Irgendwann steht jedes Familienunternehmen vor der Frage nach der Nachfolge. Was muss passieren, damit der Generationswechsel wirklich gelingt? results zeigt Unternehmer, die ihre Nachfolge von langer Hand geplant und erfolgreich umgesetzt haben
TEXT: STEPHAN SCHLOTE
Lässt sich so etwas Großes überhaupt in zwei Wörter packen? Die Suche nach dem Nachfolger, ein Thema, das Bücher füllt und Berater beschäftigt? Das viele Familienunternehmer über Jahre umtreibt wie nur wenig anderes? Vielleicht schon. Hier also zunächst die Kurzform: Das Wichtigste, sagt Jürgen Roggemann, Senior beim gleichnamigen Bremer Holzgroßhändler, sei „Stress vermeiden“. Und damit, so klingt es, ist das ganze Thema fast schon abgehandelt.
Aber nur fast. Tatsächlich hat sich der heute 69-Jährige ein volles Jahrzehnt Zeit genommen, um die Übergabe an seinen Sohn Max gut und möglichst entspannt zu regeln. Roggemann, ein wachstumsstarker und innovativer Holzgroßhändler, beliefert über bundesweit neun Standorte Handwerk, Handel und Industrie. „Ich hatte nie die Erwartung, dass meine Kinder die Firma zwingend weiterführen müssen“, sagt der Senior. Denn: „Wir besitzen die Firma, aber die Firma besitzt nicht uns.“ Drei erwachsene und erfolgreiche Söhne hat der Senior, und wenn, dann sollte nur einer das Unternehmen übernehmen. „Erfahrungsgemäß führen mehrere Kinder in der Firma leicht zu Ärger, auch wenn es zunächst nicht danach aussieht“, sagt er. Und so hat erst mal jedes Kind seinen Weg selbst suchen können. Übernommen hat das Unternehmen schließlich der Jüngste, die anderen beiden Söhne sind als Führungskräfte auch so erfolgreich.
„Ohne Stress und Druck“ hat Roggemann senior die Nachfolge geregelt. Zentrale Voraussetzung: Der Junior bekommt möglichst früh die Chance, sich auf eigenem Feld zu beweisen. Schon mit 23 Jahren steigt er in die Geschäftsführung einer neu gekauften Tochterfirma ein und bleibt dort für fünf Jahre. „Abseits vom Radar der elterlichen Zentrale“, wie er es nennt, kann sich Max im westfälischen Coesfeld beruflich entwickeln und die neue Tochterfirma mit ihm. „Man muss seinen Nachfolger Unternehmer sein lassen“, sagt der Vater.
Er lässt. Erst nach fünf Jahren wechselt Max in die Zentrale und damit zum Vater nach Bremen. Coesfeld, keine Frage, war eine Art Testlauf für Vater und Sohn. „In der Zeit hab’ ich gemerkt, dass der Max das stemmt“, sagt der Senior heute. Doch auch in der Zentrale geht der Junior nicht gleich ans Ruder. Erst übernimmt er die Leitung des Außendienstes, danach die Sanierung einer weiteren Tochterfirma. Langsam, Jahr um Jahr, gibt der Vater Arbeit und Verantwortung ab an den Sohn. Genauestens wird definiert, wer in der Übergangsphase für welche Tochterfirma zuständig ist. Mehr noch: Der Vater schreibt eine Geschäftsordnung, in der alle Zuständigkeiten und Berichtspflichten zwischen den beiden verteilt sind. „Das hättest du mir aber sagen müssen“ – dieser Satz ist zwischen den Roggemanns bis heute nicht gefallen. 2013 überträgt der Vater das Gros seiner Anteile an die Söhne, ab da wird nichts mehr ohne Max entschieden. Und weil beim Wechsel der Generationen auch Symbole wichtig sind, zieht im Sommer 2014 der Sohn in das Chefzimmer des Vaters. Ab da hat er fast die gesamte Verantwortung des Seniors auf dem eigenen Tisch, der Vater sieht sich heute „nur noch als Beobachter und Außenminister“.
