Familienunternehmer müssen die steigende Relevanz von ESG adressieren, manche tun sich damit aber schwer. Die schnelle Übergabe an die nächste Generation wirkt wie die simple Lösung: Die Jungen haben schließlich mehr Expertise – oder?
Anfang Oktober hat Hurrikan „Milton“ die USA mit einer Windgeschwindigkeit von knapp 200 km/h getroffen. Hierzulande standen im September in Folge massiver Regenfälle Teile Österreichs und Bayerns unter Wasser, zeitgleich sind mehrere deutsche Regionen beinahe ständig im Dürrezustand. Der Klimawandel wirkt sich in punktuellen Ereignissen und dauerhafter Verschlechterung der Lebensbedingungen aus. Auch die Wirtschaft ist stark betroffen. Nur einige Beispiele: Der Warentransport ist beeinträchtigt, etwa weil wichtige Flüsse kaum mehr befahrbar sind und die Unsicherheit hinsichtlich der Energieversorgung ist im Rahmen der anvisierten Energiewende gestiegen.
Vor diesem Hintergrund ist nachhaltiges Unternehmertum kein Luxus mehr, den man sich nach Lust und Laune leistet, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Das weiß der deutsche Mittelstand. Gesellschaft und Kunden haben klare Erwartungen an Familienunternehmen, die Politik wiederum gibt konkrete neue Regeln vor. Die Europäische Union ruft mit dem Green Deal das Ziel aus, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen und bereits bis 2030 die Treibhausgasemissionen gegenüber dem Level des Jahres 1990 um 55 Prozent zu reduzieren. Ab dem kommenden Jahr haben mittelständische Unternehmen in Deutschland eine ESG-Berichtspflicht. Finanzierer orientieren sich an den Regularien und fragen nach ESG-Reportings und Nachhaltigkeitsstrategien.
97 Prozent
Anteil der für die Studie „Insights: Nachhaltigkeit – eine Chance für Familienunternehmen“ befragten Unternehmer, die Nachhaltigkeit als Chance sehen
Wer unternehmerisch überleben will, muss ESG-Faktoren in jeder Phase und jedem Baustein der eigenen Geschäftstätigkeit mitdenken. Tatsächlich stellt eine systematische und umfassende Planung Unternehmer allerdings noch immer vor Herausforderungen. Das ergibt die Studie „Insights: Nachhaltigkeit – eine Chance für Familienunternehmen“ von HausNext im Auftrag von Struktur Management Partner (SMP). 97 Prozent der Befragten sehen Nachhaltigkeit zwar als Chance, nur 29 Prozent haben aber eine klar definierte Strategie und nur 15 Prozent ein entsprechendes Reporting. Der eigene Anspruch mag sein, ESG-Themen langfristig und strukturiert anzugehen, die Realität aber sieht anders aus.
In dieser Gemengelage sind ESG-Faktoren mitunter das Zünglein an der Waage, das den Ausschlag für eine Nachfolgeregelung gibt. Nachhaltigkeitsthemen treiben Unternehmensübergaben und -verkäufe. Gründe dafür sind neben dem steigenden Druck von Gesellschaftern, Lieferanten oder Kunden, Anforderungen der Finanzierer sowie Regularien der Gesetzgeber auch die Sicherung der Reputation und des Fortbestehens des Unternehmens. Eigentümer trauen der nachfolgenden Generation eher zu, ESG-Kriterien zu erfüllen und so das Erbe zu bewahren.
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„Gute ESG-Strategien gehen einher mit einem enormen Aufwand. Unternehmen müssen sich deutlich wandeln, und diese Transformation muss vom Eigentümer ausgehen.“
Kai Giesel, Deutsche Bank
Kai Giesel leitet bei der Deutschen Bank die Unternehmensnachfolge und erklärt: „Gute ESG-Strategien gehen einher mit einem enormen Aufwand. Unternehmen müssen sich deutlich wandeln, und diese Transformation muss vom Eigentümer ausgehen. Die Notwendigkeit zur Veränderung überzeugt und glaubhaft in die Organisation zu tragen, trauen viele Unternehmer eher ihrem Nachfolger zu.“ Gepaart ist diese Erkenntnis mit dem Weitblick, dass jede Entscheidung im Rahmen einer Nachhaltigkeitsausrichtung weitreichende und sich über Jahrzehnte erstreckende Auswirkungen auf das Geschäftsmodell hat. „Der Unternehmer will, dass derjenige die Transformation gestaltet, der auch im Chefsessel sitzt, wenn sie umgesetzt wird“, berichtet Kai Giesel. Diese Haltung, erläutert der Experte, führe dazu, dass eine Übergabe dann eben häufig fünf Jahre früher erfolge.
