Der Weg zur Nachhaltigkeit

Viele Unternehmen machen sich auf dem Weg zur Klimaneutralität. Doch wo soll man anfangen, was erhöht die Erfolgsaussichten? Vom Beispiel Melitta Group lässt sich manches lernen.

Der Weg zur Nachhaltigkeit

Plastikrecycling im indischen Bengaluru (Bangalore) – eines der ESG-Leuchtturmprojekte von Melitta. Foto: Melitta Gruppe

Das Traditionsunternehmen Melitta, vor rund 150 Jahren von Melitta Bentz gegründet, hat sich für die kommenden Jahre viel vorgenommen. In zentralen Bereichen soll eine Netto-Null bei klimaschädlichen CO2-Emissionen erreicht werden. Aber auch beim Wasserverbrauch, beim Abfallaufkommen, bei der Arbeitssicherheit und der Diversität hat sich der Spezialist für Produkte rund um Haushalt und Kaffeezubereitung ambitionierte Ziele gesetzt. So sollen bereits 2025 alle CO2-Emissionen bei der direkten Produktion im Hause („Scope 1“) und bei der Herstellung der notwendigen Energie („Scope 2“) klimaneutral gestellt werden. Bis 2045 soll sogar die gesamte Lieferkette CO2-neutral sein. Der Wasserbedarf in der Papierproduktion – zum Beispiel Kaffeefilter – soll bis zum kommenden Jahr um ein Viertel reduziert sein.

„Nachhaltigkeitsüberlegungen werden künftig zum Kern aller Geschäftsmodelle gehören.“

Lavinia Bauerochse, Deutsche Bank

Das alles ist sehr ambitioniert. Nur: Sich Ziele zu setzen ist das eine, sie auch tatsächlich umzusetzen das andere. Viele Unternehmen, die ebenfalls den Weg zur Klimaneutralität und nachhaltigen Transformation einschlagen wollen, haben Fragen: Welche Ziele sind realistisch zu schaffen? Und wie erhöhe ich die Chancen zur Umsetzung?

Melitta-Leuchtturm „Kreislaufwirtschaft in Brasilien“

Gemeinsam mit der Hanns R. Neumann Stiftung und Wissenschaftlern startete Melitta 2020 ein Projekt zur Umsetzung eines Kreislaufwirtschaftsansatzes im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais. Kleinbauern lernen dabei die Vorteile der Wiederverwendung von Abfällen und Abwasser kennen. Wiederaufbereiten und Weiterverwerten statt Wegwerfen helfen ganz unmittelbar: Organischer Abfall kann die Bodenerosion reduzieren und die Widerstandsfähigkeit der Kaffeepflanzen stärken; Wasserinfiltration kann die Bodenbelüftung verbessern. So steigt die Produktivität, gleichzeitig werden weniger Agrochemikalien benötigt. Bereits nach einem Jahr, berichtet Melitta, konnte der chemische Düngerverbrauch um 30 Prozent reduziert werden. Zugleich stiegen die Erträge um 15 Prozent.

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Jedes Unternehmen wird einen eigenen Plan erstellen müssen, dessen Meilensteine nicht immer – aber oft genug – von der Regulierung vorgegeben sind. Doch können Kunden und Mitarbeiter, Gesellschafter und Finanzierer eigene Erwartungen haben, die sogar noch schnelleres Handeln erfordern. Rückschläge können sich nur wenige wirklich leisten, der Umbau des Unternehmens gen Nachhaltigkeit erfordert auch Investitionen. Dieses Geld muss irgendwo herkommen. Banken stehen grundsätzlich bereit, als Finanzierungspartner die Transformation zu begleiten. Lavinia Bauerochse, weltweit für die ESG-Aktivitäten der Deutsche Bank Unternehmensbank verantwortlich, berichtet: „Die Deutsche Bank hat sich verpflichtet, allein bis 2025 insgesamt 500 Milliarden Euro an nachhaltigen Finanzierungen zu ermöglichen.“ Andere Banken haben ein ähnliches Commitment abgegeben.

Die Grundsatzfrage

Zurück zu Melitta: Bevor das Unternehmen mit der konkreten Ausgestaltung von Nachhaltigkeitszielen und -maßnahmen beginnen konnte, stand eine Grundsatzfrage im Raum. „Die entscheidende Frage war, wie wir sicherstellen können, dass die Melitta Gruppe auch zukünftig noch dauerhaft erfolgreich wirtschaftet“, sagt Katharina Roehrig, Geschäftsführerin für Unternehmenskommunikation und Nachhaltigkeit bei Melitta. „Ob Produktentwicklung oder Lieferketten – letztlich muss die gesamte Art und Weise, wie wir arbeiten, ganzheitlich überdacht werden.“ Bauerochse unterstützt diesen Ansatz: „Nachhaltigkeitsüberlegungen werden künftig zum Kern aller Geschäftsmodelle gehören, denn es geht um mehr als nur die Erfüllung von ESG-Regularien.“

