Chinas umstrittene Überkapazität

Weil China in einigen Branchen wie Solar-, Wind- und E-Automobilität zu subventionierten Preisen weitaus mehr produziere als nachgefragt werde, setze es die Hersteller anderer Länder unter Druck. Was ist dran an dem Vorwurf?

Chinas umstrittene Überkapazität

Chinas Automobilhersteller auf Exportkurs – BYD sogar mit eigenem Frachter. Foto: BYD

„Nigeria macht sich keine Sorgen um Chinas Überkapazitäten im Bau von Elektrofahrzeugen“, sagt Nigerias Finanzminister. Im Gegenteil, Adebayo Olawale Edun fordert: „Immer her damit.“ Industriestaaten mit einer eigenen starken Automobilwirtschaft sehen das erwartungsgemäß anders. Sowohl in den USA als auch in der EU stehen massive Einfuhrzölle oder gar komplette Einfuhrverbote chinesischer E-Autos auf der Politikagenda.

Überkapazität heißt, dass die Produktionskapazitäten eines Herstellers die Nachfrage übersteigen. Das ist, zumindest zeitweilig, keineswegs ungewöhnlich. In der Regel werden die Kapazitäten, beispielsweise durch Entlassungen, reduziert. Oder die Nachfrage wird stimuliert und steigt entsprechend wieder.

Das Problem mit China ist aus Sicht anderer Industrieländer weniger die durch die schwächere Binnennachfrage verstärkte Überkapazität an sich, sondern die staatliche Subventionierung ausgewählter Branchen. Nur deshalb seien heute Chinas Windräder, Solarpaneele, Elektroautos so günstig, dass die Konkurrenz preislich nicht mithalten könne. Und deshalb brauche es protektionistische Gegenmaßnahmen.

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„Es gibt keine Überkapazität“

China kontert den Vorwurf der subventionsverzerrten Überkapazität auf zwei Ebenen:

  • Es gebe keine Überkapazität, weil die globale Nachfrage in den kommenden Jahren ein Vielfaches der aktuellen Werte erreichen werde. Weltweit würden 2030 nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur IEA 45 Millionen Elektrofahrzeuge verkauft werden, viermal so viel wie 2022. Auch die Nachfrage nach Photovoltaikanlagen werde sich in dieser Zeit vervierfachen. Auf absehbare Zeit würde es eher einen Mangel als ein Überangebot an „neuen Energie-Produkten“ geben. Die Welt und insbesondere die Anstrengungen zur Dekarbonisierung würden davon profitieren.
  • Chinas Wettbewerbsvorteil basiere vor allem auf einer harten Konkurrenzsituation im Land – dem mit Abstand größten Markt für chinesische New Energy Vehicles (v.a. Plug-in-Hybrid- und E-Autos). Das führe zu einem Innovationsdruck und möglichst effizienter Produktion. China habe deshalb komparative Vorteile – ein Grundprinzip für den internationalen Handel. Dass ein Land mehr produziere, als es für den Eigenbedarf benötige, sei daher auch logisch. Außerdem schafften Chinas Unternehmen weltweit Arbeitsplätze, indem sie beispielsweise vor Ort neue Produktionsstätten für ihre Produkte errichteten.

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Mrd. EUR Subventionen soll BYD allein 2022 erhalten haben.

Milliarden-Subventionen

Von Subventionen ist in China dabei nicht die Rede. Unstrittig ist aber, dass das Land diese Zukunftsbranchen mit Milliarden gepäppelt hat. Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat allein für BYD im Jahr 2022 mehr als 2 Milliarden Euro Subventionen berechnet. Ein Großteil davon waren demnach Kaufprämien. Die tatsächlichen Subventionen dürften aber noch viel höher gewesen sein, denn durch die Abschottung Chinas gewannen die heimischen Unternehmen günstigen, geschützten Zugang zu wichtigen Ressourcen. Damit konnten sie sich einen Wettbewerbsvorteil beispielsweise in der Batterietechnologie oder der Produktion von Solarpaneelen sichern. 2019 hätten Industriesubventionen etwa 1,73 Prozent des chinesischen BIP ausgemacht; 2022 hätten mehr als 99 Prozent der börsennotierten Unternehmen in China direkte staatliche Subventionen erhalten. Insgesamt seien, schreibt das IfW, die Industriesubventionen in China je nach Schätzung etwa viermal so hoch wie in Deutschland oder den USA.

„Chinas Kostenvorteile sind dauerhaft.“

Eric Heymann, Deutsche Bank Research

Doch das IfW Kiel zeigt auch, dass nicht nur chinesische Unternehmen profitierten. So erhielt BYD 2022 zwar mit Abstand die höchsten Kaufprämien, doch schon auf Rang zwei lag der (in China produzierende) US-Hersteller Tesla. Chinesische Wettbewerber wie GAC und Geely folgten erst dahinter – und auch VW-Joint-Ventures profitierten von den Staatsgeldern. Allerdings wurden die Kaufprämien ab 2023 gestrichen. Und heute drängen nicht nur die meistsubventionierten Hersteller mit günstigen Preisen in Auslandsmärkte, sondern auch weniger subventionierte Autobauer wie Geely oder Chery.

