Deutsche Produkte sind weltweit begehrt. Doch gerade im Mittelstand werden entfernte Auslandsmärkte manchmal gar nicht bedient. Die Argumente: zu exotisch, zu riskant, zu kompliziert. Dabei gibt es längst Mittel und Wege, auch in scheinbar unübersichtlichen Ländern berechenbare Geschäfte zu machen
TEXT: STEPHAN SCHLOTE
Manche Unternehmen liefern fast im Wortsinne bis ans Ende der Straße. Denn dort, wo die mobilen Asphalt- und Betonmischmaschinen des Buxtehuder Familienunternehmens Lintec zum Einsatz kommen, gibt es wenig Infrastruktur und meist nicht mal mehr feste Wege. Der Mittelständler – Auslandsanteil am Umsatz über 90 Prozent – verkauft und produziert in der ganzen Welt. Und oftmals sitzen die besten Kunden in Ländern fern der Eurozone, fern gewohnter Standards und Sicherheiten: im Mittleren und Nahen Osten, in Algerien, Libyen, Afghanistan, aber auch in Brasilien, Guatemala und demnächst vielleicht sogar in Iran. Klingt etwas abenteuerlich, ist es aber nicht. Denn der fast 100 Jahre alte Anlagenbauer weiß um die Risiken des Geschäfts mit fernen Ländern: „Sobald wir den europäischen Wirtschaftsraum verlassen“, sagt Lintec-Chef Ralf Ressel, „sichern wir unsere Zahlungseingänge komplett ab.“
Ressel macht höchst erfolgreich Geschäfte in Märkten, wo andere hilflos mit den Schultern zucken. Ein Interessent aus einem schwarzafrikanischen Land? Zu exotisch. Ein Kunde aus Südamerika? Da kennen wir uns nicht aus. Ein Großhändler aus dem Maghreb? Viel zu riskant. Und so verschenken gerade deutsche Mittelständler enorme Export- und Ertragschancen. Denn deutsche Produkte sind weltweit gefragt, auch in jenen Ländern, die viele Unternehmer erst gar nicht auf ihrer Landkarte haben. Zudem zahlen die Kunden fern der Heimat für höhere deutsche Qualität meist mehr als für nationale Produkte. „Wenn wir es richtig anstellen“, sagt Mittelstandsexperte Kai Giesel von der Deutschen Bank in Frankfurt, „gibt es für deutsche Mittelständler weltweit heute keine weißen Flecken mehr.“ Ein Verkauf nach Daressalam etwa sei dann genauso kalkulierbar wie nach Darmstadt, „und selbst in der Ukraine“, sagt Giesel, „geht noch was“.
Einer wie Lintec-Chef Ressel, erfahren in Märkten fern der Heimat, kann das bestätigen. „Einen Zahlungsausfall haben wir noch nie erlebt.“ Dabei muss Lintec seinen weit entfernten Kunden sogar noch lange Zahlungsziele gewähren, mitunter bis zu einem Jahr. So etwas macht eigentlich ziemlich nervös. Ressel aber bleibt entspannt. Denn Lintec vereinbart mit den Kunden entweder Vorkasse, falls möglich, oder ein Akkreditiv. Und kommt das Geld erst in vielen Monaten, reicht der Mittelständler seine Forderung an die Bank weiter. Dieser Forderungsverkauf hat den Charme, dass das Geld sofort aufs eigene Konto fließt. Und da bleibt es auch, gleich, was später noch passiert. Länderrisiko? Zahlungsausfallrisiko? Liegt alles bei der Bank.
Anlagen ans Ende der Welt zu verkaufen ist sicher nicht jedermanns Sache. Für Lintec-Chef Ralf Ressel ist das kein Thema. Das norddeutsche Unternehmen verkauft Asphalt- und Betonmischmaschinen in wirtschaftlich oft nur schwach entwickelte Länder. Zahlungsausfälle? Kennt Ressel nicht. Er liefert entweder auf Vorkasse oder auf Akkreditiv. Und soll der Forderungsbetrag schnell aufs Konto, verkauft er das Akkreditiv per Forfaitierung. Das Geld liegt dann Tage später auf dem Konto, alle Risiken bei der Bank.
