Für den nachhaltigen und digitalen Umbau unserer Volkswirtschaft brauchen wir eine Vielzahl von Metallen. Doch die müssen importiert werden – und der Zugriff darauf ist bedroht, wie eine aktuelle Analyse zeigt.
Kein Sonnenblumenöl mehr in den Regalen, keine Chips für die Automobilproduktion, lange Wartezeiten bei elektrischen Geräten und Möbeln – wir haben uns schon fast an Knappheit gewöhnt. Und wir können sie erklären: Störung von Lieferketten durch Krieg, Corona oder Unglücke wie die Havarie im Suez-Kanal. Im Umkehrschluss heißt das: Die Probleme verschwinden, wenn die Ursachen beseitigt sind. Das ist allerdings nicht überall der Fall. Bei Energie beginnen wir zu begreifen, dass die Lieferungen aus dem Osten dauerhaft ausfallen werden – darum besorgen wir sie woanders und stellen sie künftig hoffentlich selbst und nachhaltig her.
Während wir die Energieversorgung also vermutlich in den Griff bekommen, sieht das bei der Versorgung mit anderen, bislang viel weniger beachteten Rohstoffen ganz anders aus. Die deutsche Wirtschaft ist in hohem Maße abhängig vom Import von Metallen. In dem aktuellen Whitepaper „Rohstoffsicherheit in einer volatilen Welt“ analysieren Experten der Deutschen Bank die Abhängigkeit von einzelnen Ländern und schlagen Maßnahmen für eine neue Rohstoff-Strategie vor.
Das aktuelle Whitepaper „Rohstoffsicherheit in einer volatilen Welt“ enthält zahlreiche weitere Detailinformationen und interessante Tabellen und Grafiken. Unter anderem findet sich darin eine umfangreiche Liste, in welchen Schlüsseltechnologien welche Metalle benötigt werden sowie eine Grafik, die für ausgewählte Metalle das Länderrisiko darstellt. Das Whitepaper kann hier heruntergeladen werden.
Metalle – das klingt nach Stahlwerken, Verhüttung, hohem CO2-Verbrauch und insgesamt irgendwie nach alten Industrien, die ohnehin schon in günstigere Produktionsländer abgewandert sind oder das bald tun werden. Warum sollen wir uns ausgerechnet um Metalle sorgen, wenn wir uns doch ohnehin gerade zu einer emissionsfreien Gesellschaft entwickeln wollen? Die Antwort lautet: genau deswegen.
„Der notwendige Umbau der deutschen Volkswirtschaft löst das Problem der Metallversorgung nicht etwa, sondern macht es nur noch drängender.“
Hauke Burkhardt, Deutsche Bank
„Der notwendige Umbau der deutschen Volkswirtschaft zu einer digitalen und nachhaltigen Ökonomie löst das Problem der Metallversorgung nicht etwa, sondern macht es nur noch drängender“, sagt Hauke Burkhardt, in der Deutschen Bank verantwortlich für das Kreditgeschäft mit Unternehmen und einer der Studienautoren. Von Metallen wie Niob, Vanadium, Ruthenium oder Lanthan haben die wenigsten von uns bislang gehört – aber ohne diese seltenen Metalle (einige davon werden irreführenderweise auch Seltene Erden genannt) und ihre bekannten Schwestern wie Eisen, Aluminium, Kupfer und Blei geht in vielen Hochtechnologiebereichen gar nichts. Wir brauchen sie für die Energieerzeugung und -speicherung ebenso wie für Hardware oder automatisiertes Fahren – und damit ist die Liste lange nicht erschöpft. „In vielen dieser innovativen Zukunftsfelder sind deutsche Unternehmen hervorragend positioniert“, betont Burkhardt. „Unser künftiges Wachstum hängt auch an ihrem Erfolg.“
So weit, so klar. Nur: Wie sichern wir den Zugriff auf die so wichtigen Metalle? Darin steckt ein großes Risiko. Metalle sind im Schnitt heute schon fünfmal so teuer wie zur Jahrtausendwende. Und wenn die Welt Ernst macht mit Digitalisierung und Nachhaltigkeit, wird der Bedarf noch gewaltig steigen. Die Deutsche Rohstoffagentur schätzt, dass die Nachfrage im Jahr 2040 die Produktion des Jahres 2018 bei wichtigen Metallen um ein Vielfaches übersteigen wird. Das heißt ganz einfach: Entweder buddeln wir erheblich mehr aus oder es wird nicht für alle reichen. Da die erste Variante zumindest unsicher ist, lohnt ein Blick, wer eigentlich den Daumen auf den Metallen hat, auf die die Welt angewiesen ist.
Diese Analyse ergibt ein düsteres Bild. Viele Rohstoffe kommen aus Ländern, die keinen besonders guten Ruf in Sachen Nachhaltigkeit und Menschenrechte haben – der Kongo sei beispielhaft genannt. Hier könnte Druck aus den Abnehmerländern möglicherweise noch Abhilfe schaffen. Schwieriger sieht es bei den Lieferländern aus, mit denen Europa geopolitisch im Wettbewerb steht. Zum Beispiel kommt fast die Hälfte des veredelten Nickels aus Russland. China steht für fast ein Fünftel aller Rohstoffe und sogar für mehr als die Hälfte aller Vorprodukte aus metallischen Rohstoffen. Wir sind also in extremem Maß auf den Handel mit Ländern angewiesen, die auf mittlere und längere Sicht höchst unsichere Geschäftspartner sind.
