Hat die Bauwirtschaft momentan nicht andere Sorgen als Nachhaltigkeit? Im Gegenteil – denn mit den richtigen Lösungen bieten sich neue Absatzchancen. Schüco und Goldbeck machen vor, wie es geht.
„Nein, die Auswirkungen der Krise am Bau spüren wir nicht“, sagt Felix Jansen von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB. Der Zulauf sei so groß wie noch nie, nur wenige Mitglieder hätten bislang wegen der schwierigen Baukonjunktur gekündigt. „Wir sehen vielmehr, dass sich jetzt viele Unternehmen melden, die sich zum ersten Mal mit Nachhaltigkeit befassen.“ Wer schon aktiv ist, baut seine bestehenden Aktivitäten rund um nachhaltiges Bauen aus, beobachtet Jansen. Als die Branche boomte und Schwierigkeiten hatte, die große Nachfrage überhaupt zu befriedigen, sei oft wenig Zeit gewesen für Nachhaltigkeitsthemen. „Natürlich sehen wir auch nachhaltige Bauprojekte, die gestoppt wurden. Aber das trifft in der Regel das ganze Projekt, nicht die Nachhaltigkeitsaspekte allein“, betont Jansen.
„Jetzt melden sich viele Unternehmen, die sich zum ersten Mal mit Nachhaltigkeit befassen.“
Felix Jansen, DGNB
Die Bauunternehmen sehen, dass für Auftraggeber, Investoren oder auch die Kommunen ESG-Aspekte ein wichtigeres Kriterium sind als noch vor wenigen Jahren. Wer will in dieser Lage auf einen Auftrag verzichten müssen, weil Nachhaltigkeitsaspekte im Angebot fehlen?
Entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Bau setzen sich Unternehmen mit Nachhaltigkeit auseinander. Der Druck kommt auch von politischer Seite. Bis 2045 soll, so die Vorgabe aus dem Bundesbauministerium, der Gebäudebestand in der Nutzung klimaneutral sein. Immerhin 38 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen entfallen auf den Bau- und Gebäudesektor. Doch es geht nicht um Energie und CO2 allein, auch Ressourcenschonung, Erhalt der Biodiversität und eine nachhaltige Beschaffung sollen verbessert werden. Das Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude (QNG), das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) und eine Plattform mit Daten zur Gebäudeökobilanzierung sollen bei der Umsetzung helfen und die Erfüllung von Vorgaben kontrollieren. Auch die DGNB, Europas größtes Netzwerk für nachhaltiges Bauen, bietet eine weltweit anerkannte Zertifizierung an.
Goldbeck, „Lebenszykluspartner“ für gewerbliche und kommunale Immobilien und bekannt für sein serielles „Bauen mit System“, hat mehrere seiner Produkte durch die DGNB vorzertifizieren lassen. Beispielsweise die Systeme für Logistik- und Produktionshallen, Bürogebäude und Parkhäuser sowie Gebäude im Betrieb. „Doch Nachhaltigkeit kann es dauerhaft nur geben, wenn auch die ökonomische Performance stimmt“, sagt Michael Six, Geschäftsführer von Goldbeck Deutschland und zugleich Chief Sustainability Officer der Unternehmensgruppe. Darum ist dem Systembauer die Skalierung von Nachhaltigkeitsleistungen so wichtig. Mit größeren Stückzahlen kann der Kostenabstand zum Basisprodukt schrumpfen. Einige Maßnahmen wie Solaranlagen auf dem Dach oder eine bessere Isolierung helfen, die initialen Mehrkosten durch Energieverbrauchseinsparungen schon in wenigen Jahren zu amortisieren.
Bis 2040 will Bauzulieferer Schüco das „Net Zero“-Ziel bei den CO2-Emissionen erreicht haben. Keine einfache Aufgabe, denn 99 Prozent der Emissionen fallen bei den Lieferanten an. 2022 lagen die Treibhausgasemissionen des Spezialisten für Fenster, Türen und Fassaden nur 1,3 Prozent unter dem Referenzwert von 2018. Dennoch sind die Einsparungen deutlich höher, weil Schüco im selben Zeitraum um 36,7 Prozent gewachsen ist. „Wir konnten erstmals Wachstum und CO2-Emissionen voneinander entkoppeln“, betont das Unternehmen.
Unter dem „Carbon Control“-Projektdach bietet Schüco Lösungen für die unterschiedlichen Zielgruppen – Architekten, Verarbeiter, Betreiber und Investoren – an. So kann von Anfang an der CO2-Fußabdruck des geplanten Gebäudes berechnet, Energie im Betrieb eingespart und Material am Ende der Nutzungsdauer wiederverwendet werden. Der Anfang und größte Teil zur digitalen Erfassung und Kalkulation der CO2-Emissionen der Bauprodukte ist gemacht. Die Aussicht ist, dass in zwei Jahren schrittweise alle CO2-Emissionen erfasst werden. Auch muss das Low-Carbon- und das Ultra-Low-Carbon-Produktangebot, das Schüco vor rund einem Jahr eingeführt hat, in allen Märkten noch an Bekanntheit gewinnen. Doch die Strukturen stehen für einen Ansatz, der vom Anfang bis zum Ende der Nutzung in allen Phasen CO2 einsparen kann und ein zirkuläres Bauen ermöglicht.
