Energie und Rohstoffe: Strategie gesucht!

Unser Wohlstand und unser nachhaltiges Leben hängen am Zugriff auf Energie und metallische Rohstoffe. Dafür brauchen wir eine Strategie, sagen die Autoren eines aktuellen Whitepapers der Deutschen Bank – und machen dafür auch konkrete Vorschläge.

Besonders populär ist der Bergbau in Europa nicht, und unseren kompletten Bedarf decken könnten wir auch gar nicht. Aber: Die eigenen Vorkommen sind mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein – und Firmen wie European Lithium wollen zum Beispiel im österreichischen Wolfsberg dafür sorgen, dass wir unabhängiger von unsicheren Lieferstaaten werden.

Besonders populär ist der Bergbau in Europa nicht, und unseren kompletten Bedarf decken könnten wir auch gar nicht. Aber: Die eigenen Vorkommen sind mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein – und Firmen wie European Lithium wollen zum Beispiel im österreichischen Wolfsberg dafür sorgen, dass wir unabhängiger von unsicheren Lieferstaaten werden. Foto: European Lithium

Es war ein böses Erwachen, und ein bisschen verwundert reiben wir uns noch immer die Augen: Wir hatten uns nicht nur daran gewöhnt, dass wir uns um unsere äußere Sicherheit keine Sorgen machen mussten. Wir haben auch über Jahrzehnte hinweg an einer Verflechtung der Weltwirtschaft mitgearbeitet, die beispiellos ist in der Geschichte der Menschheit. Und von der wir als deutsche Volkswirtschaft in besonderem Maße profitiert haben.

Aus der Verflechtung sind aber auch Abhängigkeiten entstanden. Dummerweise gerade mit Staaten, mit denen sich die Beziehungen rasant oder allmählich verschlechtert haben – allen voran Russland und China. Die beiden Grundpfeiler industrieller Produktion – Energie und metallische Rohstoffe – beziehen wir zu einem nicht unerheblichen Teil aus diesen Ländern. In der jüngsten Vergangenheit mussten wir nun nicht nur lernen, dass Preise rasant steigen können, sondern dass Energie und Rohstoffe auch mal schlicht nicht oder zumindest nicht ausreichend verfügbar sein können.

Der Mangel an diesen beiden elementaren Input-Faktoren bedroht nicht nur unseren Wohlstand, sondern auch die ganz oben auf der Agenda stehende nachhaltige Transformation unserer Wirtschaft. Schließlich müssen wir dafür einige Energieträger aussortieren und ersetzen, wofür wiederum kritische Rohstoffe – vor allem Seltene Erden – notwendig sind.

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Abhängigkeit verringern

Alles in allem also eine schwierige Gemengelage. Grund genug für die Deutsche Bank, sich gemeinsam mit einem eindrucksvoll besetzten Beirat in einem Whitepaper der Frage zu widmen, wie sich Energie- und Rohstoffsicherheit in Einklang bringen lassen. Das Ergebnis: Die Experten halten eine Überarbeitung der deutschen Energie- und Rohstoffstrategie für dringend notwendig. Im Kern geht es darum, die Abhängigkeit von außen und vor allem von einzelnen Staaten zu minimieren. Die Sorge um Versorgungssicherheit ist kein Hirngespinst, im Juli verhängte China für die Seltenen Erden Germanium und Gallium bereits Ausfuhrauflagen – beide Rohstoffe sind für die Chipherstellung, aber auch für die Solar- und Rüstungsindustrie essenziell.

Im Kern geht es darum, die Abhängigkeit von außen und vor allem von einzelnen Staaten zu minimieren.

Einen europäischen Rahmen für eine neue Rohstoffstrategie gibt es bereits. Die Europäische Union hat im März den „Critical Raw Materials Act“ vorgestellt, der eine Lieferobergrenze für den Bezug strategischer Rohstoffe etabliert. Danach dürfen nicht mehr als 65 Prozent des Jahresverbrauchs der EU eines bestimmten Rohstoffs aus einem einzigen Drittland stammen. Das ist jetzt noch keine Diversifikation in Reinkultur, aber immerhin ein Anfang. Doch selbst der ist nicht einfach umzusetzen, steht China doch bei Gallium für 94 Prozent und bei Germanium für 83 Prozent des Weltmarkts.

