Unser Geldsystem steckt in einem Existenzkampf, glaubt Daniel Stelter, der Showdown naht. Alternative Modelle sind schlechter oder unrealistisch. Darum hilft nur eins: Die Schulden müssen weg.
Weil es nicht mehr viele Auswege gibt. Es geht schon viel länger gut, als ich dachte. Seit Jahrzehnten steigen die Schulden, in jeder Krise reagieren die Zentralbanken asymmetrisch: Die Zinsen fallen immer stärker, als sie später wieder angehoben werden. Das hat unsere Politiker, unsere Unternehmen und uns Privatleute zu immer mehr Schulden verführt und unsere Krisenanfälligkeit enorm erhöht. Der nächste Crash könnte unser Geldsystem zerstören.
Der beste Weg wäre, aus den Schulden herauszuwachsen. Dagegen sprechen aber die demografische Entwicklung und die abnehmenden Produktivitätszuwächse. Schuldenschnitte und Pleiten sind eine weitere Möglichkeit. Aber das ist leichter gesagt als getan: Eine Pleite Italiens überleben die italienischen Banken nicht, das ist politisch nicht attraktiv. Dann gibt es Vermögensabgaben – in Deutschland sehr populär, andernorts richtigerweise nicht. Von den klassischen Optionen ist nur eine wirklich geeignet: Inflation.
„Ich möchte die sekundäre Geldschöpfung durch die Banken behalten, weil sie eigentlich gut funktioniert.“
Das ist nicht so einfach. Seit über einem Jahrzehnt schaffen wir es nicht, eine sanft steigende Inflation zu erzeugen. Viele glauben mittlerweile, dass es gar nicht funktionieren kann. Ich sehe das anders, es gibt nämlich einen Unterschied zwischen der Finanzkrise und heute. Damals wurde mit viel Geld das Finanzsystem stabilisiert. Heute geben die Staaten das Geld tatsächlich aus, um ihre Volkswirtschaften zu stützen, es landet also in der Realwirtschaft. Zusammen mit den immensen Ausgaben im Kampf gegen den Klimawandel könnte es tatsächlich gelingen, Inflation zu erzeugen. Allerdings birgt Inflation Risiken. Das ist wie bei der Ketchup-Flasche: Wenn etwas kommt, dann mit Macht.
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Man könnte das gesamte System auf Vollgeld umstellen. Damit wird Geld nur noch von der Zentralbank geschöpft, nicht mehr von den Kredit gebenden Banken. Mit dem Systemwechsel könnte man auf einen Schlag alle Staatsschulden annullieren – aber das kann man nur ein einziges Mal machen. Und Vollgeld hat einen enormen Nachteil: Banken könnten nur noch so viel Geld verleihen, wie Sparer tatsächlich bei ihnen deponiert haben. Das wäre ein gewaltiges Hemmnis für die kluge Allokation von Fremdkapital.
In der Tat. Ich kann nicht ausschließen, dass das digitale Zentralbankgeld der Masterplan ist, um aus dem Schlamassel herauszukommen.
Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums beyond the obvious. Der ehemalige BCG-Berater ist Experte für Wirtschafts- und Finanzkrisen und berät internationale Unternehmen und Investoren zu den Herausforderungen der sich stetig wandelnden globalen Märkte. Sein aktuelles Buch schaut weit nach vorn: „Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040“.
Der freiheitsliebende Teil in mir sagt, dass privates Digitalgeld genau die richtige Antwort sein kann. Wir werden das aber nie erfahren, weil die Staaten sich niemals das Geldmonopol nehmen lassen. Die Fähigkeit, Geld zu schöpfen, ist extrem attraktiv, darum werden wir immer mehr Regulierung erleben. Wer Angst vor dem Ende des Geldsystems hat, sollte lieber Gold als Bitcoins kaufen. Beides wird allerdings kritisch gesehen – man will verhindern, dass die Leute aus dem System flüchten.
Das kann man machen, ist aber nicht mein Favorit, denn gedeckte Währungen haben ähnliche Nachteile wie digitales Vollgeld. Ich möchte die sekundäre Geldschöpfung durch die Banken behalten, weil sie eigentlich gut funktioniert. Aber das System ist aktuell völlig enthemmt: Wenn Banken darauf vertrauen können, dass der Staat sie retten wird, werden sie zu aggressiv. Grundsätzlich weiß die private Kreditwirtschaft am besten, wo das Geld hingehört. Man muss aber die Freiheit in der Kreditvergabe deutlich stärker beschränken. Zum Beispiel schlage ich vor, dass beim Immobilienkauf höchstens das Zehnfache der Jahresmiete finanziert werden darf.
Eine Weltwährung könnte durchaus eine Lösung sein. Bei der Umstellung könnte man die Schulden elegant verschwinden lassen. Aber solange die Amerikaner das Privileg haben, de facto die Weltwährung zu besitzen, werden sie nicht mitmachen.
„Wir sollten auf europäischer Ebene Schulden in Höhe von 80 Prozent des BIP bei der EZB poolen und verewigen, sodass sie de facto verschwinden.“
Absolut, nur damit bekommen wir rasch die Handlungsfreiheit, die wir brauchen. Und es gibt einen Kniff, um das ohne Schaden zu bewerkstelligen: Wir sollten auf europäischer Ebene Schulden in Höhe von 80 Prozent des BIP bei der EZB poolen und verewigen, sodass sie de facto verschwinden.
Es passiert doch schleichend, wenn auch nicht als politisch verabschiedetes Ziel. Das liegt an den Deutschen, die ihre eigenen Erfahrungen mit Geld haben und verkennen, dass es besser ist, offen statt heimlich zu agieren. Wir haben leider zu wenige strategisch und ökonomisch denkende Politiker. Viele denken, wir seien reich, weil wir gerade viel Geld verdienen. Dabei geht es darum, die Grundlagen zu schaffen, um auch künftig viel Geld zu verdienen. Die Schulden sind die größte Bedrohung unserer Zukunft. Darum brauchen wir jetzt eine unkonventionelle Lösung.
04/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.