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Nicht immer wird die Rechnung aufgehen: Wer sein Dach begrünen lässt und damit der Biodiversität hilft, wird sein Dach für eine größere Traglast stabiler und damit aufwendiger konstruieren müssen. Trotzdem sieht Six eine wachsende Nachfrage auch nach solchen ESG-Maßnahmen. „Kommunen setzen inzwischen häufiger Begrünung und Photovoltaik auf dem Dach für eine Baugenehmigung voraus.“
Bei den Bauunternehmen, die im Bereich Nachhaltigkeit schon länger aktiv sind, rückt auch die Betrachtung des „CO2-Rucksacks“ in den Fokus: Nicht allein der Ressourcenverbrauch während der Nutzung der Immobilie soll möglichst gering sein, auch die Produktionsphase selbst. Goldbeck setzt darum unter anderem auf eigenen Beton mit geringerem CO2-Fußabdruck. Mit der eigenen Service-Sparte ergänzt Goldbeck zahlreiche Nachhaltigkeitsleistungen für die Nutzungsphase.
Schüco, Spezialist für Fenster, Türen und Fassaden, geht noch einen Schritt weiter. Die Herstellung von Primär-Aluminium mit grauer Energie verursacht hohe CO2-Emissionen, aber Alu-Profile und ähnliche Produkte lassen sich grundsätzlich unendlich oft recyceln, und Recycling-Aluminium verursacht nur noch einen Bruchteil der Emission. Darum arbeitet Schüco mit seinen Lieferanten daran, in der Alu-Produktion klimaschonender zu werden, und hat zugleich ein eigenes Recycling-System für Altprodukte aufgebaut. „Diesen Bereich mussten wir erst ganz neu aufbauen“, berichtet Thomas Schlenker, bei Schüco für Digitalisierung und Sustainability verantwortlich.
Schließlich musste das Unternehmen erst mit Partnern Strukturen und Prozesse etablieren, um Gebrauchtfenster einzusammeln. „Bislang wurde bei der Renovierung eines Bestandsgebäudes kaum auf Closed-Loop-Recycling-Aspekte geachtet“, sagt Schlenker. „Die sortenreine Trennung und ein Closed-Loop-Recycling von Materialien werden zukünftig Standard für jede Gebäudesanierung.“
Bis zu 25 Prozent weniger CO2 im Vergleich zu einem Gebäude im konventionellen Stahlbetonbau entstehen beim Bau eines durchschnittlichen Goldbeck-Bürogebäudes, sagt der Spezialist für serielles Bauen. Goldbeck produziert vor allem Neubauten für gewerbliche und kommunale Kunden, aber auch das Bauen im Bestand und Real Estate Services für die Nutzungsphase gehören zum Leistungsangebot. Seit 2023 bietet Goldbeck besonders nachhaltige Gebäude unter den Labels „Blue Building“ und „Blue Building Premium“ an. Vorerst nur für Logistikimmobilen, aber künftig sollen weitere Gebäudearten hinzukommen.
Auf weniger CO2 in der Herstellung und über 45 Prozent Einsparung in der Nutzungsphase gegenüber dem „Base Building“ hat Goldbeck das Blue-Building-Konzept angelegt. In der Premium-Version sind weitere Einsparungen möglich. Zur Nachhaltigkeit tragen ganz unterschiedliche Maßnahmen bei wie eine PV-Anlage auf dem Dach, Wasserspararmaturen oder leicht zu trennende Bauteile für einen möglichen Rückbau. Beim Waste-Management orientiert sich Goldbeck an der EU-Taxonomie und setzt sich zum Ziel, 70 Prozent der Bau- und Abbruchabfälle der Wiederverwertung oder dem Recycling zuzuführen. Die Investitionsmehrkosten sollen bereits nach sechs Jahren wieder eingespielt sein – ab dann spare das Blue Building dank geringerer Nutzungskosten.
Doch auch Schüco weiß, dass sich das Engagement dauerhaft rechnen wird. „Wer bei Investoren ohne ein Low-Carbon-Angebot mit deutlich reduzierten Emissionswerten anklopft, hat keine Chance.“ Auch Projektentwickler erkennen zunehmend den höheren Wert von nachhaltigeren Gebäuden. „In Großbritannien sehen wir diese Entwicklung schon seit mindestens drei Jahren. Jetzt kommt sie auch nach Deutschland und in die Benelux-Länder. Ohne Low-Carbon-Produkte im Sortiment hätten wir manches Projekt verloren.“ Das globale Marktvolumen für energieeffiziente Gebäude lag im Jahr 2020 schon bei rund 216 Milliarden Euro. Prognosen zufolge soll sich das Volumen bis 2030 noch mal fast verdreifachen.
03/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.