Abhilfe ist möglich, aber nicht auf die Schnelle: Brasilien und Vietnam besitzen zwar zusammen etwa ebenso viele Seltene Erden wie China, die Produktion beträgt aber nur 1,5 Prozent des chinesischen Outputs. Das Potenzial zur Diversifikation ist also vorhanden, doch braucht es hohe Investitionen (die auch wir werden stemmen müssen), internationale Handelsabkommen – und eine Menge Geduld.

Diversifizieren, recyceln und selbst fördern

Auch Recycling soll nach dem Willen der EU eine bedeutende Rolle spielen: Mindestens 15 Prozent des jährlichen EU-Verbrauchs an strategischen Rohstoffen sollen durch Wiederverwertung künftig gedeckt werden. Die Studienautoren halten das für einen sinnvollen Ansatz. Sie weisen allerdings darauf hin, dass daran schon beim Produktdesign geachtet werden muss, zum Beispiel über einen modularen Aufbau. An dieser Stelle wird es ohne regulatorische Vorschriften wie ein „Recht auf Reparatur“ nicht funktionieren. Doch klar ist auch, dass bei aller Anstrengung immer nur ein kleinerer Teil des Bedarfs durch Recycling gedeckt werden kann.

Bleibt die Option, wieder mehr Rohstoffe in Europa abzubauen. Hier gibt es immerhin einige vielversprechende Ansätze: In der französischen Auvergne soll in fünf Jahren so viel Lithium aus der Erde geholt werden, dass es für 700.000 Elektroautos reicht. Auch im österreichischen Wolfsberg bereitet ein Unternehmen aktuell den Lithium-Abbau vor, und in Großbritannien wird ebenfalls schon fleißig gebuddelt. Auch hier gilt aber: Das ist zwar mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, doch den Bedarf decken werden wir mit Eigenproduktion nicht.

Die Eigenproduktion hat auch ein paar ganz eigene Herausforderungen. Sie wird auf jeden Fall teurer, außerdem sind die technischen Hürden gewaltig – und immun gegen die Verweigerung Chinas sind wir auch nicht: Fast alle notwendigen Maschinen stellt nur noch das Reich der Mitte her. Dazu kommt, dass wir uns in Europa viel schwerer als andernorts tun, die vorhanden Schätze tatsächlich aus dem Boden zu holen – wer will schon eine Abraumhalde vor seinem Garten haben, und welches Unternehmen will die Ökobilanz eines Bergbauunternehmens ausweisen?

Doch bei allen praktischen Schwierigkeiten: Der Ansatz ist sinnvoll. Eine Mischung aus Diversifizierung, Eigenproduktion und Recycling erhöht die Lieferkettenresilienz bei Rohstoffen, weil sowohl Unterbrechungen der Lieferketten als auch dadurch verursachte Preisschocks abgefedert werden können. Um auch in akuten Notfällen vorbereitet zu sein, schlagen die Studienautoren eine staatliche Rohstoffreserve vor, mit deren Hilfe kurzzeitige Ausfälle überbrückt werden können. Außerdem sollen Steuererleichterungen Privatwirtschaft animieren, eigene Vorräte anzulegen.

Energie ist ein Standortfaktor

Die Diskussion um ausreichend und vor allem bezahlbare Energie ist in der Öffentlichkeit sehr viel präsenter als die Sorge um den Zugriff auf metallische Rohstoffe. Hier ist den Studienautoren wichtig herauszustellen, dass die Debatte den gesamten Primärenergiebedarf umfassen muss. Sie verweisen darauf, dass über die Hälfte des Energieverbrauchs der Wärmeerzeugung dient – neben den privaten Haushalten sind Unternehmen mit Bedarf an Prozesswärme die größten Nachfrager.

Das Problem: Wärme erzeugen wir vor allem mit Öl und Gas, beides wird fast komplett importiert. Insgesamt deckt Deutschland nicht mal ein Drittel seines Primärenergiebedarfs aus heimischen Quellen, die Gewinnung von Energierohstoffen hat sich 1990 durch den weit gehenden Verzicht auf Stein- und Braunkohle fast halbiert. Kurzfristig geht es nach dem Ausfall der russischen Lieferungen nicht ohne die Zusammenarbeit mit verlässlichen Partnerländern – auch wenn nicht alle davon nach unserem Geschmack sein sollten.