Regelrecht nach Zeitplan lief beim Bremer Holzgroßhändler Roggemann die Übergabe an den Junior. Der heute 69-jährige Jürgen Roggemann hat das Unternehmen zu einem bundesweit präsenten Lieferanten für Baumärkte, Handwerker und Bauzulieferer ausgebaut. Sein Leitgedanke bei der Übergabe: „Stress vermeiden.“ Und hätte sich im Sohn Max (35) oder in einem der anderen Kinder kein geeigneter Nachfolger gefunden, wäre dies auch kein Drama geworden. „Wir besitzen die Firma“, sagt der Senior, „aber die Firma besitzt nicht uns.“
Wenn eine Familie alle Anteile hält, mag eine Nachfolge noch vergleichsweise einfach sein. Was aber tun, wenn der geschäftsführende Gesellschafter nur einen Teil der Anteile hält und sich über alle wesentlichen Fragen abstimmen muss? Und dennoch frühzeitig die Weichen stellen möchte? So geschehen bei Karl Spanner, geschäftsführender Gesellschafter und Senior der Karlsruher Physik Instrumente.
Das Unternehmen ist weltweit führend in der „Nano-Positionierung“. Die Karlsruher Physiker entwerfen und bauen Hightech-Maschinen, mit deren Hilfe Objekte jeder Art auf den tausendstel Millimeter genau positioniert werden – etwa Linsen von Teleskopen oder Bauteile für die Halbleiterindustrie. Spanner junior wusste schon mit 20, dass er irgendwann ins vom Vater geführte Unternehmen wollte. Nach dem Studium ging er erst mal andere Arbeitswelten kennenlernen und als Vorstandsassistent zur MAN. Und dann nach Japan. Der Vater hielt ihn derweil auf dem Laufenden.
Als Markus dann 2007 ins Unternehmen kommt, übernimmt er zunächst die Leitung des Controllings. Im April 2012 entsteht eine eigene „Nachfolge-Geschäftsführung“. Der Sohn wird kaufmännischer Leiter und zusammen mit zwei langjährigen Führungskräften Teil eines gleichberechtigten Leitungsteams. Er ist damit im klassischen Sinne nicht der Nachfolger. Karl Spanner sieht das Team als seinen Nachfolger. Dass sein Sohn ein wichtiger Teil davon ist, gehört für ihn dazu. Noch bleibt der Vater Vorsitzender der Geschäftsleitung. Stück für Stück hat er die Verantwortung für alle Kernbereiche abgegeben. Und auch aus dem Tagesgeschäft hält sich Karl Spanner raus. Von Karlsruhe ist er weggezogen, so kommt er erst gar nicht in Versuchung, noch täglich ins Büro zu schauen.
Die richtige und planvolle Übergabe in Familienunternehmen ist ein Thema von gesellschaftlicher Dimension. Allein zwischen 2014 und 2018 steht in bundesweit über 130 000 Betrieben der Generationswechsel an, hat das Bonner Institut für Mittelstandsforschung (IfM) unlängst errechnet – Tendenz steigend. Und es ist alles andere als selbstverständlich, dass der Generationswechsel von den Beteiligten gut gemanagt wird. Jeder dritte Unternehmensübergang scheitert, schätzt der Kölner Nachfolgeberater Christoph Achenbach. Und, auch das eine Realität: Nicht wenige regeln ihre Nachfolge nur, weil sie aufgescheucht wurden durch die drohende Neuregelung der Erbschaftsteuer und ihre Anteile zuvor noch an die Kinder übertragen.
Hat sich das Ding jetzt bewegt oder nicht? Wenn die Geräte der Karlsruher Physik Instrumente zum Einsatz kommen, sieht man das fast nie. Denn das Unternehmen produziert Maschinen für die „Nano-Positionierung“. Dabei werden Bauteile derart präzise bewegt, dass das menschliche Auge dies nicht mehr erkennt. Mit solchen kleinsten Bewegungen schaffte das von Karl Spanner (68, 2. von links) geleitete Unternehmen große Sprünge in den Weltmarkt. Sohn Markus (36, 2. von rechts) ist als kaufmännischer Leiter inzwischen mit dabei – als Mitglied in einem vierköpfigen Führungsteam.
