Geschäftsmodell Eurafrika

Was vor Kurzem noch ein Albtraumszenario war, erscheint heute erschreckend realistisch: dass China auf absehbare Zeit als Zulieferer und Absatzmarkt wegfallen könnte. Kann Afrika den Platz einnehmen?

Unzählige Schiffe fahren im Mittelmeer und um die afrikanische Küste herum. Doch nur wenige Frachter bringen Güter von Afrika nach Europa.

Unzählige Schiffe fahren im Mittelmeer und um die afrikanische Küste herum. Doch nur wenige Frachter bringen Güter von Afrika nach Europa. Screenshot: www.shiptracker.live

Die Werkbänke der Welt stehen in Asien, vor allem in China. Jeder weiß, dass Deutschlands Konsumenten unzählige Fertigwaren aus dem Reich der Mitte kaufen. Doch auch Deutschlands Wirtschaft ist ein Großkunde in China: Außer mit Rohstoffen versorgen zahlreiche Zulieferer deutsche Unternehmen mit Teilen, ohne die kein Endprodukt entstehen kann. In einer Studie aus dem Sommer behauptet das Institut der deutschen Wirtschaft, dass Deutschland trotz zahlreicher Lieferungen von Maschinen und Anlagen stärker von chinesischen Vorleistungen abhängig sei als umgekehrt. Zwar gibt es eine kritische Abhängigkeit nur bei Rohstoffen – und hier vor allem bei den Seltenerdmetallen –, aber einzelne Industrien sind stark auf die Vorarbeit aus China angewiesen.

„Viele Unternehmen haben große Bauchschmerzen, selbst vor Ort aktiv zu sein.“

Johannes Flosbach, Cormart

Das war lange verschmerzbar, wird aber künftig ein großes Problem: Der rigorose Lockdown in China hat bereits vor Augen geführt, welche Probleme in der Lieferkette auftreten, wenn das Land sich von der Weltwirtschaft abklemmt. Auch wenn die Pandemie ein vorübergehendes Phänomen sein dürfte, machen doch drei Trends China nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als Zulieferer zu einem unsicheren Kantonisten. Erstens nimmt das Land seine Emissionsziele zunehmend ernst, energieintensive Zulieferprodukte sollen reduziert werden. Zweitens will China sich künftig stärker auf die Binnennachfrage konzentrieren, der Export steht strategisch nicht mehr im Fokus. Und drittens könnte ein sich zuspitzender Systemwettbewerb mit dem Westen zu einer neuen Blockbildung in der Welt führen, in der die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Blöcken drastisch eingedampft werden.

Aus europäischer Sicht heißt das: Wir müssen uns schon heute auf die Suche nach neuen Zulieferern machen. „Als Unternehmer und Risikomanager ist es nun das Gebot der Stunde, sich anzusehen, wie man die Abhängigkeit von China über die nächsten Jahre verringern kann“, sagte der Chef der Deutschen Bank, Christian Sewing, im September auf einer Veranstaltung. Fündig werden könnten wir quasi vor unserer Haustür, nämlich in Afrika. Als Rohstofflieferanten nutzt Europa den Kontinent schon seit der Kolonialzeit. Aktuell wird außerdem Afrikas Potenzial als Energielieferant heiß diskutiert. Als Zulieferer für die Industrie haben aber nur wenige die südlichen Nachbarn auf dem Zettel.

Der Weg ist steinig

Dafür gibt es Gründe. Die deutsche Wirtschaft schaute nach Asien, weil dort nicht nur günstige Produktionsstandorte und zuverlässige Zulieferer lockten, sondern vor allem vielversprechende Absatzmärkte. In US-Dollar gemessen, beträgt die Wertschöpfung von ganz Afrika bei etwa gleicher Bevölkerungszahl nur ein Siebtel von der Chinas. Vor allem aber ist die Wirtschaft ganz anders strukturiert: Schätzungen zufolge sind derzeit nur zwei Prozent der Erwerbsbevölkerung in exportorientierte Wertschöpfungsketten eingebunden.

