Neben den klassischen volkswirtschaftlichen Konjunkturindikatoren gibt es etliche „ungewöhnliche“ Gradmesser: Wer wissen will, wie es bald um die Konjunktur steht, sollte die Absatzzahlen von Herrenunterwäsche genauer betrachten.
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Kaum ein Produkt wird so konstant nachgefragt wie Herrenunterwäsche. Ob Wirtschaftsboom oder Konjunkturkrise, die Kurve bleibt nahezu unverändert – denn ohne geht es nicht, und Herren-unterhosen sind wenigen kurzfristigen modischen Schwankungen unterworfen. So war es der legendäre US-Notenbankchef Alan Greenspan, der sich die Absatzzahlen ganz genau anschaute. Und feststellte: Ein kleiner Ausschlag nach unten heißt Schlimmes für die Konjunktur. Denn wenn das Geld so knapp ist, dass selbst unvermeidliche Konsumausgaben herausgezögert werden, muss es um die Einkommen schlecht bestellt sein.
Auf Luxus möchten Menschen auch in schwierigen Zeiten ungern verzichten. Allerdings reicht in der Rezession das Geld nur für den kleinen Luxus. Darum werden, so erklärte 2001 der emeritierte Estée-Lauder-Chef Leonard Lauder, bei nachlassender Konjunktur mehr Lippenstifte verkauft als zuvor. Doch der Indikator hat gleich zwei Schwächen: In der Pandemiekrise, als alle zu Hause blieben, war Lippenstift nicht gefragt. Und: Die Moden wechseln; der Lippestift muss nicht länger Inbegriff des kleinen Luxus bleiben. Dieses Problem zeigt sich auch bei anderen „Mode-Indikatoren“: High Heels verabschiedeten sich als zuverlässiger Indikator schon eine Modewelle vorher. Und ob schmal geschnittene Krawatten wirklich gute Wirtschaftszeiten anzeigen, während in der Krise eher die konventionellen, breiteren Binder – da vertrauenerweckend – gefragt sind, ist ebenfalls umstritten.
Wenn alle von Rezession reden, dann ist sie nicht mehr fern? Tatsächlich genügt der Blick in die beiden führenden Qualitätszeitungen „Washington Post“ und „New York Times“: Häuft sich die Nennung des R-Worts, wird eine Rezession wahrscheinlicher. Diese Analyse hat in der Vergangenheit bereits zwei Rezessionen richtig vorhergesagt. Und auch in der Coronakrise war die häufige Nennung ein zutreffender Indikator.
Wann immer Menschen ihre Bauten dem Himmel weit entgegenstrecken, ist das Chaos nicht fern. Das war schon in der Bibel so, das gilt angeblich auch in der Moderne. Kurz vor der Weltfinanzkrise 1929 waren gleich drei der bis dato höchsten Gebäude im Bau. Und kurz vor der Finanzkrise 2008/09 machten wieder zahlreiche Rekordbaupläne Schlagzeilen, insbesondere in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ökonomisch sind die Rekordhochhäuser selten sinnvoll; aus ihnen spricht oft eher ein Überschuss an Kapital, das nach neuen, aufmerksamkeitsstarken Investmentmöglichkeiten sucht. Werde Kapital jedoch en gros fehlalloziert, sei das Platzen einer Blase nicht fern. So zutreffend der Hochhausindikator in der Vergangenheit gewesen sein mag – gerade in Asien wurden zahlreiche Rekordgebäude fertiggestellt, ohne dass bald darauf eine Krise folgte.
Geht die Kartonproduktion hoch, gilt dies manchem Beobachter als Frühindikator für eine Besserung der Wirtschaft. Die Rechnung dazu lautet: Wenn beim Einzelhändler die Ware knapp wird, bestellt er nach. Sinkt der Lagerbestand schneller als bislang, wird Ware schneller nachgefragt. Wird mehr Ware produziert, braucht es Kartons für den Transport. Der große Vorteil des Karton-Indikators: Er ist branchenübergreifend, denn in Kartons werden die unterschiedlichsten Produkte verschickt. Und er funktioniert auch umgekehrt: Wird weniger nachgefragt, wird weniger verschickt. Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass das Onlinegeschäft kontinuierlich wächst – und viele, viele Kartons benötigt.
Sind die Bedienungen in Bars und Restaurants auffallend gutaussehend, so sei dies ein Zeichen für eine Rezession. Denn, so lautet die Begründung, besonders attraktive Menschen fänden dann nicht mehr so einfach besser bezahlte Tätigkeiten wie in einer starken Konjunktur – wenn sie beispielsweise vermehrt für Werbung oder Events angefragt würden. Ob der – übrigens nicht leicht objektivierbare – Index auch außerhalb Hollywoods Gültigkeit hat, konnte noch nicht erhoben werden. Zudem gilt bei diesem Indikator während der Coronapandemie mit geschlossenen Restaurants: Aussage schwierig. Auch der „Baked Beans“-Indikator war in Zeiten ohne Gastronomie wenig hilfreich: Je mehr Dosenbohnen gekauft werden, desto stärker ist die Rezession, weil das Geld für Restaurants eingespart werden muss.
09/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.