Fachkräfte sind rar, darum sollten Deutsche möglichst länger arbeiten. Dabei würde es schon helfen, Pausen und Unterbrechungen besser zu managen. Denn sonst können sie Milliarden kosten.
Mehr als 28 Milliarden Euro. So viel kosten Raucherpausen deutsche Unternehmen jährlich. Das ergab zumindest eine Studie der Universität Hamburg. Allerdings stammt diese bereits aus dem Jahr 2009. Seitdem ist nicht nur die Zahl der Raucher in Deutschland deutlich zurückgegangen; auch die Art der Pausen hat sich verändert. Teuer, das zeigen aktuelle Untersuchungen, sind sie aber noch immer. 15-mal pro Stunde werden Arbeitnehmer in wissensintensiven Berufen durchschnittlich in ihrer Arbeit unterbrochen – also alle vier Minuten. Deutsche Unternehmen, das hat der deutsche Think Tank Next Work Innovation berechnet, kosten diese Unterbrechungen jährlich rund 114 Milliarden Euro.
114 Mrd. EUR
kosten Unterbrechungen durch Mails, Nachrichten und überflüssige Meetings deutsche Arbeitgeber jährlich.
Wer schon einmal bei konzentrierter Arbeit von einem Anruf, einer Mail oder einem Kollegen gestört worden ist, weiß: Wieder in die Konzentration zurückzufinden, ist schwierig. Oft verzögert sich die Fertigstellung um mehr als nur die Unterbrechungszeit. Laut Next Work Innovation verlängert sich die Bearbeitungszeit um 15 bis 24 Prozent. Der größte Störenfried ist demnach die E-Mail, die durchschnittlich 3,3-mal pro Stunde ablenkt. Auch als unnötig empfundene Online-Sitzungen führen zu Unterbrechungen. Die „verlorene“ Zeit versucht mancher mit Multitasking wettzumachen, also dem parallelen Arbeiten an einer anderen Aufgabe neben der Videokonferenz. Doch darunter leidet die Aufmerksamkeit und damit Qualität wie Produktivität.
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Solche Unterbrechungen sind arbeitsbedingt. Nicht jede Mail, jedes Meeting ist die Kosten der Ablenkung wert. Doch viele dieser Störungen dürften notwendig sein, um nicht noch größere Kosten zu verursachen, weil es keine Abstimmung oder Information gab. Allerdings gibt es noch häufiger „private“ Ablenkungen: Die mehr als 600 Teilnehmer der Studie schauten durchschnittlich 88-mal am Tag auf ihr Handy – das sie 56-mal entsperrten, um in sozialen Medien oder anderen Nachrichtenkanälen nach Neuigkeiten zu schauen.
Ob die milliardenschweren Hochrechnungen der Pausen-Kosten damals und auch heute einer detaillierten Kalkulation standhalten, sei dahingestellt. Raucherpausen und der Treff in der Kaffeeküche dienten auch immer der informellen Kommunikation, deren Wert für das Unternehmen jedoch nicht so einfach zu berechnen ist. Im Englischen hat sich der Begriff der „Water Cooler Conversation“ etabliert, der Plausch am Wasserspender. Einer Studie aus dem Jahr 2009 zufolge sollen Lästern und anderes Reden am Water Cooler die Produktivität um bis zu 15 Prozent erhöhen. Dabei ist ein weiterer Effekt des in Deutschland häufigeren Gangs zur Kaffeemaschine noch gar nicht eingerechnet: Der Kaffee hilft, die Produktivität trotz Müdigkeit wie in der Nach-Mittags-Zeit zu steigern.
„Wer regelmäßig Pausen macht, arbeitet um 13 Prozent produktiver.“
Apropos, Produktivität: Schon vor 25 Jahren zeigte ein 10-Wochen-Versuch in einer Versicherung an der Wall Street, dass eine regelmäßige Erinnerung, Pausen bei der Arbeit zu machen, die Produktivität steigerte. Wer die Erinnerung erhalten hatte, war bei seiner Arbeit um 13 Prozent akkurater. Ein Wert, der auch vom aktuellen Slack Workforce Index bestätigt wird: Wer regelmäßig Pausen macht, arbeitet um 13 Prozent produktiver. Außerdem ist er um 43 Prozent besser darin, mit Stress und Anspannung umzugehen. Wer hingegen selten oder nicht pausiert – offenbar die Hälfte der Schreibtischarbeiter –, hat eine 1,7-mal höhere Wahrscheinlichkeit, einen Burn-out zu erleben. Demnach würden sich Pausen für Arbeitgeber rechnen und nicht Milliarden kosten. Allerdings wird in den Studien nicht angegeben, was denn die optimale Länge der Pause wäre.
Wer hat nun recht? Unstrittig ist, dass sich die Art der Unterbrechungen im Laufe der Jahre – vor allem bedingt durch die Digitalisierung und die Corona-Pandemie – deutlich verändert hat. Digitale Ablenkung privat und beruflich gibt es inzwischen auf sehr viel mehr Kanälen als noch vor einem Jahrzehnt. Die weltweit täglich mehr als 300 Milliarden E-Mails wurden noch erweitert durch unzählige Benachrichtigungen und Nachrichten von Messenger-Diensten und Kollaborations-Tools mit Chat-Funktionen wie MS Teams oder Slack. 12 Millionen Slack-Nachrichten werden weltweit pro Minute verschickt, die Nutzerzahlen von Teams sind seit der Corona-Pandemie rasant gestiegen.