Eric Heymann von Deutsche Bank Research betont, dass die Preisvorteile nicht allein auf Subventionen zurückzuführen seien, sondern auch auf eine konsequente Industriepolitik Chinas: „Die Kostenvorteile sind dauerhaft, denn die Produzenten haben den Zugang zu den benötigten Rohstoffen sowie günstigere Energie- und Arbeitskosten.“

Und die chinesischen Anbieter punkten nicht nur mit dem Preis: Internationale Autoexperten bescheinigen chinesischen Fahrzeugen Vorteile im Bereich Batterietechnologie und eine konkurrenzfähige Verarbeitungsqualität bei häufig besserer Ausstattung und Elektronik gegenüber den etablierten Marktführern. Angesichts von mehr als 50 NEV-Herstellern (vor einigen Jahren waren es noch mehr als 400) allein in China verwundert es nicht, dass die Produzenten im Ausland nach weniger umkämpften Märkten suchen.

Produktion übersteigt heutige Nachfrage

Dennoch bleibt das Problem der Überkapazität. Der Vorwurf ist nicht neu. Chinas Immobilienleerstand zeigt anschaulich die Folgen, wenn zu viel staatliches und privates Kapital in wenige Sektoren fließt. Generell liegt die durchschnittliche Auslastung der chinesischen Industrie bei 75 Prozent – nicht dramatisch unter der als üblich angesehenen Quote von 80 Prozent. Es gibt jedoch innerhalb der Branchen große Unterschiede – wobei ausgerechnet die großen E-Auto-Hersteller Auslastungsquoten von über 80 Prozent haben. Hinzu kommt: Im Vergleich zu europäischen Herstellern ist die Exportquote bislang (noch) sehr gering. Während der Exportanteil deutscher Hersteller bei 79 Prozent liegt, erreicht China nur etwa 15 Prozent. Und davon geht das Gros in Länder außerhalb der EU. Eine deutliche Überkapazität gibt es hingegen bei der Produktion von chinesischen Autos mit Verbrennermotoren. Automobilexperte Heymann: „Seit Jahrzehnten ist China eine starke Exportnation; dass nun auch technologisch anspruchsvollere Produkte wie Autos exportiert werden, ist wenig überraschend. Übrigens hat China deutsche Autoexporte schon vor mehr als zwei Jahren deutlich überholt.“

Ganz anders sieht es hingegen bei den Herstellern von Lithium-Batterien und Solarpaneelen aus. Hier sind Auslastungen von nicht einmal der Hälfte der Kapazitäten nicht ungewöhnlich. China produziert aktuell mehr als die doppelte weltweite Nachfrage. Auch im Bereich der Windkraft gibt es eine signifikante Überproduktion. Doch anders als im Automobilbereich sind die EU und die USA in ihrer Kritik an der Solarpaneel-Überproduktion deutlich zurückhaltender; da es keine eigene nennenswerte Industrie in dem Bereich (mehr) gibt, helfen die günstigen Solarflächen bei der Erreichung von CO2-Einsparzielen.

Gegensteuern

Die Überkapazitäten hinterlassen in Chinas Wirtschaft deutliche Spuren, mit denen die Regierung umzugehen versucht. Deflationäre Herstellerpreise sollen unter anderem durch eine Konsolidierung in ausgewählten Branchen vermieden werden. Doch die Regierung versucht auch, auf Qualität und weniger auf Quantität zu setzen. Statt Immobilien und Infrastruktur stehen neue Technologien im Mittelpunkt der Industriepolitik. Dieser Kurs dürfte die Konkurrenzsituation gegenüber Europa und den USA eher noch verschärfen, weil die wettbewerbsfähigsten Unternehmen aus der Konsolidierung hervorgehen und die technologische Leistungsfähigkeit Chinas steigt.
Wenn sich zum Preisvorteil technologische Überlegenheit gesellt, werden Einfuhrzölle ein stumpfes Schwert, um heimische Unternehmen und vor allem Arbeitsplätze vor den chinesischen Wettbewerbern zu schützen. China weicht schon jetzt in Märkte aus, die keine eigene Auto- oder Solar- und Windindustrie mit Zöllen schützen müssen.

Besser sei es, rät mancher Handelsexperte, den Spieß umzudrehen. So wie China damals westlichen Unternehmen eine Marktpräsenz nur bei einem Joint Venture mit einem einheimischen Hersteller erlaubt haben, sollten jetzt die USA und die EU Chinas Firmen verpflichten: Produziert und verkauft wird nur gemeinsam – so profitieren die Industrieländer vom Vorsprung Chinas. Doch dazu müsste erst einmal anerkannt werden, dass Chinas Produkte mindestens so leistungsstark sind wie Made in Germany oder Made in USA.

10/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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