Die Wahrscheinlichkeit von Extremwetterereignissen nimmt zu. Damit steigen auch die Risiken für Unternehmen und ihre Lieferketten. Was sollten sie unternehmen, um vorzusorgen?
Als die „Ever Given“ im März 2021 den Suezkanal blockierte, wurde die Bedeutung des Kanals für die globalen Lieferketten deutlicher denn je. Dabei war die Verbindung vom Roten Meer zum Mittelmeer nur sechs Tage lang unterbrochen. Schuld war eine Havarie. Weitaus weniger Beachtung fand dagegen, was sich bis Mai dieses Jahres im Panamakanal abgespielt hat: Dort sorgte eine anhaltende Dürre dafür, dass aufgrund des niedrigen Wasserstands rund ein ganzes Jahr lang weniger als zwei Drittel des üblichen Volumens die Verbindung zwischen Atlantik/Karibik und Pazifik passieren konnten. Die Gesamtkosten für diese Behinderung der globalen Lieferkette zwischen China und dem Osten der USA sind noch nicht beziffert worden. Die Spotpreise für den Transport zwischen den beiden Wirtschaftsgroßmächten waren in der Zeit allerdings um 30 Prozent gestiegen.
Extremwetterereignisse gefährden Menschenleben – und können Unternehmen ebenfalls erschüttern. Und das nicht nur in der Ferne, wie die Tragödie im Ahrtal, das extreme Rhein-Niedrigwasser im Sommer 2018 und zuletzt die Überschwemmungen im Saarland und in Süddeutschland gezeigt haben.
Extremes Wetter ist nicht neu. Schon in der Vergangenheit haben Erdrutsche, Starkregenfälle und Überschwemmungen, hohe Windgeschwindigkeiten oder Hitzewellen, Dürren und Niedrigwasser Lieferketten unterbrochen. Dabei waren nicht immer die Transportwege betroffen, auch die Produktion selbst konnte wetterbedingt nicht fortgeführt werden, betriebliche Vermögenswerte wurden beschädigt. Fest steht aber, da sind sich Klimaexperten und Risikoanalysten einig, dass die Zahl der Ausfälle und Störungen aufgrund von Extremwetter zunehmen wird.
„Extremwetter ist das größte Risiko der Lieferkette im Jahr 2024.“ Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht von Everstream Analytics, einem auf die Risikoeinschätzung von Lieferketten spezialisierten Beratungsunternehmen. Protektionistische Maßnahmen oder neue Regulierungen seien nachgeordnete Risiken. Im Vorjahr hätten beispielsweise die Waldbrände in Kanada die Lieferzeiten für die Ballungsräume Chicago und New York um bis zu zwei Tage verzögert. Starkregen und Überflutungen in den US-Bundesstaaten Kalifornien, Nevada und Utah führten zu 20 bis 30 Prozent weniger Lieferungen in den betroffenen Gebieten, schreiben die Everstream-Analysten. Auf Platz 5 des Risikorankings von Everstream liegen übrigens Ausfälle der Agrarwirtschaft, vor allem bei Zucker und Kautschuk. Auch hier kann das Wetter einen großen Einfluss auf die Versorgungssicherheit – und die Preise – haben.
Der Rat der Berater: Unternehmen sollten ihre Lieferkettenwege und die Wettervorhersagen beobachten und sich vorbereiten. Doch damit stehen die Unternehmen offenbar erst am Anfang. So ergab eine gemeinsame Untersuchung der Universität Maryland mit dem Lieferketten-Spezialisten Resilinc, dass die 100 analysierten Hersteller von Hightech, Automobil und Konsumgütern aus den USA, China und Taiwan kaum auf die Wetterrisiken vorbereitet sind. Von den insgesamt 12.000 Produktionsstätten – eigene Produktion, erste und zwei Lieferantenebene – haben 80 Prozent der Standorte in den USA und 48 Prozent derjenigen in China und Taiwan keine Notfallpläne oder keine schnell verfügbaren Alternativen.
Wetterrisiken sollten Teil Ihres bestehenden Risikomanagements werden. Dies sind sieben Maßnahmen, Schäden durch Extremwetter gering zu halten:
Selbst die von der Studie als besonders risikoreich eingeschätzten Standorte waren kaum besser geschützt. 18 Prozent der untersuchten US- und 11 Prozent der China-/Taiwan-Standorte fallen in diese Hochrisikokategorie, da sie einer hohen Klimavariabilität ausgesetzt sind. Im Fall von Schwierigkeiten könnten sie signifikante Umsatzverluste erleiden. Immerhin: Die „besten“ 30 Prozent der Standorte könnten ihre Produktion in weniger als elf Wochen an einen alternativen Standort verlegen.
Allerdings seien lediglich 11 Prozent aller Standorte in den drei Ländern vollständig auf klimabedingte Unterbrechungen vorbereitet. Diese Standorte verfügten über formale Notfallpläne, Anweisungen für Sofortmaßnahmen und hätten Back-up-Standorte identifiziert und Arrangements getroffen, sie im Krisenfall auch schnell in Betrieb nehmen zu können.
Risiken zu analysieren und prophylaktische Maßnahmen zu ergreifen ist nicht nur im Sinne der Unternehmen selbst, sondern auch Teil der regulatorischen Vorgaben. So regelt ESRS 1 der ESG-Berichtsdirektive CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive), dass die Auswirkungen von Klimarisiken modelliert werden. Dabei müssen drei Szenarien – eine Erwärmung um +1,5 Grad, +2 Grad und +4 Grad Celsius – kalkuliert werden. Wie auch bei den anderen CSRD-Anforderungen gilt, dass große und börsennotierte Unternehmen unmittelbar betroffen sind. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese auch von kleineren Zulieferern entsprechende Daten erwarten.
