Dem Himmel so nah

Eine Vielzahl von „New Space“-Start-ups wartet nur darauf, mit ihren Daten aus dem Weltall auch auf der Erde neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Was jetzt schon und was in Zukunft noch möglich ist.

Die Erde mit einer Darstellung der Satelliten um Sie herum

So viele Trabanten hat die Erde inzwischen. Und mit der Miniaturisierung der Satelliten werden es immer mehr – das eröffnet ganz neue Geschäftschancen. Foto: mauritius images / Science Faction / NASA

Am 3. Mai 2015 wurde in der Raumfahrt Geschichte geschrieben: Der erste authentische italienische Espresso konnte an Bord der ISS-Raumstation getrunken werden. Möglich gemacht hatte das eine Kooperation zwischen dem Espresso-Maschinenhersteller Lavazza und dem italienischen Raumfahrtspezialisten Argotec. Auch wenn die „ISSpresso“-Maschine im Vergleich mit Gagarin oder den Apollo-Missionen verblasst, zeigt das Produkt gleich zwei neue Geschäftsbereiche auf: die Produktion in der Schwerelosigkeit und den wachsenden Komfort für Weltraumreisende. Seit dem erfolgreichen Start von SpaceX gibt es wenig Zweifel daran, dass der Weltraumtourismus zunehmen wird. Im Jahr 2030, so schätzen Experten laut KPMG, sei die Wahrscheinlichkeit für Bürger in Industriestaaten recht hoch, mindestens einen Astronauten persönlich zu kennen.

Getrieben wird dieser Trend von der Öffnung des Weltraums für private Unternehmen in Verbindung mit technologischen Weiterentwicklungen. Die Kosten der Weltraumfahrt sind in den vergangenen Jahren so weit gesunken, dass sie für eine Vielzahl neuer Unternehmen finanzierbar sind. Firmen können die ISS bereits für rund 50 Millionen US-Dollar für eigene Tests nutzen. Der „New Space“-Sektor boomt – und sorgt wiederum selbst für weiter sinkende Preise. Durch die Entwicklung normierter „CubeSats“ sind die Infrastrukturkosten dramatisch gesunken. Satelliten ins Weltall zu schicken kostet inzwischen nur noch 15.000 Euro je Kilogramm.

Ein 1,5-Billionen-Dollar-Markt entsteht

Bislang (und auf absehbare Zeit) dominiert der Bereich „Space for Earth“ den Weltraummarkt. 95 Prozent des 385 Milliarden US-Dollar großen Markts (2019) entfallen auf Anwendungsfelder wie Erdbeobachtung (EO), Navigationssatelliten (SatNav) und Kommunikation (SatCom) für Mobilfunk und Internet. Der Bereich „Space for Space“ – beispielsweise die Nutzbarmachung von Weltraummaterial für die Verwendung im Weltall wie der Bau von Mondsiedlungen mit Mondgestein – fristet bislang ein Nischendasein. Bis 2030 soll der Weltraummarkt insgesamt auf rund 600 Milliarden US-Dollar anwachsen, bis 2040 gar auf 1,5 Billionen US-Dollar.

Gegenwärtige und zukünftige NewSpace Geschäftsfelder

„Jedes Unternehmen wird 2030 ein Weltraumunternehmen sein“, heißt es in einer Marktbefragung von KPMG. Auch wenn es vielen Unternehmen gar nicht bewusst sein wird, dass sie ganz selbstverständlich Informationen aus dem Weltall nutzen. Allein in den ESA BIC, den „Business Incubation Centers“ der Europäischen Raumfahrtbehörde, wurden schon rund 1.000 Start-ups mit Raumfahrtbezug unterstützt, aktuell sind es etwa 100 „New Space“-Unternehmen. Dabei ist Europa im internationalen Vergleich noch „zurückhaltend“, die Dichte an „New Space“-Start-ups ist in den USA deutlich höher. Zum Ökosystem gehören natürlich die Hersteller und Anbieter der Transportinfrastruktur, die Satelliten bauen und ins Weltall schaffen. Eine Vielzahl der Unternehmen ist jedoch auf die Entwicklung von Analyseanwendungen konzentriert – wie zum Beispiel Wärmebildkameras – und deren Auswertung. Andere wiederum spezialisieren sich auf die Aufbereitung von Daten, wie sie auch die ESA zur Verfügung stellt. Sie veredeln die Rohdaten aus dem All zu Vorhersagen oder konkreten Handlungsempfehlungen für ihre Kunden.

