Das vergangene Jahr stand an den Devisenmärkten im Zeichen des Dollars, aber 2023 könnte das Jahr des Euros werden – mit guten und schlechten Auswirkungen auf die Unternehmen in Deutschland.
Mitte Juli 2022 war es soweit. Was Marktexperten mit Blick auf die Kurstrends schon länger befürchtet hatten, wurde Realität: Der Euro sackte gegenüber dem US-Dollar unter die Parität. Zum ersten Mal seit 20 Jahren war 1 Greenback mehr wert als 1 Euro. Das Echo in den Nachrichtenspalten und den sozialen Medien war gewaltig. Sogar von einer „Weichwährung“ war die Rede, wenn es um den Euro ging. Die Folgen bekamen viele Menschen und Unternehmen zu spüren: Weil viele Güter am Weltmarkt in Dollar gehandelt werden, machte die Euroschwäche Auslandseinkäufe deutlich teurer, was die ohnehin schon hohen Inflationsraten in Deutschland noch weiter antrieb. Lag die Inflationsrate in Deutschland zwischen März und August zwischen 7 und 8 Prozent, sprang sie im September über die 10-Prozent-Marke, und dort blieb sie auch bis einschließlich November.
„Die Dollarstärke 2022 war historisch gesehen fast einzigartig. Das gab es in 50 Jahren nur ganz selten.“
Robin Winkler, Deutsche Bank Research
Während praktisch alle Unternehmen unter der starken Teuerung leiden, verlieh die Entwicklung beim Euro-Dollar-Paar zumindest Exporteuren auch Rückenwind. Ihre Waren und Dienstleistungen wurden zumindest gegenüber denen von US-Wettbewerbern am Weltmarkt günstiger.
Doch weitet man den Blick ein wenig, sieht die Lage anders aus. Robin Winkler, Devisenexperte der Deutschen Bank, will von einer „Weichwährung Euro“ nicht sprechen: „2022 hatten wir eindeutig eine Dollarstärke, und zwar am gesamten Devisenmarkt. Das war historisch gesehen fast einzigartig. Das gab es in 50 Jahren nur ganz selten.“
Und insgesamt hat sich der Euro gar nicht mal so schlecht geschlagen: „Handelsgewichtet ist der Euro relativ fest gewesen“, berichtet Winkler. Gegenüber dem britischen Pfund legte der Euro 2022 um 5 Prozent zu, gegenüber dem Yen sogar um 8 Prozent (siehe Grafik). Auch die skandinavischen und osteuropäischen Währungen werteten 2022 zum Teil deutlich gegenüber dem Euro ab – alles Länder, mit denen Deutschland regen Handel betreibt. Und weil der Euro auch gegenüber dem Dollar im vierten Quartal deutlich aufholen konnte, lag der Jahresverlust selbst gegenüber der aktuell härtesten Währung der Welt in der Jahresbilanz bei lediglich 7 Prozent, der Wechselkurs Euro-Dollar stellte sich zum Jahresende auf 1,06.
Diese starken Wechselkursschwankungen lassen sich sowohl mit der Zinsentwicklung als auch mit der Wirtschaftslage erklären. „Die US-Notenbank Fed hat im globalen Zinserhöhungszyklus 2022 den schnellsten Start hingelegt“, weiß Winkler. „Und wegen der inflationsdämpfenden Wirkung hat die Fed die Aufwertung des Dollars sicher auch gerne hingenommen.“ Erst im zweiten Halbjahr begann auch die Europäische Zentralbank damit, vehement an der Zinsschraube zu drehen. Zur gleichen Zeit zeichnete sich außerdem ab, dass Europa die Versorgungsprobleme bei Gas besser in den Griff bekommt als zuvor befürchtet. Auch dies stützte den Euro.
Gegen Jahresende könnten sich in den USA sogar schon die ersten Zinssenkungen am Horizont abzeichnen.