Jeder Kunde formuliert Akkreditive anders
Klingt leicht, und dennoch lässt sich vieles falsch machen. „Zahlung auf Akkreditiv-Basis“, steht lapidar im Vertrag. Das scheint sicher, doch wer sich zuvor nicht gut beraten hat, steht plötzlich ohne Geld und Ware da. „Meist steckt der Fehler schon im Kaufvertrag, etwa in falschen Incoterms“, sagt die Hamburger Akkreditiv-Expertin Andrea Kurowski. Oder bei den vielen kleinen Details des sogenannten Kosten- und Gefahrenübergangs. Und dann tut es richtig weh; etwa wenn ein Auslandskunde die eigens produzierte Ware wegen unzulänglicher Vertragsdetails nicht abruft. Kurowski weiß um solche Fälle: Da fehlen dann plötzlich zwei entscheidende Dokumente – und das scheinbar sichere Akkreditiv ist wertlos. Damit sich so etwas nicht wiederholt, macht die Deutsche Bank spezielle Workshops zum Thema Risikoabsicherung im Ausland (siehe Hinweis am Textende).
Muss nicht sein, geht auch anders. Etwa beim oberbayerischen Agrarmaschinenbauer Fliegl. Seit Kurzem verkauft das weltweit expandierende Familienunternehmen seine Maschinen sogar nach Sambia, weitere afrikanische Märkte sollen folgen. Und dort sichert Fliegl den Zahlungseingang per Akkreditiv. Mit der Deutschen Bank hat das Unternehmen einen eigenen Dokumentenabwicklungsvertrag geschlossen. Das bedeutet, so die zuständige Beraterin Felicia Serban, „wir prüfen vor Abschluss alle Papiere bis ins Detail“. Und das heißt auch: Überraschungen ausgeschlossen. Fliegl-Finanzchef Nicolas Ehrl weiß um die kleinen und großen Fallen, denn jedes Land und jeder Kunde formuliert Akkreditive etwas anders. Natürlich bleibt im Ausland, wie bei jedem anderen Geschäft auch, immer ein Restrisiko. Sein Rat: sich nicht abschrecken lassen, Zeit investieren, sich in Märkte, Menschen und Mentalitäten reindenken.
Finanzmann Ehrl sagt selbst, er genieße dabei einen nicht ganz unwesentlichen Vorteil: Fast alle seiner Auslandskunden zahlen in Euro. In vielen anderen Unternehmen aber ist das nicht möglich. Der Auslandskunde möchte oder muss in der jeweiligen Landeswährung zahlen, oft schon wegen nationaler Devisenbeschränkungen oder eines nur eingeschränkt leistungsfähigen Bankensystems vor Ort. Zahlung in Landeswährung, jeder Exporteur weiß das, ist ein weltweit starkes Verkaufsargument. Viele deutsche Familienunternehmen schreiben dennoch nur Euro in ihre Rechnung. Währungsrisiko? Wollen wir nicht tragen. Und daraus folgt häufig: kein Abschluss trotz großen Interesses an deutschen Produkten. „Bei der Währungsfrage fahren viele Unternehmen eine harte Linie gegenüber ihren potenziellen Kunden“, sagt der Deutsche Bank Währungsexperte Bodo Sentker, „und verzichten damit ohne Not auf Umsatz.“
Das heißt nicht, mal eben jegliche kaufmännische Vorsicht über Bord zu werfen. Neben einem Zahlungsausfall sind Währungsschwankungen das zweite große Risiko im Auslandsgeschäft. Mehr noch: Ein einzelner Zahlungsausfall ist vielleicht möglich, eine Währungsschwankung aber fast sicher. Das kann mal eben ein zweistelliger Prozentwert sein. Und dann geht es ohne entsprechende Sicherung schnell ans Eingemachte.
Agrarmaschinenhersteller Fliegl vereinbart, wenn nötig, ein Akkreditiv. Doch Finanzchef Nicolas Ehrl weiß auch um die vielen kleinen Fallen und Fallstricke, die sich in einem solchen Dokument verbergen können. „Zahlung per Akkreditiv“, diese Vertragsklausel allein reicht eben nicht. Mit der Deutschen Bank hat er deshalb einen eigenen Dokumentenabwicklungsvertrag vereinbart. Seitdem checkt die Bank die Details. Denn die großen Risiken stecken oft im Kleingedruckten.
