Die Kooperationsfreude zwischen Mittelstand und Start-ups ist in der Corona-Pandemie getrübt worden. Dabei gibt es mehr Gründe denn je zur Zusammenarbeit – für beide Seiten.
Die Corona-Pandemie fordert ein weiteres Opfer: Die Zahl der Kooperationen von Start-ups mit etablierten Unternehmen ist 2020 in Deutschland deutlich gesunken. Zwar arbeiten weiterhin drei Viertel der vom Digitalverband Bitkom befragten mehr als 200 Start-ups mit Mittelstand, Konzern oder Global Player zusammen. Doch 2019 waren es noch über 90 Prozent.
Die Befragung nennt keine Gründe, doch dürften sie auf der Hand liegen: Konzentration auf das eigene Kerngeschäft, Beschäftigung mit der Umstellung auf die neue Arbeitssituation, weniger Raum für persönlichen Austausch über Unternehmensgrenzen hinweg. Schließlich finden Mittelständler vor allem bei Messen den Kontakt zu Start-ups, zeigt eine aktuelle Studie des RKW-Kompetenzzentrums. Da sich 20 Prozent der befragten Unternehmen nur einmal im Jahr mit Start-ups austauschen, hat die neue Distanz offenbar persönliche Begegnungen zum Vertrauensaufbau und damit letztlich neue Kooperationen verhindert.
Das ist bedauerlich, denn die Zusammenarbeit zwischen jungem Wachstumsunternehmen und etabliertem Player haben sich in vielen Fällen bewährt. Auch 2020 berichten 60 Prozent der von Bitkom befragten Start-ups mit Kooperationen, dass sie damit überwiegend positive Erfahrungen machen. So konnten 61 Prozent von ihnen neue Kunden und Märkte erschließen, mehr als die Hälfte ihr Produkt verbessern und immerhin noch 41 Prozent bauten ihre Expertise aus. Für die Partner scheint es sich noch mehr zu lohnen: Zumindest meint mehr als ein Viertel der Start-ups, dass die Kooperationspartner mehr aus der Zusammenarbeit mitnehmen als sie selbst. Fast zwei Drittel reiben sich an als zu langsam und aufwendig wahrgenommenen Prozessen bei den etablierten Unternehmen. Und jedes vierte Start-up hat den (potenziellen) Kooperationspartner als arrogant erlebt.
Umgekehrt arbeitet derzeit nur gut ein Drittel der Mittelständler aktuell mit Start-ups zusammen, berichtet das RKW-Kompetenzzentrum in der 2021er-Neuauflage seiner „Mittelstand meets Startup“-Studie. Interessanterweise sind das vor allem Unternehmen aus der Informations- und Kommunikationsbranche – also Tech-affine Mittelständler, die tendenziell eher selbst bereits mit zeitgemäßen Arbeits- und Organisationsstrukturen operieren. Die etablierten Maschinen- und Fahrzeugbauer hingegen zeigen sich bei Kooperationen deutlich zurückhaltender. Den kooperationswilligen Mittelständlern und Konzernen geht es bei der Zusammenarbeit mit Start-ups vor allem um Innovationsentwicklung (66 Prozent) und neue Technologien (57 Prozent). So überwiegen denn auch Entwicklungspartnerschaften (55 Prozent), die neue Produkte, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle zum Ziel haben. Ähnlich wichtig ist allerdings auch eine Kooperation, bei der Mittelständler Kunden der Start-ups sind: Etablierte Unternehmen binden dabei meist Produkte oder Leistungen der Start-ups in ihren bestehenden Wertschöpfungsprozess oder in ihr Angebot für ihre eigenen Kunden ein. Deutlich weniger verbreitet ist laut RKW-Befragung die einfache Vertriebspartnerschaft.
55%
der Kooperationen zwischen Mittelstand und Start-up sind Entwicklungspartnerschaften.
Zwei Hauptmotive zeigen diese Formen der Kooperation auf: zum einen die Entwicklung von Innovationen, zum anderen der Ausbau eines bestehenden Angebots. Dabei können die Start-ups oft mit neuen Produkten punkten, die Partner aus dem Mittelstand dagegen mit dem Zugang zu Bestandskunden. Diese Entwicklung ist keineswegs neu – im Gegenteil, schon seit Jahren sind diese Werte relativ stabil. Interessant ist dabei allerdings, dass nur 17 Prozent die Kooperation auch als finanzielle Investmentmöglichkeit sehen. Und selbst das Argument Facharbeitermangel scheint nicht viel zu gelten: Nur in jeder vierten Kooperation spielt das Kennenlernen neuer potenzieller Mitarbeiter eine Rolle. Gründe für diese geringen Werte wurden nicht erfragt.