Jetzt ist die spannende Frage, ob die Achterbahnfahrt des Euros auch in diesem Jahr anhalten wird. Winkler glaubt, dass es an den Devisenmärkten weniger turbulent zugehen wird – und dass der Euro das Zeug dazu hat, einer der Top-Performer 2023 zu werden: „Das lässt der hohe Investitionsbedarf erwarten, der sich in der Eurozone durch die ‚Zeitenwenden‘ ergibt, speziell für die Wiederaufrüstung der Streitkräfte und den Umbau der Energiesysteme. Außerdem wird sich die Lücke bei den Leitzinsen zwischen den USA und der Eurozone deutlich einengen, weil die EZB mit großer Wahrscheinlichkeit 2023 größere Zinsschritte gehen wird als die Fed.“
Unter Umständen könnten sich gegen Jahresende in den USA sogar schon die ersten Zinssenkungen am Horizont abzeichnen, meint Winkler. Spätestens dann wäre es mit der Dollarstärke vorbei, und neben dem Euro könnte der japanische Yen zum zweiten Gewinner am Devisenmarkt 2023 werden. Japan wird in Kürze als letztes großes Land eine Zinswende vollziehen, sind sich die meisten Ökonomen einig – mit positiven Folgen für die einheimische Währung.
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Kommt es tatsächlich so wie von den Devisenexperten erwartet, würde sich das Bild bei den Gewinnern und Verlierern der Wechselkurse in der deutschen Unternehmenslandschaft gegenüber 2022 verändern. Während die exportorientierten Unternehmen eine Eurostärke als Gegenwird zu spüren bekämen, könnten insbesondere rohstoffhungrige Firmen von der stärkeren Kaufkraft des Euros am Weltmarkt profitieren. Allen hingegen dürfte es helfen, wenn ein starker Euro im Verbund mit den Zinsanhebungen der EZB dazu führt, dass die Inflationsraten im Lauf dieses Jahres wieder deutlich sinken können – eine willkommene Erleichterung bei den Kosten, vor allem bei den Löhnen.
Schwierig hingegen würde es, wenn Unternehmer es nach den vielfältigen Krisen der vergangenen Jahre nun auch noch mit Währungsturbulenzen zu tun bekämen. Ganz so weit hergeholt, wie es klingt, ist dieses Szenario nicht, denn in der Geschichte hat es schon mehrmals im Nachgang zu starken Wertzuwächsen des Dollars in vielen Währungsräumen gekracht, insbesondere in den Schwellenländern. Doch Devisenexperte Winkler hält dieses Risiko nicht für besonders groß – nicht zuletzt deshalb, weil selbst die ausgeprägte Dollarstärke des ersten Halbjahres 2022 zu keinen nennenswerten Verwerfungen an den Devisenmärkten geführt habe. „Mitte der 80er-Jahre lief es nach einer starken Dollaraufwertung noch anders“, erzählt Winkler. „Damals gab es große Turbulenzen an den Devisenmärkten, unter denen auch US-Unternehmen gelitten haben. Damals mussten die Notenbanken weltweit koordiniert in den Devisenmarkt eingreifen. Diese Gefahr haben sie seitdem bei ihren Zinsmanövern aber genau im Blick, insbesondere die Fed.“
Es wäre also überraschend, wenn ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem Euro und Yen gegenüber dem Greenback stärker werden, Turbulenzen ausbrechen würden. Trotzdem gilt es für Unternehmer, wachsam zu sein. In einer Phase, in der regelmäßige Zinsanhebungen von 50 Basispunkten weltweit zum Normalfall geworden sind, ist das Potenzial für starke Kursausschläge groß. Dieses Marktrisiko wird sich erst dann wieder reduzieren, wenn die meisten Notenbanken mit ihren Zinsanhebungen durch sind und der Inflationsgeist wieder zurück in der Flasche ist.
02/2023
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Michael Hedtstück. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.