Dazu kommt noch, dass sowohl das Schürfen als auch die Verarbeitung von Rohstoffen sehr CO2-intensiv sind. Das wird einige Länder veranlassen, hier trotz hoher Nachfrage eher auf die Bremse zu treten. In China ließ sich das bereits beobachten: Im September 2021 ordnete die Regierung an, dass zwei Drittel der 50 Magnesiumhütten ihre Produktion bis zum Jahresende 2021 einstellen sollten. Außerdem sollen sich die Hersteller auf den Inlandsverbrauch konzentrieren, deutsche Unternehmen könnten da rasch in die Röhre gucken.
Um der drohenden Knappheit an unerlässlichen Metallen zu begegnen, braucht es mehr als vereinzelte Aktionen. Die Experten von der Deutschen Bank plädieren für eine überarbeitete Rohstoff-Strategie und schlagen einige konkrete Maßnahmen vor:
1. Zugriff auf raffinierte und halbfertige Metalle sichern
Deutschland und die EU sollten über Exportfinanzierungen, Vorauszahlungen oder Darlehen zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen den Aufbau von Metallraffineriekapazitäten direkt am Ort der Rohstoffgewinnung unterstützen. Das sollten gleichberechtigte Partnerschaften mit den Rohstoffländern sein, die dadurch ihre Wertschöpfungstiefe und Margen erhöhen sowie Arbeitsplätze schaffen könnten. Außerdem sollten wir eigene Raffineriekapazitäten auf- und ausbauen.
2. Rohstoffe außerhalb der EU beschaffen
Wenn Deutschland und Europa die Raffineriekapazitäten diversifizieren, könnten sie damit auch einen breiteren Pool von Rohstofflieferanten erschließen. Sicheren Zugriff bieten aus Sicht der Experten:
• Beschaffungspartnerschaften mit Rohstoffhändlern
• Eigenkapitalinvestitionen in Rohstoff fördernde Unternehmen
• Infrastruktur im Tausch für die Bereitstellung von Rohstoffrechten
• Vorauszahlungen und Kredite, die durch die Lieferung von Rohstoffen zurückgezahlt werden
3. Rohstoffe innerhalb der EU beschaffen
Deutschland und seine europäischen Nachbarländer verfügen selbst über Metallreserven, die in den vergangenen Jahren nicht abgebaut wurden. Mit der Beschaffung vor Ort trügen Unternehmen auch gestiegenen Nachhaltigkeitsanforderungen Rechnung. Allerdings dürften Aufwand und Kosten höher sein. Außerdem verweisen die Experten auf den Mangel an Risikokapital in Europa für die Finanzierung der Rohstoffgewinnung.
4. Strategische Reserven bilden
Bei der strategischen Bevorratung sollten die Unternehmen antizyklisch handeln und sich bei günstigen Marktbedingungen größere Mengen sichern. Darüber hinaus sollten klare Prioritäten gesetzt werden, für welche Rohstoffe und veredelte Erzeugnisse strategische Reserven erforderlich sind. Die Experten verweisen auf Länder wie die USA und Japan, die öffentlich-private Partnerschaften geschaffen haben, die die Lagerung von Rohstoffen organisieren.
5. Recyclingquote erhöhen
Bei kaum einem kritischen Metall liegt die Recyclingquote bislang über 20 Prozent, bei vielen nahe null. Um die Recyclingfähigkeit zu erhöhen, wären mehrere Initiativen erforderlich – von der Erhöhung der gesetzlich vorgeschriebenen Recyclingquoten bis hin zur Schaffung eines Rechtsrahmens, der das Recycling vor Ort erleichtert (zum Beispiel Anpassung des Flächennutzungsrechts). Außerdem müssen Produkte wieder leichter in ihre ursprünglichen Materialien zerlegt werden können.
6. Ersatz für wichtige Rohstoffe finden
Aktuell lassen sich nur wenige Rohstoffe durch Alternativen ersetzen. Daher fordern die Experten zusätzliche Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E).
„Diesen möglichen Maßnahmenkatalog gilt es nun mit allen Beteiligten weiter zu detaillieren“, sagt Burkhardt. Die Diskussion in Politik und Öffentlichkeit hat gerade erst begonnen. Idealerweise gäbe es natürlich eine europäische Rohstoff-Strategie. Da die Brüsseler Mühlen aber oft noch langsamer mahlen als die Berliner und die Interessen der einzelnen Volkswirtschaften nicht identisch sind, muss Deutschland wohl (auch) für sich selbst vorsorgen, auch wenn die Europäische Rohstoff-Allianz offenbar gerade Fahrt aufnimmt.
Immerhin: Die Dringlichkeit des Themas wird langsam erkannt. Es tatsächlich anzupacken dürfte eine gewaltige Kraftanstrengung sein. Frühere Rohstoff-Initiativen machen nicht gerade Mut, aber die Lage war bislang auch nicht so dramatisch und wir beginnen uns an drastische Maßnahmen zu gewöhnen. Die aktuelle Rohstoff-Strategie ist sehr liberal, künftig dürfte der Staat eine größere Rolle spielen. Konzertierte Aktionen verlangen von allen Beteiligten – Unternehmen, Politik, Verbände, Wissenschaft etc. – Kompromisse und die Bereitschaft, Kosten zu akzeptieren. Klar ist aber: Ohne den Zugriff auf die Metalle können wir unsere wichtigen gesellschaftlichen Ziele wie Wachstum und Nachhaltigkeit nicht erreichen.
5/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.