„Nachfolgenden Unternehmergenerationen ist die Unausweichlichkeit einer nachhaltigen Veränderung unseres Wirtschaftens heute oft zugänglicher.“
Katharina Engels, Baker Tilly
Tatsächlich liegen die Unternehmer mit ihrer Einschätzung auch weitgehend richtig. Die jüngere Generation hat ein größeres Bewusstsein für die Relevanz von ESG und interessiert sich mehr für umfassende Lösungsansätze. Katharina Engels von der Beratung Baker Tilly sieht eine achtsame Haltung bei den jungen Unternehmern: „Nachfolgenden Unternehmergenerationen ist die Unausweichlichkeit einer nachhaltigen Veränderung unseres Wirtschaftens heute oft zugänglicher. Ihre Generationen werden von den negativen Folgen des Klimawandels stärker betroffen sein und dessen sind sie sich bewusst.“ Und auch laut der Erhebung von HausNext begreifen die jungen Unternehmer, die sogenannte NextGen, die Schaffung eines Gleichgewichts von ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit als strategische Priorität der nächsten Jahre.
„Die Diskussionen zwischen Senior und Junior lösen in vielen Unternehmerfamilien einen Prozess des Weiterdenkens aus. Damit haben sie das Potenzial, zu einem Aspekt im Nachfolgeprozess zu werden, diesem sogar Dynamik zu verleihen.“
Konrad Fröhlich, Struktur Management Partner
Das führt auch zu Konflikten in den Unternehmerfamilien: Die Unterschiede in der Gewichtung von ESG-Aspekten und daraus resultierende Meinungsverschiedenheiten der Generationen wirken sich ebenfalls auf die Nachfolgethematik aus. Das sieht Konrad Fröhlich, Senior Partner bei SMP, immer häufiger: „Die Diskussionen zwischen Senior und Junior lösen in vielen Unternehmerfamilien einen Prozess des Weiterdenkens aus. Damit haben sie das Potenzial, zu einem Aspekt im Nachfolgeprozess zu werden, diesem sogar Dynamik zu verleihen.“
Doch gute Vorsätze sind Schall und Rauch, wenn keine Taten folgen. Geht es aber an die Umsetzung ihrer Vorstellungen, scheitern auch die Jungen häufig noch an der Übersetzung abstrakter moralischer Ziele in konkrete ganzheitliche Strategien. Die Mehrheit der Befragten gibt an, in Bezug auf Nachhaltigkeit intrinsisch motiviert zu sein – das klingt nett, wird aber von den Studienautoren zu Recht als Alarmsignal entlarvt: Auch die NextGen unterschätzt, was in Sachen ESG von allen Seiten von Unternehmen erwartet wird und welche Maßstäbe angesetzt werden. Es braucht keine Sammlung unkoordinierter Einzelmaßnahmen, sondern eine umfassende ESG-Strategie inklusive Reporting-Standards. Das hilft auch, den unternehmerischen Blindflug zu vermeiden: „NextGens können mehr wagen, wenn sie den ganzheitlichen Charakter von Nachhaltigkeit besser erfassen, Chancen identifizieren und eine Strategie definieren“, erklärt Berater Fröhlich.
Damit es gelingt, ein strategisches ESG-Konzept aufzusetzen, müssen die Eigentümer die richtigen Fragen stellen und Geld in die Hand nehmen, um von der Expertise von Beratern und innovativen Tools profitieren zu können. Nur dann hat der Unternehmer am Ende einen Überblick und kann definieren, was Nachhaltigkeit für seine Firma künftig bedeuten soll. Diese Ziele müssen in der Folge klar formuliert, innerhalb des Unternehmens kommuniziert und operationalisiert werden. Gelingt das, das betont auch Giesel, ist ESG plötzlich nicht mehr die lästige Pflicht, als die es heute gesehen wird, sondern eine echte Chance.
Unternehmer, die für den Bereich Nachhaltigkeit noch keine umfassende Strategie haben, brauchen mitunter Unterstützung – Software kann helfen, Struktur und Klarheit in die Maßnahmen zu transportieren.
Kann die NextGen die Neuausrichtung besser bewältigen als der aktuelle Eigentümer? Nicht per se. Dennoch kann eine Nachfolge im Zuge von ESG-Überlegungen angebracht sein – wenn die jungen Unternehmer Nachhaltigkeit als Priorität aktiv vorleben und damit die Kultur verändern, wenn sie mit Leidenschaft das Thema angehen, das bisher nur stiefmütterlich behandelt wurde. Katharina Engels glaubt in dieser Hinsicht an die NextGen: „Die Jungen sind offen, Chancen in der Transformation zu sehen und wollen Lösungen und Produkte strategisch in die nachhaltige Ausrichtung und Zukunftsfähigkeit der Unternehmen integrieren.“
Eine Übergabe an die nächste Generation ist auch dann richtig, wenn der Unternehmer selbst ehrlich anerkennt, dass er weder die Flexibilität noch die Geduld aufbringt, die komplette Geschäftsstrategie auf den letzten Metern seiner Karriere noch einmal auf den Prüfstand zu stellen und umzukrempeln. Oder wenn er von vornherein sicherstellen will, dass der für die Umsetzung Verantwortliche von Anfang an mit im Diver Seat sitzt.
Zum Gelingen braucht es aber generationenübergreifend vor allem eines: mehr Mut – Mut, sich Unterstützung zu holen; Mut, sich auszuprobieren; Mut, Geld in die Hand zu nehmen und Mut, mit allen relevanten Stakeholdern transparent zu kommunizieren. Das, davon darf man wohl ausgehen, gelingt am besten im Schulterschluss von Alt und Jung.
11/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Isabella-Alessa Bauer. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.