Auch für die kreditgebenden Banken ist die Nachfolge „als Thema hochrelevant“, sagt Peter Bertling, Regionsleiter bei der Deutschen Bank in Mannheim. „Wir erleben immer wieder, dass sich Unternehmer viel zu spät um eine angemessene Nachfolge kümmern.“ Das verschlechtert das Rating, kann zu höheren Kreditkosten führen und letztlich „die Existenz gefährden“, so Bertling. Deshalb sehen Kreditgeber auch sehr genau auf die Qualität der angestellten Führungsebene. Ist die operative Fortführung etwa bei einem plötzlichen Todesfall gewährleistet, oder ist der Laden eine One-Man-Show, in der nur einer das Sagen hat: der Senior, der Allmächtige?
Gerade dann zeigt sich, wie überlebenswichtig gute angestellte Fuührungskräfte auch in inhabergeführten Familienunternehmen sind. Die Osnabrücker Unternehmerin Andrea Gallenkamp sollte dies auf tragische Weise selbst erfahren. Denn als vor über 15 Jahren ihr Mann fast von einem Tag auf den anderen für immer schwer erkrankte, musste sie den Laden schmeißen – zusammen mit einem erfahrenen Führungsteam. So überstand die Logistikgruppe Nosta nicht nur den plötzlichen Ausfall ihres Chefs und Gründers, sie entwickelte sich auch höchst erfolgreich weiter. Längst ist der 30-jährige Nicolas Gallenkamp im Unternehmen mit dabei, allein verantwortlich für Marketing, HR, Strategie und Strukturen. Der Prozess der Nachfolge von der Mutter auf den Sohn läuft.
Und das nicht erst seit gestern: Dem elterlichen Betrieb fühlt sich Nicolas von Anfang an verbunden, „im Unternehmen rumgeturnt“ ist er bereits als Kind. „Irgendwie war schon immer klar, dass ich in unseren Betrieb einsteige“, sagt Nicolas. Kunstgeschichte statt Business Management? Niemand hätte es ihm verübelt. „Die Mutter“, sagt er, „hat nie Druck gemacht, es gab keine Erwartungshaltung.“
Nach dem Abi arbeitet er erst mal neun Monate an der Verladerampe. Jahre später, nach dem Studium, startet er als Assistent der Gallenkamp-Geschäftsführung. Das bringt einen guten ersten Überblick. Und Nicolas greift sich Aufgaben, die im schnellen Wachstum oft liegen bleiben: Er implementiert ein zentrales Marketing, renoviert die CI, setzt den Vertrieb neu auf. Sein Ziel: das Unternehmen auf allen relevanten Märkten attraktiver machen. Gallenkamp junior kann sich eigenverantwortlich auf selbstgewählten, fest definierten Feldern beweisen. Das ist entscheidend, doch selbstverständlich ist das nicht. Er selbst kennt Fälle, „wo die Väter noch immer den König spielen“. Ergebnis: Der Junior hat keine Chance.
Ein gleitender Übergang ist für die Familien Spanner und Gallenkamp einer der zentralen Erfolgsfaktoren für die gelungene Nachfolge. Und gerade diesen Übergang, in dem sich ja zumindest vorübergehend die Führungskraft verdoppelt, sieht Professor Reinhard Prügl vom Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen als regelrechte „Powerphase“.