Das Problem dieser Chat-basierten Tools: Sie werden häufig ähnlich wie vorwiegend privat genutzte Messenger wie WhatsApp eingesetzt. Statt die Kommunikation in einer Nachricht zu bündeln, gibt es immer wieder Ergänzungen oder Nachfragen in neuen Nachrichten. Zugleich färbt dieses Chat-Verhalten bei manchem auf die E-Mail-Nutzung ab. So werden Arbeitsaufträge nicht in einer E-Mail gebündelt, sondern in vielen Nachrichten hintereinander. Diese dialogische Form der Kommunikation entspricht zwar dem menschlichen Gespräch mehr als ein digitaler Brief mit formeller Ansprache und Schlussgrußformel, doch erhöht sich die Zahl der Unterbrechungen.
Das Homeoffice hat diese Entwicklung noch vorangetrieben. Die dezentrale Zusammenarbeit im Team ist nun weitgehend über Kollaborations-Software organisiert mit entsprechendem Nachrichtenaufkommen. Während viele Vorgesetzte fürchten, dass die Mitarbeiter daheim mehr mit anderen Aufgaben als der Arbeit beschäftigt sind, zeigt eine DGB-Befragung, dass oft das Gegenteil der Fall ist: Pausen werden verkürzt, die Arbeitszeit verlängert. Denn die Sorge ist groß, dass der Vorgesetzte prüft, ob der Mitarbeiter digital erreichbar ist – und eine ausbleibende Reaktion als längere Abwesenheit vom Arbeitsplatz interpretiert wird. Darum wird auf stete Verfügbarkeit und schnelle Rückmeldung geachtet.
Deutlich wird bei diesen Ergebnissen, dass es offenbar Probleme beim richtigen Umgang mit digitalen Tools gibt. Einerseits führt die permanente Erreichbarkeit zu weniger Pausen, andererseits führt sie zu häufigen Arbeitsunterbrechungen. Helfen könnte ein disziplinierter Umgang mit den Kommunikationsmitteln auf Sender- wie Empfängerseite. Absender sollten angeleitet werden, statt mehrerer Nachrichten in hoher Taktung Informationen oder Anfragen zu bündeln. Empfänger sollten die Erreichbarkeit von Benachrichtigungen gezielt pausieren, wenn sie konzentriert arbeiten.
Die Anbieter von MS Teams, Slack & Co. wissen um die Problematik – seit Jahren. Als am 27. Juni 2018 mehr als 8 Millionen Nutzer nicht auf Slack zugreifen konnten, waren die Slack-Nutzer um rund 5 Prozent produktiver als eine Woche davor. Slack kommentierte das damals nur mit: „Wenn Ihre Mitarbeiter die Nutzung von Slack nicht als produktiv empfinden, müssen Sie die Arbeitsweise Ihres Teams überdenken.“ Immerhin sind auch bei Mobiltelefonen Optionen wie „Fokus“ oder „Nicht stören“ prominent platziert und können leicht aktiviert werden.
Damit diese Möglichkeiten aber auch genutzt werden, muss es auf Senderseite – und damit ist auch der Vorgesetzte gemeint – akzeptiert sein, dass eine länger ausbleibende Reaktion nicht automatisch ein Indiz für mangelnden Arbeitseinsatz ist. Sondern im Gegenteil auf sehr produktive Arbeit schließen lassen könnte. Der Slack Workforce Index untermauert diese Annahme: Die produktivsten Mitarbeiter in der Untersuchung nutzen Zeitmanagement-Strategien. Es ist 1,7-mal wahrscheinlicher, dass sie ihre E-Mails nur zu bestimmten Zeiten abrufen, und 2,2-mal wahrscheinlicher, dass sie sich feste Fokus-Zeiten einrichten.
Pausen haben ihren Preis, keine Pause zu machen aber ebenso. In Zeiten des Fachkräftemangels ist der nachhaltige Erhalt der Produktivität wichtiger denn je geworden. Viele Unternehmen bieten, um längere Ausfälle zu vermeiden, regelmäßige Schulungen zu Bewegungspausen am Arbeitsplatz an. Sie wissen, dass solche Initiativen nicht nur die Mitarbeiterbindung verbessern, sondern auch die physische und psychische Gesundheit stärken. Dazu sollten auch digitale Ruhezeiten zählen. Dennoch gilt auch für solche „produktivitätserhaltenden“ Pausen: Allzu starre Vorgaben können die konzentrierte Arbeit stören und daher schnell teuer werden.
Mitarbeiter sollten die Freiheit haben – und auch nutzen –, stärker selbst zu bestimmen, wann ihnen und ihrer Arbeit welche Pausen guttun. Das setzt aber voraus, dass Vorgesetzte sich nicht scheuen, auf einfache „Produktivitätsindikatoren“ wie Anwesenheit am (Heim-)Arbeitsplatz oder Handy zu verzichten und bessere Metriken zu finden. So können die produktiven und die unproduktiven Pausen identifiziert und die Gesamtproduktivität verbessert werden.
11/2024
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