Um China zu ersetzen, müsste Afrika mehr produzieren

Das bedeutet einerseits ein gewaltiges Potenzial. Andererseits: Als neue Werkbank Europas drängt Afrika sich bislang nicht auf. Nur wenige afrikanische Unternehmen sind bislang in der Lage, große Mengen in gleichbleibender Qualität zeitlich zuverlässig zu produzieren. Die Arbeitskosten sind zwar in vielen Ländern sehr niedrig, dafür ist die Produktivität vergleichsweise gering, und Energie ist vielerorts teuer. Die in weiten Teilen schlechte Infrastruktur sorgt für zahllose logistische Herausforderungen. Außerdem scheitern afrikanische Zulieferer an regulatorischen Standards, an den hohen Umwelt- und Sozialauflagen und schlicht an der europäischen Bürokratie.

Eine Alternative zu afrikanischen Zulieferern könnte der Aufbau eigener Kapazitäten sein. Tatsächlich sind vor allem in Marokko, Tunesien und Ägypten bereits einige deutsche Automobilzulieferer mit Produktionsstandorten vertreten. Aber: „Viele Unternehmen haben große Bauchschmerzen, selbst vor Ort aktiv zu sein“, beobachtet Johannes Flosbach, der als Geschäftsführer für das nigerianische Chemie- und Nahrungsmittelunternehmen Cormart tätig ist. „Das liegt an den politischen Unsicherheiten, Zahlungsrisiken und Compliance-Sorgen.“

„Mit den Lieferkettenproblemen in Asien und dem Ukrainekonflikt ist Afrika nun bei einigen Unternehmen auf der Agenda rasch weit nach oben gerückt“

Andreas Voss, Deutsche Bank

Dennoch setzen Afrikaexperten durchaus auf eine Zukunft des Kontinents als Zulieferer. „Die Automobilproduktion und die nachgelagerten Zulieferindustrien können für die Industrialisierung afrikanischer Länder eine wichtige Vorreiterrolle einnehmen“, glaubt der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft. „Mit den Lieferkettenproblemen in Asien und dem Ukrainekonflikt ist Afrika nun bei einigen Unternehmen auf der Agenda rasch weit nach oben gerückt“, betont Andreas Voss, der die nigerianische Niederlassung der Deutschen Bank leitet und das Trade Finance für die Region Subsahara verantwortet.

Ohne Unternehmer geht nichts

Ersetzen kann Afrika China in naher Zukunft nicht, das zeigt eine einfache Zahl: Die komplette Industrieproduktion in Subsahara-Afrika ist nicht einmal halb so groß wie Chinas Exporte in die EU. Afrika substanziell in die Wertschöpfungskette europäischer Unternehmen zu integrieren ist also eine gewaltige Aufgabe – die aber schleunigst angegangen werden muss. Denn China ist mit Direktinvestitionen und Krediten viel aktiver als wir. Eine aktuelle Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung zeigt außerdem, dass die Chinesen bei afrikanischen Entscheidungsträgern in wichtigen Bereichen gegenüber den Europäern punkten: Sie entscheiden schneller, schließen Projekte rascher ab und mischen sich weniger in innere Angelegenheiten ein.

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150 Milliarden Euro

hat die EU für Investitionen in Afrika reserviert.

Immerhin: Ende vergangenen Jahres hat die EU als Antwort auf die chinesische Seidenstraßen-Initiative 150 Milliarden Euro für Investitionen in Afrika reserviert. Doch die eigentliche Initiative muss von den Unternehmen kommen. Volkswirtschaftlich ist die Überlegung simpel: Europa integriert Afrika in die Wertschöpfungskette und kompensiert damit den Schwund an eigenen Arbeitskräften und Zulieferungen aus China – durch den steigenden Wohlstand entsteht in Afrika ein neuer Absatzmarkt, der ebenfalls China ersetzen kann. Diese Logik ist so bestechend wie abstrakt. Für die Umsetzung braucht es mutige Unternehmer, die das Potenzial Afrikas nicht nur erkennen, sondern es selbst mit entfalten.

10/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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