Die Logistikkette für Covid-19-Impfstoffe ist weitverzweigt und fragil. Schon kurzfristige Hindernisse wie kürzlich die Suezkanal-Blockade können das fragile Gefüge beschädigen – nationale Alleingänge wären fatal.
Als der Container-Gigant „Ever Given“ den Suezkanal blockierte, traf die Verzögerung nicht nur Fahrradhersteller, Autoproduzenten, Maschinenbauer oder Elektronikhändler. Auch Va-Q-Tec hatte auf drei Schiffen, die auf Durchfahrt warten mussten, wichtige Güter geladen. Das Würzburger Unternehmen stellt Hightech-Vakuumisolationspaneele her, die wärmeempfindliche Covid-19-Impfstoffe beim Transport kühl halten. Zum Glück hatte Va-Q-Tec ausreichend Lagerbestände aufgebaut, sodass die kurzfristige Suezkanal-Blockade nicht gleich zum Produktionsstopp führte.
Doch nicht alle in der Produktionskette haben Vorprodukte auf Halde liegen –die Nachfrage nach Impfstoffen ist so groß, dass die meisten Glieder der Impfstoff-Supply-Chain gerade noch so halten. Es sind genau diese Engpässe an unscheinbaren Stellen, die eine schnellere Impfstoffproduktion Ende 2020 und Anfang 2021 behinderten. Schon wenige fehlende Vorprodukte können die Produktion stoppen – und es sind viele Produkte notwendig. Biontech allein benötigt insgesamt 50.000 Schritte von der Herstellung der mRNA bis zum finalen Bulk-Impfstoff. Doch das ist noch nicht alles, denn zur Abfüllung, Etikettierung sowie Verpackung („Fill & Finish“) sind weitere Schritte notwendig. Hinzu kommen dann noch Transport inklusive Kühlung, Spritzen und Schutzmaterial, damit die Impfung überhaupt stattfinden kann.
"83 Hersteller aus aller Welt liefern Komponenten für die Impfstoffherstellung in Europa"
83 Hersteller aus aller Welt liefern Komponenten für die Impfstoffherstellung in Europa. Darum sind sehr viel mehr Unternehmen und Standorte für Impfungen relevant als die direkten Impfstoffproduzenten wie Biontech, Astra Zeneca oder Moderna und ihre Abfüllkapazitäten, die im medialen Rampenlicht stehen. Neben Unternehmen wie Va-Q-Tec sind auch viele andere deutsche Unternehmen beteiligt: Unter anderem produziert Schott die Glasfläschchen aus Borosilikat, B. Braun Melsungen Spritzen und Nadeln, Binder aus Tuttlingen die Kühlgeräte oder Maschinenbauer Wickert die Pressen für die Kautschukverschlüsse auf den Fläschchen.
Viele Zulieferungen kommen aber aus ganz anderen Gegenden der Welt. In vielen Bereichen wurden zwar schon im Laufe des vergangenen Jahres Produktionskapazitäten hochgefahren, um der Nachfrage gerecht zu werden. Schließlich werden allein in Europa etwa 1 Milliarde Spritzen für die Covid-19-Impfung benötigt. Nicht jedes Unternehmen hat die Kapazitäten aber so rasch erweitern können. Die Speziallipide, die mRNA-Impfstoffe benötigen, werden beispielsweise von kleineren Biotech-Unternehmen in Kanada produziert. Merck hat bereits eine entsprechende Kooperation mit Biontech abgeschlossen, Evonik baut gerade mit einer Lizenz aus Kanada eine eigene Lipid-Fertigung in Deutschland auf. Da das Zusammenspiel der Lipide und der mRNA jedoch für alle Beteiligten Neuland ist, ist der Aufbau selbst für Konzerne wie Merck und Evonik nicht einfach. Produktionskapazitäten können in vielen Bereichen nicht einfach erweitert oder verlagert werden.
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Die OECD beschreibt in einer aktuellen Studie, welche Länder bei der Impfstoffherstellung und der Distribution eine besondere Rolle spielen (siehe Grafik). Die wichtigsten Unternehmen sind in den USA, Europa und China ansässig. Aber auch Indien, Mexiko oder Israel gehören zu den Top-Lieferanten. Hinzu kommen viele europäische Staaten wie Rumänien, die Schweiz und die Türkei sowie Italien und Polen, die wichtige Produkte wie Kühlgeräte oder Verschlusspfropfen herstellen.
Eines der globalen Impfstoffzentren der Welt liegt in Belgien, von dort gehen Impfstoffe unter anderem von Astra Zeneca und Pfizer/Biontech in alle Welt, vor allem in die USA. Größter einzelner Abfüller der Welt ist allerdings das Serum Institute im indischen Pune. 500 Impfdosen können dort jede Minute abgefüllt werden. Allerdings ist diese Leistung in Gefahr – weil der Impfnationalismus die empfindlichen Lieferketten zu zerreißen droht. Sollte US-Präsident Joe Biden den „Defense Production Act“ einsetzen, kann er auch zugesagte Exporte wichtiger Materialien wie Filter stoppen, die Astra Zeneca benötigt. Denn Lieferengpässe im eigenen Land könnten die sehr hohe Impfgeschwindigkeit in den USA drosseln – so wie im vergangenen Jahr, als dadurch die Produktion von Pfizer eingeschränkt werden musste. Und auch der Wegfall von 15 Millionen Dosen von Johnson & Johnson durch einen Herstellungsfehler – wie Ende März in Baltimore geschehen – kann die Situation schnell verändern. Aber auch die EU, die wie Indien und China einen signifikanten Anteil der regionalen Impfstoffproduktion bislang exportiert, diskutiert angesichts schleppender Impfquoten und revidierter Lieferzusagen der Hersteller, Exportverbote in Regionen außerhalb der EU zu verhängen. Das würde beispielsweise Astra-Zeneca-Lieferungen nach Großbritannien betreffen, aber auch viele weitere Staaten in der Welt, die schon jetzt unter Impfstoffmangel leiden.
wäre der globale Schaden, wenn nur Industrieländer impfen könnten.
Die Komplexität der Lieferketten zeigt die Gefahr solcher Vorhaben. Wenn im Gegenzug Vorprodukte entzogen würden, wären alle geschädigt. Impfnationalismus könnte die Gesamtproduktion torpedieren, weil kaum ein Land Impfstoffe in großem Umfang allein herstellen kann. Das wäre das Ende einer raschen Überwindung der Krise. Impfnationalismus könnte darüber hinaus auch ökonomisch und politisch gravierende Folgen haben. Das Covax-Programm sollte eigentlich für eine weltweite Verteilung von Impfstoffen sorgen, doch bleiben die Liefermengen vor allem für ärmere Staaten hinter den Vereinbarungen zurück. China füllt diese Lücke mit eigenen Impfstoffen und sichert sich dafür Einfluss. Der Egoismus der Habenden könnte aber eigenen Wohlstand kosten: Die gesamtwirtschaftlichen Folgen von auf Industriestaaten begrenzten Impfungen und damit einer lang andauernden Pandemie träfen auch die „reichen“ Länder der Erde erheblich, ergab eine Modellierung der ICC Research Foundation (ICC=International Chamber of Commerce): Rund die Hälfte des zu erwartenden globalen Wirtschaftsschadens von 9,2 Billionen US-Dollar entfiele auf Industrieländer.
04/2021
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