Kann Vietnam China ergänzen?

„China Plus One“ heißt die Devise auch deutscher Unternehmen, die nicht von China abhängig sein wollen. Oben auf der Liste möglicher Investitionsziele steht Vietnam. Was deutsche Mittelständler dort erwartet.

Vor allem in und um Ho-Chi-Minh-City, früher Saigon, sind deutsche Unternehmen in Vietnam angesiedelt.  Foto: adobe stock

Vor allem in und um Ho-Chi-Minh-City, früher Saigon, sind deutsche Unternehmen in Vietnam angesiedelt. Foto: adobe stock

China bleibt auf absehbare Zeit der wichtigste Markt in Asien. Doch politische Konflikte und schwächere Wirtschaftsprognosen führen bei vielen deutschen Unternehmen zu einer neuen Risiko-Chancen-Bewertung der China-Engagements. Dabei geht es nicht darum, China zu ersetzen, sondern die einseitige Abhängigkeit durch einen weiteren Investitionsschwerpunkt in der Region zu reduzieren und damit ein zweites Standbein aufzubauen. „China Plus One“ heißt diese Strategie, die vor allem drei Länder in den Fokus rückt, die alle günstige Produktionsbedingungen und Absatzchancen vor Ort und in der Region bieten: Indien als bevölkerungsreichstes Land der Welt, Thailand mit seinen langjährigen Verbindungen zur westlichen Supermacht USA – und Vietnam.

„Ausländische Investoren werden in Vietnam mit offenen Armen empfangen.“

Huynh-Buu Quang, Deutsche Bank

Vietnam hat nicht nur geografische und historische Berührungspunkte mit China, sondern steht dem nördlichen Nachbarn auch wirtschaftspolitisch nah. Die Kommunistische Partei Vietnams, die das Land seit Kriegsende allein regiert, hat sich ebenfalls dem Handel geöffnet und marktwirtschaftliche Reformen („Doi Moi“-Politik) durchgeführt. Es gibt aber auch spürbare Unterschiede zu China, betont Huynh-Buu Quang vom Regionalbüro der Deutschen Bank in Ho Chi Minh City: „Ausländische Investoren werden mit offenen Armen empfangen. Die Führung des Landes hat ein großes Interesse daran, dass sich Unternehmen aus dem Ausland in Vietnam wohlfühlen.“

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Nicht Ersatz, sondern Zusatz

Eine Alternative zu China kann das (knapp) 100-Millionen-Einwohner-Land nicht sein. Doch in China haben sich in der vergangenen Dekade die Löhne verdreifacht, und unerwartete Politikwechsel sorgen für Schockwellen unter Investoren. Zuletzt haben die anhaltenden rigiden Corona-Lockdowns Lieferketten belastet und zum Abwanderungswunsch vieler Ausländer geführt. Mit einer Ansiedlung in Vietnam diversifizieren deutsche Firmen ihre Risiken und können Kosten senken.

Bereits seit 1992 investieren deutsche Unternehmen in Vietnam. Zu den ersten Unternehmen gehörten das Textilunternehmen Bültel und der Outdoor-Ausrüster Tatonka. Doch erst nach dem WTO-Beitritt des Landes 2007 und der Verabschiedung des neuen Unternehmens- und Investitionsgesetzes 2015 sind die Direktinvestitionen stark gestiegen. 3,1 Milliarden US-Dollar wurden bislang in knapp 500 Projekte investiert. Zu den größten Investoren vor Ort gehören heute Bosch, der Versicherer HDI, der Pharmakonzern Stada und Messer Industriegase. Auch B. Braun, Schaeffler und Knauf sind vor Ort. Kärcher hat im Frühjahr 2023 mit dem Bau einer Produktionsstätte für rund 22 Millionen US-Dollar begonnen, die 2024 eröffnet werden soll. Pepperl+Fuchs nutzt einen 15-Millionen-Euro-Kredit der Deutschen Bank, um eine Fabrik zu finanzieren, die Standards für umweltfreundliche Gebäude erfüllt. Und auch Schaeffler will die Produktion im kommenden Jahr erweitern.

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Produktionsstätten deutscher Unternehmen gibt es derzeit in Vietnam.

Dienstleistungsunternehmen sind die größte Gruppe der deutschen Unternehmen. Dank eines intensiven bilateralen Handels sind aber auch Maschinenbauer, Textilunternehmen, Chemie- und Nahrungsmittelunternehmen stark vertreten. Knapp 100 Produktionsstätten gibt es, die meisten davon zählen zum Kleidungsbereich.

