Weniger ist mehr – das sagt sich so leicht. Aber könnten wir als Volkswirtschaft weniger überhaupt organisieren, wenn wir das wollten?
Stellen wir uns einmal vor, wir wären uns alle einig: Wir wollen endlich ernst machen mit Nachhaltigkeit und mit Work-Life-Balance. Also weniger Ressourcen verbrauchen und weniger arbeiten. Klingt nach einem guten Plan, aber können wir das überhaupt? Nicht als Individuen, sondern als Gesellschaft? Kann man eine Wirtschaft langsam und kontrolliert herunterfahren, oder würde dann alles zusammenbrechen?
Wir wissen es nicht, Erfahrungen haben wir keine. Die freie Marktwirtschaft ist auf Wachstum geeicht, Schrumpfung in Form von Rezessionen darf immer nur ein temporäres Phänomen sein, danach geht es weiter aufwärts, immer aufwärts. Es gibt keine Anreize in unserem System, weniger zu produzieren oder weniger zu arbeiten. Wir belohnen die Produktion, nicht den Verzicht. Eine Ausnahme war die Landwirtschaft: Bauern wurden dafür belohnt, ihre Felder brach liegen zu lassen. Noch 2007 waren in der EU Flächen größer als Baden-Württemberg stillgelegt – heute unvorstellbar … Doch die Bauern erhielten für den Verzicht Subventionen, die andere erwirtschaften mussten.
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„Alte Gesellschaften verlieren ihre Wettbewerbsvorteile, wenn sie nicht starke Produktivitätsgewinne durch Digitalisierung erzielen.“
Marc Schattenberg, Deutsche Bank Research
Kontrolliertes Downsizing wirft viele Fragen auf. Wer darf noch was produzieren? In klassischen Schrumpfungsphasen geraten die Preise unter Druck. Wäre das hier genauso? Oder würden die Preise explodieren, weil weniger hergestellt, aber nicht weniger nachgefragt wird? Brauchten wir Preiskontrollen? Wie steuern wir die Nachfrage, wer darf etwas haben, wer nicht? Klar ist: Eine Downsizing-Strategie könnte ohne den Staat nicht umgesetzt werden. Die Politik wäre gefordert, die Ziele in einen rechtlichen Rahmen mit klaren Vorgaben zu packen und Anreize für die Umsetzung zu schaffen. Das wäre eine Planwirtschaft mit exakten Vorgaben für die Produktion.
Auf Unternehmensebene haben wir mit dem Downsizing Erfahrung, aber kaum gute: Mit der Textilindustrie fiel eine ganze Branche dem Strukturwandel durch die Billigkonkurrenz aus Fernost zum Opfer, zwischen 1955 und 1980 gingen rund 400 000 Arbeitsplätze verloren. Einigen Unternehmen gelang der Schritt ins Ausland, die meisten kämpften ein langes, letztendlich vergebliches Rückzugsgefecht. Einige Unternehmen sparten sich operativ profitabel, erstickten aber an ihren Pensionsverpflichtungen – der Fluch vergangener Größe.
Der Wettbewerb macht uns immer produktiver. Darum muss immer mehr Wertschöpfung entstehen, um alle in Lohn und Brot zu halten – so haben wir es gelernt. Doch das gilt nur für hungrige und wachsende oder zumindest stabile Bevölkerungen. In einer saturierten Gesellschaft mit immer weniger Arbeitskräften stellen sich neue Herausforderungen. Zwar muss kaum jemand noch Arbeitslosigkeit fürchten, doch das Ziel „weniger arbeiten“ wird gesellschaftlich schwierig: „Die Erwerbsbevölkerung könnte bis etwa 2035 um 3,5 bis 5,5 Millionen Arbeitskräfte sinken, wenn das Rentenalter stabil gehalten wird“, sagt Marc Schattenberg, Demografie- und Arbeitsmarktexperte bei Deutsche Bank Research. „Gleichzeitig steigt die Zahl der Rentenempfänger. Das wird mit weniger Arbeit nur schwer finanzierbar sein.“
Damit gießt Schattenberg ein großes Glas Wasser in den Wein. Die Alten werden schließlich nicht einfach verschwinden. Und wenn wir nicht schleunigst lernen, die Richtigen zu uns zu locken, wird auch Zuwanderung unser Problem nicht lösen. Ohnehin will weniger arbeiten organisiert sein, und wir sind bislang nicht besonders gut darin, Arbeitsplätze aufzuteilen. Bei repetitiven Tätigkeiten funktioniert das noch ganz gut, doch diese Jobs werden bei uns selten.
Vielleicht muss es aber auch gar nicht so kompliziert sein. Kehren wir noch einmal zu unseren ursprünglichen Zielen zurück: weniger Ressourcen verbrauchen und weniger arbeiten. Braucht es dafür wirklich ein Downsizing? Das mit der Arbeit scheint nicht so gut zu funktionieren, aber vielleicht klappt es ja mit der Ressourceneinsparung. Hier macht Analyst Schattenberg uns auch ohne Downsizing Hoffnung: „Wir müssen nicht unbedingt schrumpfen, um Ressourcen zu sparen.“
Viel hängt nämlich davon ab, wie wir Wohlstand definieren und wonach wir streben. Wenn wir uns von materiellen Gütern abwenden und etwa – bezahlte – Zerstreuung in der digitalen oder der virtuellen Welt finden, wenn wir durch digitale Helfer erbrachte Dienstleistungen einkaufen, kann das zu einer enormen Reduzierung des Ressourcenverbrauchs führen. Dann kann die Wirtschaft tatsächlich gleichzeitig wachsen und nachhaltig werden.
Klar ist: Eine Downsizing-Strategie könnte ohne den Staat nicht umgesetzt werden.
Schattenberg hat dafür auch ein Rezept: die Durchlaufwirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft umbauen, und zwar über Preise, die „die ökologische Wahrheit“ sagen. „Das könnte den Konsum automatisch senken und Innovation erzeugen.“ Schattenberg erinnert aber auch daran, dass wir nicht allein in der Welt leben und arbeiten: „Es gibt viele junge und aufstrebende Volkswirtschaften. Da verlieren alte Gesellschaften ihre Wettbewerbsvorteile, wenn sie nicht starke Produktivitätsgewinne durch Digitalisierung erzielen.“
Ob wir es also mögen oder nicht: Wir müssen unser Heil in der Digitalisierung suchen – und das so schnell wie möglich, bevor uns die Arbeitskräfte ausgehen. Nur wenn wir unsere Produktivität gewaltig steigern, haben wir ohne Wohlstandsverlust genügend Menschen zur Verfügung, die sich um die Pflege der Alten kümmern können. Und wenn wir wahre Produktivitätsmonster werden, dann kann sogar gelingen, was wir eigentlich schon abgehakt hatten – dass wir alle weniger arbeiten müssen. Die gute Nachricht: Dafür brauchen wir nicht mal einen Systemwechsel. Denn eine solche gewaltige Effizienzsteigerung kann nur in der Marktwirtschaft gelingen. Das Downsizing bleibt dann eine persönliche Sache, die jeder für sich entscheidet.
11/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.