Wärme erzeugen wir vor allem mit Öl und Gas, beides wird fast komplett importiert.

Doch Verfügbarkeit allein reicht nicht aus: Viele Verbraucher kämpfen mit den hohen Preisen, doch auch Unternehmen sind zum Teil besonders hart getroffen – schon macht die Unkerei von der Deindustrialisierung Deutschlands die Runde. Was nach Übertreibung klingt, ist als schleichender Prozess durchaus denkbar: Zwar wird kaum ein Unternehmen Hals über Kopf die Produktion verlagern. Aber wenn Investitionsentscheidungen anstehen (und davon müssen Unternehmen vor allem in transformierenden Branchen zahlreiche treffen), dann spielen die Energiekosten natürlich eine erhebliche Rolle.

Kurzfristig können hier subventionierte Industriestrompreise helfen. Mittel- bis langfristig müssen Deutschland und Europa aber selbst bezahlbaren Strom produzieren. Das kann nur aus Erneuerbaren Energien geschehen. Dafür braucht es nicht nur neue Windkraft-, Wasserkraft- und Photovoltaikanlagen, sondern vor allem eine europäische Netzinfrastruktur, die den Strom dort verfügbar macht, wo er benötigt wird. Ganz ohne fossile Energieträger wird es aber ohnehin nicht gehen: Für Prozesswärme werden bis auf Weiteres vielfach noch kohlenstoffhaltige Rohstoffe benötigt. Die Studienautoren empfehlen Carbon Capture Utilisation and Storage (CCUS) als Brückentechnologie, um Produktionsprozesse dennoch CO2-neutral auszugestalten.

Zielkonflikte erfordern Kompromisse

Strategien geben Orientierung, lösen aber nicht alle Probleme. So auch hier: Eine neue Energie- und Rohstoffstrategie kann das Ziel und die Marschrichtung vorgeben. Der Weg aber ist steinig und nicht immer geradlinig. Das „Energiepolitische Zieldreieck“, das sich genauso auf Rohstoffe übertragen lässt, zeigt das Dilemma. Neben der ausführlich diskutierten Versorgungssicherheit sind die ebenfalls besprochene Wirtschaftlichkeit und zusätzlich die Umweltverträglichkeit gleichrangige Ziele. Maßnahmen zur Erreichung eines der Ziele gehen nicht immer, aber doch immer wieder zu Lasten eines der anderen Ziele. Darum fordern die Studienautoren Realismus, Augenmaß und Kompromissfähigkeit – und einen gesellschaftlichen Dialog, um einen möglichst breiten Konsens zu erzielen.

Das energiepolitische Zieldreieck

Die Debatte muss die gesamte Zivilgesellschaft umfassen, ohne den Staat geht es aber nicht. Auf internationaler Ebene muss er die Handelspartnerschaften für die Rohstoff- und Energieversorgung vorantreiben. Auf europäischer und nationaler Ebene hat der Staat die Aufgabe, unternehmerische Entscheidungen durch regulatorische Vorgaben so zu lenken, dass die drei Ziele bestmöglich erreicht werden. Weil dafür die rasche und breite Anwendung neuer Technologien notwendig ist, muss der Staat auch Investitionen in Innovation fördern. Heraushalten sollte er sich dagegen aus der Preisgestaltung und der Verteilung der Ressourcen – hier können die Marktkräfte nach Ansicht der Studienautoren ihre Vorteile ausspielen.

Das Thema ist also ebenso wichtig wie komplex. Ob Energie oder metallische Rohstoffe, ob Staat oder Wirtschaft, ob Verfügbarkeit oder Preis, ob Strategie oder Kompromiss – die Beschäftigung mit den Grundpfeilern unserer Wirtschaft führt eins deutlich vor Augen: Der Umbau unserer Volkswirtschaft in einen nachhaltigen Wachstums-Case ist eine Herkulesaufgabe, die nur gelingen kann, wenn jeder seine Stärken einbringt und alle an einem Strang ziehen.

09/2023
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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