„Heute steht noch immer bei vielen Unternehmen kritische Infrastruktur wie Server und Trafo-Stationen im Keller, um diesen günstigen Raum optimal zu nutzen. Aber das Risiko eines Wasserschadens ist dort besonders hoch".
Matthias von Harten, Zurich Resilience Solutions
Zunehmend bessere Modellierungen der Lieferketten wie auch der klimabedingten Störungen helfen Unternehmen bei der Risikoklassifizierung ihrer Produktionsstätten. Zurich Resilience Solutions, eine Tochter des Versicherers, bietet die Analyse auch umfangreicherer Standortportfolios an. „Wir untersuchen beispielsweise die Gefährdung von Standorten durch Regen und das daraus gegebenenfalls resultierende Hochwasser sowie Hagel und Hitze, Wind und Dürre“, erläutert Matthias von Harten von Zurich Resilience Solutions. In einer Matrix aus der Versicherungssumme (Sachwert und die zu erwartenden Kosten einer Betriebsunterbrechung) und dem Total Hazard Score (die Summe alle Naturgefahren an einem Standort) lassen sich besonders exponierte Standorte identifizieren und priorisieren. Im nächsten Schritt werden diese besonders gefährdeten Produktionsstätten vor Ort von Fachleuten bewertet. „Unsere Ingenieure wissen, worauf sie achten müssen, um die Resilienz von Standorten zu erhöhen, zum Beispiel bei der Größe von Regenabläufen. Allein in diesem Jahr hatten wir in Deutschland bereits drei starke Hochwasserereignisse, die zahlreiche Produktionsstätten unter Wasser setzten und die Produktion unterbrachen“, sagt von Harten. Die Analyse umfasst auch die externen Abhängigkeiten etwa durch Wasserläufe oder Zufahrtstraßen.
„Heute steht noch immer bei vielen Unternehmen kritische Infrastruktur wie Server und Trafo-Stationen im Keller, um diesen günstigen Raum optimal zu nutzen. Aber das Risiko eines Wasserschadens ist dort besonders hoch“, sagt von Harten. Die Zurich-Experten geben im Anschluss an die Analyse ganz konkrete Handlungsempfehlungen, wie sich die Produktion direkt schützen lässt. Beispielsweise durch die Anschaffung von mobilen Hochwasserbarrieren oder die schon genannten Ausweichoptionen.
Die Kosten für solche Analysen und Handreichungen erreichen bei einer zweistelligen Zahl von Standorten schnell einen fünfstelligen Betrag. Das Kundeninteresse ist dennoch hoch, nicht zuletzt aufgrund der CSRD-Anforderungen. Mehrere Wochen Bearbeitungszeit für eine Risikoanalyse sollten Unternehmen einkalkulieren, da verschiedenste Faktoren und Interessen berücksichtigt werden müssen.
Steigen die Risiken, nimmt typischerweise auch die Nachfrage nach Versicherungen zu. Neben den etablierten Versicherungsanbietern haben auch spezialisierte Start-ups wie Wetterheld oder das britische Floodflash das Thema entdeckt. Beide arbeiten mit einer sogenannten parametrischen Versicherung auf Basis von Messwerten. Dadurch muss der Schaden nicht aufwendig berechnet werden. Floodflash installiert beispielsweise in Werkshallen Wassersensoren; erreicht der Wasserpegel einen bestimmten Wert, zahlt die Versicherung. Der Vorteil: So können sich auch Unternehmen versichern, die typischerweise keine Versicherung erhalten, weil sie in Überflutungslagen angesiedelt sind.
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„Wir führen zwar Gespräche mit Logistikern oder dem Handel, aber offenbar scheuen viele Unternehmen die Versicherungskosten“.
Nikolaus Haufler, Wetterheld
Wetterheld versichert derzeit vor allem Veranstalter gegen Umsatzverluste bei schlechtem Wetter. Gründer Nikolaus Haufler sieht noch nicht, dass andere Branchen ausreichend für das Thema sensibilisiert sind. „Wir führen zwar Gespräche mit Logistikern oder dem Handel, aber offenbar scheuen viele Unternehmen die Versicherungskosten.“ Auch ein Extremwetterereignis wie die Dürre 2018 mit massiven Schäden für die Landwirtschaft sorgte nur im Folgejahr für eine starke Nachfrage des entsprechenden Wetterheld-Versicherungsangebots. „Ich erwarte, dass in den kommenden Jahren branchenweise Bewegung in die Nachfrage nach Wetter-Versicherungen kommen wird“, sagt Haufler.
Doch Versicherungen allein können keine Antwort sein. Mit steigenden Wetterschadenssummen werden auch die Versicherungsprämien und Selbstbehalte steigen, erwartet Matthias von Harten von Zurich Resilience Solutions. In Hochrisikogebieten sind auch in Deutschland schon einige Immobilien nicht mehr gegen Elementarschäden zu versichern. Immerhin: 2023 fielen trotz zahlreicher Extremwetterereignisse die Schäden nicht außergewöhnlich hoch aus. Naturkatastrophen verursachten weltweit Schäden von etwa 250 Milliarden US-Dollar, berichtet Munich Re. Allerdings waren nur 95 Milliarden US-Dollar davon auch versichert. In Deutschland entstanden vor allem in Bayern (2 Milliarden Euro versicherte Schäden) und Hessen (890 Millionen Euro) die höchsten Schäden – gefolgt vom ebenfalls wirtschaftsstarken Standort Baden-Württemberg. Unternehmen sollten dennoch keine Zeit verlieren, sich jetzt gegen künftige Wetterrisiken zu rüsten (siehe auch Kasten).
06/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.