Klingt logisch, wird aber nicht automatisch befolgt. „Viele unterschätzen ihre Währungsrisiken“, sagt Sentker, „denn sie unterschätzen ihre tatsächlichen Außenstände in Fremdwährung.“ Gern mal, er erlebt es immer wieder, macht der Außendienst tolle Fremdwährungsabschlüsse fern der Heimat und geht erst danach zum Controlling. „Die fallen aus allen Wolken“, sagt Sentker, und dann ist es meist zu spät. Andere Verkäufer wiederum wissen gar nicht, dass sie auch in der Währung ihres Kunden abschließen könnten, wenn sie nur vorher zum Treasurer gingen und das Geschäft absicherten – ein, so Sentker, „immer wieder erlebtes Problem der innerbetrieblichen Kommunikation“. Eine Umfrage des Fachblatts „Der Treasurer“ bestätigt die Defizite: Auf die Frage, ob sie Verbesserungsbedarf im Währungsmanagement ihres Unternehmens sehen, antworteten 40 Prozent der befragten Finanzer mit Ja.
Es ginge auch anders: Mit rund 130 Ländern weltweit kann Deutschland Waren und Services austauschen, ungefähr 40 Währungen sind jenseits von Dollar- und Eurozone frei handelbar – und lassen sich damit per Option oder Termingeschäft absichern. Das kostet etwas Marge, dafür aber kommt jeder Verkäufer mit nur drei Wörtern dem Auslandsabschluss deutlich näher: „Zahlung in Landeswährung“.
Es gibt nicht wenige Unternehmer im Lande, die glauben, sie hätten es im Gefühl, wie der Dollar in sechs Monaten steht. Manche dachten das auch beim Rubel, bis zu dessen brutalem Absturz. Auch der Dollar ist alles andere als berechenbar: Im April 2014 kosteten 100 000 US-Dollar rund 72 000 Euro. Keine zwei Jahre später, im Januar 2016, war der gleiche Betrag rund 20 000 Euro teurer.
Auch der Dollar ist alles andere als berechenbar
Agrarmaschinenhersteller Fliegl vereinbart, wenn nötig, ein Akkreditiv. Doch Finanzchef Nicolas Ehrl weiß auch um die vielen kleinen Fallen und Fallstricke, die sich in einem solchen Dokument verbergen können. „Zahlung per Akkreditiv“, diese Vertragsklausel allein reicht eben nicht. Mit der Deutschen Bank hat er deshalb einen eigenen Dokumentenabwicklungsvertrag vereinbart. Seitdem checkt die Bank die Details. Denn die großen Risiken stecken oft im Kleingedruckten.
Fakt ist: Wer Devisen nicht sichert, zockt mit Währungsschwankungen – und da sind schon Konzerne mit großen Fachabteilungen dramatisch ausgerutscht.
Daniel Ohletz, Finance Manager der Freiburger Sybac Solar, weiß um das Thema nur zu gut Bescheid. Das Unternehmen entwickelt und baut weltweit ganze Solarparks, auch in Japan. Es sind Multi-Millionen-Euro-Projekte, bei denen schon kleine Währungsschwankungen zu Margenverlusten im fünf- bis sechsstelligen Bereich führen können. Ohletz erlebte, wie der Yen zum Euro erst relativ stabil war, dann fiel, dann wieder stieg – und entschied sich daraufhin zu mehreren Sicherungsgeschäften per Option. Das Ganze kostete eine Optionsprämie, war aber dafür „zu 100 Prozent berechenbar“, so Ohletz. Der kalkulierte Gewinn stand nicht mehr im Währungsrisiko, und einen Kursgewinn gab’s noch dazu. Das hatte auch die Bank empfohlen: „Wenn der Kunde glaubt, dass sich der Kurs der Fremdwährung verbessert“, sagt die für Sybac Solar zuständige Beraterin Carina Schäuble, „hat eine Option zur Risikoreduzierung zusätzlich Sinn.“
Der Asphaltmaschinenbauer Lintec, der Agrarmaschinenproduzent Fliegl oder eben die Freiburger Sybac Solar zeigen, wie man als deutscher Mittelständler weltweit erfolgreiche und kalkulierbare Geschäfte macht, wie man Märkte auch in zunächst fremden Ländern und Währungen erschließt. Sie haben sich vor den beiden Worst Cases des Auslandsgeschäfts erfolgreich abgesichert: vor Zahlungsausfällen und Währungsschwankungen. Sie nutzen Chancen, die andere liegen lassen. Und die kommen täglich neu. Nigeria etwa, sicher kein einfaches Exportziel, ist inzwischen weltgrößter Importeur alkoholfreien Sekts. „Trauen Sie sich in fremde Märkte“, empfiehlt auch Fliegl-Finanzchef Nicolas Ehrl. „Es lohnt sich.“
Weitere Informationen
Absicherungen im Auslandsgeschäft:
www.deutsche-bank.de/internationales-geschaeft
results. Das Unternehmer-Magazin der Deutschen Bank 2-2016