Auch wenn die gegenseitigen Erwartungen von Start-up und Mittelstand recht hoch sind, scheinen die Kooperationen zumindest mehrheitlich zum Ziel zu führen. Nur in knapp jedem zehnten Fall wurden die Ziele eher nicht oder gar nicht erreicht; mehr als die Hälfte der Befragten spricht aber von einem Erfolg. Dabei sind es tendenziell die Produkt- und Zulieferkooperationen, die von Erfolg gekrönt sind; die komplexeren Entwicklungspartnerschaften sind weniger fruchtbar.
Damit die Aussichten auf Erfolg steigen, raten Kooperationsratgeber vor allem zu einer konkreten Definition der Kooperationsziele und der Exit-Szenarien: Was soll passieren, wenn das Ziel erreicht worden ist? Da können sich schnell erste Widersprüche offenbaren. Start-up-Unternehmer, so zeigte eine Umfrage der Uni Hohenheim in Baden-Württemberg schon 2017, setzen etwa voraus, dass flexible Messgrößen für den Erfolg der Kooperation entwickelt werden: Die Kooperation und ihre Ergebnisse sollten auch an Erkenntnisgewinn oder Lernfortschritt und nicht allein an harten Finanz- und Wirtschaftskennzahlen festgemacht werden. Umgekehrt zeichnen sich viele Mittelständler durch eine hohe, konkrete Erwartungshaltung in Bezug auf Umsatz und Ertrag aus.
„Größere Unternehmen haben aus den teils frustrierenden Erlebnissen der Start-ups mit Konzernstrukturen gelernt.“
Bernd Rolinck, Deutsche Bank
Kooperationen zwischen Start-ups und Mittelständlern scheitern aber nicht nur an der bereits erwähnten Behäbigkeit bei den etablierten Unternehmen, sondern auch an der mangelnden Professionalität bei den Start-ups. Hinzu kommt, dass Mittelständler häufig nicht die notwendigen (personellen) Ressourcen zur Verfügung stellen, die es für einen gemeinsamen Erfolg braucht. Der mittelständischen Geschäftsführung fehlt die Zeit; zugleich gibt es keine dezidierten Kooperationsteams, wie sie mittlerweile bei vielen Konzernen üblich sind. Bernd Rolinck von der Deutschen Bank, der nach Jahren als Start-up-Ansprechpartner nun die Mittelstands-Perspektive sehr gut kennengelernt hat, beobachtet eine deutliche Professionalisierung bei größeren Unternehmen in Bezug auf Start-ups. „Sie haben aus den teils frustrierenden Erlebnissen der Start-ups mit Konzernstrukturen gelernt“, weiß er. „Da gibt es inzwischen eigene Abteilungen, die das Andocken von Start-ups unterstützen und Kooperationsprogramme mit klaren Zielen.“
Auch wenn durch die Pandemie die Zahl der Kooperationen gesunken ist, so ist deren Notwendigkeit weiter gewachsen. Das zeigt sich an der massiv gestiegenen Nachfrage nach digitalen Geschäftsmodellen und Produkten. Doch auch bei der Flexibilität, der Reaktionsgeschwindigkeit auf Unvorhergesehenes, sind die Anforderungen gestiegen. Mittelständler könnten mehr denn je von den agilen, oft digital aufgestellten Start-ups profitieren. Dringend gesuchte Tech-Fachkräfte könnten über Kooperationen nutzbar gemacht werden, denn trotz Krise ist der Fachkräftemangel nach wie vor die wichtigste Herausforderung für den Mittelstand. Und schließlich könnten die Jungunternehmen vielen etablierten Firmen ebenso bei der nächsten großen Herausforderung – dem Umbau auf Nachhaltigkeit in Produktion und Geschäftsmodell – helfen.
Doch Rolinck macht auch darauf aufmerksam, dass Start-ups heute seltener auf den Mittelstand angewiesen sind. „Der Kapitalzufluss durch Venture Capital in die Jungunternehmen ist zuletzt massiv gestiegen.“ Dadurch könnten sich die Start-ups schneller entwickeln und eigene Bereiche wie Forschung und Produktion einfacher auch ohne externe Hilfe vorantreiben. „Mittelständler sollten darum genau prüfen, was sie potenziellen Partnern zu bieten haben. Für viele Start-ups ist beispielsweise der Zugang zu Kunden weiterhin ein ganz großes Asset der etablierten Häuser.“ Wenn mittelständische Unternehmer, wie Rolinck es zunehmend beobachtet, dann auf der Suche nach einer lukrativen Investmentmöglichkeit die Kooperation sogar noch mit einer Beteiligung festigen, sieht jeder Start-up-Unternehmer, wie ernst dem Partner der Erfolg der Kooperation ist. Und in der Zusammenarbeit zeigt sich oft genug, dass trotz mancher Generationenunterschiede die kulturellen Differenzen zwischen Mittelstand und Start-up nicht groß sein müssen – schließlich sind beide Seiten von Unternehmern getrieben.
12/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.