige Stunden im Jahr zum Einsatz kommt, wird sie direkt verliehen – Lieferung zum Einsatzort inklusive. (Mehr zum Thema Asset as a Service finden Sie auch hier) Auch Banken denken darüber nach, vom „mit dem Produkt ist jeder Service schon eingekauft“ abzurücken und besondere Serviceleistungen separat zu bepreisen. Florian Pfeiffer hat bei der Deutschen Bank viele Geschäfts- und Firmenkunden befragen lassen, wie wichtig ihnen welche Serviceelemente sind. Das Ergebnis: Es gibt die Kunden, die bestimmte Services am liebsten selbst steuern – und die, die es sehr schätzen, wenn die Bank den Service erbringt. Für den Leiter Firmenkundenservice Deutschland heißt das: Mehr Services online für den Self-Service zur Verfügung stellen und zugleich aber Mehrwert-Service-Leistungen kostenpflichtig anzubieten, die dann aber auch sehr kurzfristig und vom Spezialisten erledigt werden. Davon nimmt Pfeiffer allerdings ausdrücklich den Relationship-Bereich aus: „Der klassische Bankberater, der einen Unternehmer in strategischen Fragen etc. begleitet, ist davon nicht betroffen.“ Die Kunden, hat Pfeiffer beobachtet, nehmen das Angebot sehr gut an, auch weil sie unter unterschiedlichen Preisoptionen wie Einmal-Leistung oder regelmäßige Leistung wählen können. „Service hat einen Wert, und Kunden sind bereit, dafür zu zahlen“, ist Pfeiffer sicher.

Österreich und Schweiz als Vorbild

Auch in der Reisebranche, zumindest in Österreich und in der Schweiz. Dort gibt es den kostenpflichtigen Beratungsaufschlag schon lange und mittlerweile ist er auch etabliert. Allerdings seien die beiden Märkte nicht mit der in Deutschland beliebten „Kostenlos-Kultur“ zu vergleichen, sagt Heller. Außerdem habe es in Österreich geholfen, dass dank enger Verbandsarbeit keine Reisebüros ausgeschert sind. „Der direkte Konkurrent für ein stationäres Reisebüro mit Serviceentgelt ist weniger der Online-Anbieter, sondern das konkurrierende Reisebüro im Ort, das auf das Entgelt verzichtet.“ Diese Dumping-Strategie sei aber in Deutschland kaum zu verhindern. Darum empfiehlt Berater Heller eine klare Ausrichtung der Reisebüros Richtung anspruchsvoller Beratung und entsprechender Klientel: „Wer nicht bereit ist, zum Beispiel für eine gute Reiseplanung zu zahlen, dürfte für ein Reisebüro ohnehin kaum ein profitabler Kunde sein.“

Ob sich die neuen Beratungsaufschläge durchsetzen, wird sich wohl erst in wenigen Jahren zeigen – in der Schweiz und in Österreich hat es Jahre gebraucht, bis sich die Kunden umgewöhnt hatten. Auch in Deutschland ist die Diskussion um die Beratungsaufschläge alt. Dass jetzt auch Riesen wie DER und TUI solche Aufschläge einführen, liegt auch daran, dass die Corona-Krise den Reisebüros eine alternative Einkommensquelle verleidet hat: als eigener Veranstalter aufzutreten, der Reiseelemente miteinander kombiniert und als Veranstalter den Preis selbst festlegen kann. Die Insolvenzen von Thomas Cook und anderen in der Branche haben auch die Grenzen der bisherigen Versicherungslösungen aufgezeigt. Experten schätzen, dass die Versicherungen künftig kleinere Reiseveranstalter deutlich seltener versichern werden – oder zu Konditionen, die sich für Reisebüros als Reiseveranstalter nicht lohnen werden. Dann bleibt vielen nur der Griff in den Geldbeutel der Kunden.

05/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.