Zwei Nachfolgen in weniger als 20 Jahren erfolgreich zu bewältigen ist auch keine alltägliche Herausforderung. Beim Osnabrücker Logistiker Nosta Group ist genau dies passiert. Von einem Tag auf den anderen musste Andrea Gallenkamp (heute 57) ihren schwersterkrankten Ehemann im Betrieb ersetzen. Es gelang ihr mit Bravour. Inzwischen ist die Nachfolge an Sohn Nicolas (30) aufgegleist. Als der Junior begann, suchte er sich erst mal Aufgaben, die in den Wachstumsjahren vernachlässigt worden waren. So konnte er sich beweisen. Und Stück für Stück ins Unternehmen wachsen.
Dies bestätigt auch eine Studie seiner Universität. Ergebnis: Durch den schrittweisen Einzug der Nachfolgegeneration ins Unternehmen nehmen die Innovationsaktivitäten dramatisch zu. „Viele problematisieren die Nachfolge zu stark“, sagt der Professor, „und übersehen die Riesenchancen dieser Zeit.“ In drei Jahren, dann ist die Mutter 60, will Nicolas Gallenkamp in die Geschäftsführung einziehen, zuvor aber noch schnell einen Master in Supply Chain Management hinlegen. Stück für Stück sollen die Aufgaben der Mutter auf den Sohn übertragen werden. Keine Frage, Nicolas wird das schaffen. „Auf die sanfte Art“ habe ihn die Mutter ans Unternehmen herangeführt, sagt Gallenkamp junior. „Wenn Sie zu irgendwas verdonnert werden“, bestätigt auch Markus Spanner, „dann geht das schief.“
Beirat hilft bei der Nachfolgerwahl
Doch ist der Nachwuchs überhaupt geeignet? Unternehmergeist, so viel ist klar, steckt nicht in den Genen. Eltern können ihren Kindern aber Unternehmertum positiv vorleben, meint etwa die Wissenschaftlerin Nadine Schlömer-Laufen vom IfM. „Wie kommt das eigene Unternehmerleben gegenüber den Kindern rüber?“, fragt die Mittelstandsforscherin. „Immer nur Leid, Last und Hast, oder ist da etwas Spannendes und Positives?“ So kann die ältere Generation Werte vorleben – etwa den guten Umgang mit den Mitarbeitern. „Mein Vater spricht mit jedem“, erzählt Markus Spanner, „das hat mir immer imponiert.“ Und in der Lehman-Krise ließ Spanner senior seine Leute lieber Fenster putzen, bevor er sie in Kurzarbeit schickte.
Die Frage nach Zeitpunkt und Form der Nachfolge ist ein hochgradig emotional belastetes Thema. Sie konfrontiert jeden Unternehmer mit dem eigenen Leben, der Lebensleistung und der inneren Qualität der Familie. Eine Emotionalität, die oft zu falschen Entscheidungen verleitet, wie es etwa Professor Prügl vom Institut für Familienunternehmen beobachtet hat. Viele Unternehmer sind „natürlich emotional stark involviert beim Thema Nachfolge“. Und deshalb nicht immer objektiv. Das Bonner Institut für Mittelstandsforschung hat gerade in einer Studie ermittelt, dass sogar das Geschlecht zu einer enormen Verzerrung bei der Wahl des Nachfolgers führt. Demnach bevorzugen Väter in drei von vier Fällen ihre Söhne.
Was also tun, um solchen meist unbewussten Prägungen nicht selbst aufzusitzen? Professor Prügl rät, die Suche nach dem geeigneten Nachfolger in professionellere Hände zu legen – etwa an einen Beirat. Beiräte oder unabhängige Nachfolgeberater führten fast immer zu einer „Entemotionalisierung und Professionalisierung des ganzen Suchprozesses“, sagt auch Peter Bertling, der Mannheimer Deutschbanker und Kenner zahlreicher Familienunternehmen. „Stress vermeiden“, nannte das der Holzgroßhändler Roggemann. Schon heute ist geregelt, dass er in fünf Jahren, mit 75, alle Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung an die Kinder abtritt. Und er hat „fest vor, auch mal Fehlentwicklungen laufen zu lassen“. Das klingt leicht ironisch und ziemlich lebensklug – kein Stress eben.
results. Das Unternehmer-Magazin der Deutschen Bank 4-2015