„Ob Produktentwicklung oder Lieferketten – letztlich muss die gesamte Art und Weise, wie wir arbeiten, ganzheitlich überdacht werden.“

Katharina Roehrig, Melitta

Erfolg wird dieser strategische Ansatz aber nur haben, wenn der Grundgedanke in das gesamte Unternehmen diffundiert und nicht nur eine Vorgabe des Top-Managements bleibt. Vier Jahre waren bei Melitta dem ersten Nachhaltigkeitsbericht vorausgegangen. Dabei hatte das Unternehmen bewusst auf einen Bottom-up-Ansatz gesetzt. Statt Vorgabe von oben wurden in der Tiefe des Unternehmens Daten entlang der gesamten Wertschöpfungskette gesammelt: Wie hoch ist an welcher Stelle der Wasserverbrauch, der Strombedarf, das Abfallaufkommen? Die Daten kamen – doch jede Geschäftseinheit meldete die Inhalte ganz unterschiedlich, erinnert sich Roehrig. Die Vereinheitlichung war ein großer Aufwand, denn erst dann sind unternehmensübergreifende Zielvorgaben möglich. Auf dieser Grundlage wurden auf Konzernebene Nachhaltigkeitsziele entwickelt, anschließend erweitert um Divisionsziele.

Die Rolle der Stakeholder

Diese Ziele wurden im nächsten Schritt mit allen Stakeholdern diskutiert – mit Kunden, Lieferanten, den Banken und sogar Nichtregierungsorganisationen. Auch das war aufwendig, aber lohnend. Denn durch den externen Input konnte Melitta von den Erfahrungen Dritter lernen und manchen kostspieligen Fehler vermeiden. Ohnehin ist für Scope 2 und Scope 3 die Einbindung der Lieferanten wichtig, weil in vielen Unternehmen die Emissionen der vorgelagerten Lieferanten der größte Emissionsblock sind. Direkten Einfluss kann der Kunde selten nehmen – außer, sich nach einem alternativen Lieferanten umzusehen –, darum sind der Dialog und die gemeinsame Zielgestaltung mit den Zulieferern so wichtig.

Melitta-Leuchtturm „Verbesserte Arbeitsbedingungen in Indien“

2022 startete Melitta einen weiteren Ansatz im Abfallmanagement (siehe auch Kasten 1), diesmal im indischen Bangalore. Dazu wurde als Sozialunternehmen eine Recyclingfirma gegründet, die Plastikabfälle aus sozialen Unternehmen bezieht. Gewinne werden reinvestiert oder finanzieren Gesundheits- und Bildungsprojekte für die Familien der Müllsammler. Doch nicht nur die Müllsammler und ihre Familien profitieren, das produzierte Kunststoffgranulat kann in der Melitta-Produktion eingesetzt werden und mindert damit die Beschaffungskosten.

Für Melitta ist der Austausch mit den Lieferanten kein einfaches Unterfangen, speziell im Kaffeebereich: Weltweit gibt es 12,5 Millionen Kaffeefarmen, der Großteil davon mit weniger als 2 Hektar Fläche. Da der meiste Kaffee in Entwicklungsländern angebaut wird, sind Bestandsemissionsdaten schwer zu erheben. Und es fehlt oft an den notwendigen Finanzmitteln, in CO2-neutrale Alternativen zu investieren. Mittlerweile wird in unterschiedlichsten Branchen an unternehmensübergreifenden Datenpools gearbeitet. Das erleichtert den Datenaustausch und setzt Anreize zur Verbesserung bei jedem Lieferanten selbst. Auch die Verankerung von ESG-Zielen in Lieferkettenfinanzierungsprogrammen (Supply Chain Finance) belohnt Lieferanten, die ihre Nachhaltigkeit verbessern.

Die Bedeutung von Leuchttürmen

Doch nicht nur die Lieferanten, auch die eigenen Mitarbeiter müssen mitziehen. In wohl jedem Unternehmen wird es Beschäftigte geben, die der ESG-Transformation sehr aufgeschlossen gegenüberstehen. Doch genauso wird es Mitarbeiter geben, die den möglichen Änderungen skeptisch-abwartend bis sogar abwehrend begegnen. Wie bei anderen Change-Projekten muss es daher darum gehen, auch diese Bedenken zu adressieren. Überzeugender als viele gute Worte ist aber die Praxis selbst.

Mit Leuchtturmprojekten zeigen Unternehmen „Aktivitäten mit greifbaren Vorteilen für das Unternehmen“, erklärt Melitta-Nachhaltigkeitsverantwortliche Roehrig. Melitta hat gleich mehrere solcher Projekte gestartet (zwei Beispiele siehe Kasten). Die Vorhaben können nicht nur direkt Ressourcen sparen, sondern sollen anregen, bestehende Strukturen zu überdenken. Kollegen, aber auch andere Stakeholder sehen in der konkreten Anwendung die Vorteile (und auch Herausforderungen) – und profitieren von diesem Wissen bei eigenen Projekten. Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit besteht aus vielen kleinen Schritten, aber er lohnt sich.

07/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder. 

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