Konzentration im Süden

Doch auch wenn deutsche Unternehmen manches Problem, das ihnen in China begegnet, nicht kennen – auch Vietnam hat Schwächen. Die Infrastruktur in manchen Landesteilen ist lückenhaft, und zwar von der Straßenanbindung über die Energieversorgung bis zur Zulieferindustrie. Geschlossen werden sollen die Lücken am besten von den ausländischen Investoren selbst – so zumindest die Erwartungshaltung manches Politikers: Die Unternehmen sollen nicht nur in das eigentliche Projekt, sondern auch gleich noch in die erforderlichen Voraussetzungen investieren. Darum verwundert es nicht, dass sich das Gros der Unternehmen vor allem im Süden rund um Ho Chi Minh City, früher Saigon, angesiedelt hat. Auch die Mehrheit der rund 5.000 Deutschen in Vietnam lebt in „HCMC“. Im Deutschen Haus finden deutsche Unternehmen mit der AHK und der German Business Association gleich Ansprechpartner vor Ort. Die ehemalige Hauptstadt Südvietnams trägt heute rund 40 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt des Landes bei. Die jetzige Hauptstadt Hanoi im Norden liegt abgeschlagen dahinter.

Allerdings ist der Standort HCMC nicht günstig: Vergleichbare Büroobjekte sind dort fast 60 Prozent teurer als in Hanoi. Weil Bürofläche mit einem guten oder sehr guten Standard knapp ist, müssen Mieter zudem mit jährlichen Mietkostensteigerungen von 8 bis 9 Prozent rechnen. Hinzu kommen meist auch noch „Management Fees“, die noch einmal 5 bis 7 US-Dollar je Quadratmeter ausmachen.

Ein Skandal, der vieles ändert

Vor einem Jahr gab es zudem einen großen Immobilienskandal, seitdem ist der Immobiliensektor wie „eingefroren“. Der betroffene Projektentwickler soll 42.000 Anleiheinvestoren um umgerechnet 1,2 Milliarden US-Dollar betrogen haben*. Die Anleihen waren ausgegeben worden, um erstklassige Immobilien in Ho Chi Minh City zu erwerben. In der Folge gerieten verschiedene Bauträger in finanzielle Schwierigkeiten bis hin zur Insolvenz. Der Skandal legte Bestechung und Irreführung von Kleinanlegern, aber auch Risiken in Banken offen. Schließlich machte der Immobiliensektor ein Viertel aller Kredite aus. Die Auswirkungen des Skandals waren im ganzen Land spürbar. Hinzu kamen die Schwierigkeiten der Weltwirtschaft: Auch in Vietnam stieg die Inflation, die Exporte sanken. Insbesondere die Mittelschicht übt sich derzeit in Konsumzurückhaltung. „Der Konsum liegt spürbar unter dem Vorjahr“, berichtet Quang. „Luxusgüter sind besonders betroffen.“

Die Regierung hat seitdem den Anleihehandel stärker reguliert und ihre Antikorruptionsmaßnahmen verschärft. Doch dies hat auch Nachteile: Viele staatliche Stellen schrecken vor raschen Entscheidungen zurück – aus Angst, ein schneller Bescheid sei durch Bestechungsgelder zustande gekommen. So werden manche der gutgemeinten Reformen, die Investitionen insbesondere der verarbeitenden Industrie anziehen sollen, faktisch ausgebremst. Deutsche Unternehmen klagen über Verzögerungen von Geschäftslizenzen, strenge Brandschutzvorschriften und Umweltauflagen. „Die Regierung fördert gleichzeitig Investitionen, insbesondere Highhech-Industrien sollen ins Land kommen“, sagt Quang. Allerdings ist auch in Vietnam der Förderdschungel dicht: Für Ausländer ist es nicht einfach, die zutreffenden Hilfen von Steuerbefreiungen und -vergünstigungen, beschleunigten Abschreibungen oder vergünstigten Landnutzungsbedingungen für sich zu finden. 

Ein Selbstläufer ist Vietnam also nicht. Trotzdem resümiert Quang: „China hat den größeren Markt. Aber Vietnam hat das bessere Investitionsklima.“ Ohne China wird es kaum gehen, Vietnam kann aber für deutsche Unternehmen eine sinnvolle Ergänzung in Südostasien sein. Das Interesse ist aber groß: Am „FDI-Forum Vietnam“ Mitte November beispielsweise nahmen Hunderte deutsche Unternehmen vor Ort und via Internet teil.

*Mittlerweile wurde die Verantwortliche von einem von einem vietnamesischen Gericht zum Tode verurteilt.

12/2023
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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