„Viele Geschäftsmodelle sind noch gar nicht erfunden.“

Thomas Grübler, CEO Ororatech

Unterschiedlichste Anwendungen für „New Space“

Die Münchener Unternehmen Ororatech beispielsweise ist auf Wärmebildanalysen aus dem Weltraum spezialisiert. Damit lassen sich, berichtet CEO Thomas Grübler, Waldbrände frühzeitig identifizieren, aber auch Dürren oder das Abfackeln von Methan, das unter anderem bei Gasterminals geschieht. Das hilft nicht nur der Umwelt, sondern auch den Unternehmen selbst – sie sparen den Aufwand zusätzlicher lokaler „händischer“ Überwachung, vermeiden zukünftig Strafzahlungen wegen Gas-Flaring-Verstößen und können Versicherungssummen reduzieren. Oder sie erhalten überhaupt erst eine Versicherung, denn in einigen Waldbrandgebieten ist das kaum noch möglich. Mit seinen Leistungen spricht das Münchener Unternehmen nicht nur staatliche oder staatsnahe Organisationen und Umweltinitiativen, sondern auch die Waldwirtschaft oder Energieunternehmen an. Ororatech will in den kommenden Jahren ein Netz aus mehr als hundert schuhschachtelgroßen Satelliten aufzubauen, die eine weltweite Beobachtung durch ihre Wärmebildkameras in Echtzeit zulassen.

Anwendungsmöglichkeiten von „New Space“-Technologien – Beispiele

- Ersatz oder Ergänzung von stationären Sensoren oder Drohnen: Während der Standort von Sensoren auf der Erde die Daten beeinflussen und damit einen internationalen Vergleich erschweren kann, sind die Analysen aus dem All objektiver. Drohnen wiederum sind in einigen Anwendungsfeldern zu aufwendig. Ororatech-CEO Thomas Grübler: „Ein lückenloses Drohnensystem zur Überwachung der Waldbrandgefahr in Kalifornien ist so teuer wie ein Netz aus unseren Satelliten, mit dem die gesamte Welt abgedeckt werden kann.“ In anderen Regionen sind wiederum Drohnen und Stationen nicht möglich; beispielsweise auf den Weltmeeren oder in Wüsten. Die Bilderkennung aus dem All kann den Wellengang im Meer bestimmen und präzisere Wettervorhersagen ermöglichen. Dürren können besser vorhergesagt werden und Landwirte darum rechtzeitig reagieren.

- Analysen wirtschaftlicher Entwicklung: Schon heute kann der Schattenwurf im Ölbecken, die Belegung von Walmart-Parkplätzen oder die Hitzesignatur von Stahlwerken Rückschlüsse über Preisentwicklungen von Rohstoffen oder Aktienwerten in Echtzeit zulassen, lange vor einem Quartalsbericht oder dem angebotenen Preis des verkaufsfähigen Produkts.

- Produktion in der Schwerelosigkeit: Dieser Ansatz ist noch nicht weit fortgeschritten, auch wenn das Unternehmen Made in Space Inc. schon einzelne Teil mit einem 3-D-Drucker im Weltall hergestellt und Mitte 2019 einen Großauftrag der NASA zur automatisierten Herstellung von Solarpaneelen im All erhalten hat. Neben der Hightech-Herstellung könnte vor allem die Pharmabranche von neuen Produktionsbedingungen profitieren, die ganz neue Behandlungsmethoden erlauben, erwarten zumindest Experten.

Der momentan wichtigste Anwendungsbereich liegt in der IT. Mobilfunk, IoT und Big Data sind schon heute auf die Satelliten im All angewiesen. Von „New Space“ als Brücke zwischen Raumfahrt und digitaler Wirtschaft spricht schon 2016 eine Studie des Beratungsunternehmens Space Tec im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. „Viele Geschäftsmodelle sind aber noch gar nicht erfunden“, betont Grübler. Sie werden wohl erst entwickelt, wenn die Daten fließen und mehr und mehr Anwendungsfälle publik werden.

Schwierige Finanzierung

Dabei werden Rückschläge nicht ausbleiben. So mussten die schon vor mehr als zehn Jahren gegründeten Space-Mining-Start-ups Planetary Resources Inc. und Deep Space Industries, die Rohstoffe von Asteroiden abbauen wollten, aufgeben. Die Kosten waren zu hoch, die Nachfrage der Kunden zu gering. Auch andere Unternehmen werden Finanzierungsschwierigkeiten bekommen. Angel-Investor Dylan Taylor, der in rund 50 Unternehmen der Branche investiert ist, kennt das Problem der All-Gründer: die sehr lange Zeit bis zum wirtschaftlichen Erfolg bei den meisten „New Space“-Start-ups. Oft setzt erst sieben bis zehn Jahre nach der Gründung der Hockey-Stick-Effekt ein – Venture-Capital-Fonds haben aber meist nur einen Investmenthorizont von höchstens sieben Jahren. Für die Börse sind diese Unternehmen auch noch nicht reif, der IPO von Spire Global im vergangenen August ist eine seltene Ausnahme. Zugleich sind die Aktivitäten sehr kapitalintensiv. „Allein die Versicherungskosten für Satelliten könnten erdrückend werden“, berichtet Ororatech-CEO Thomas Grübler. Öffentliche Fördergelder spielen darum noch eine wichtigere Rolle in der „New Space“-Finanzierungswelt als Venture-Capital-Fonds wie Seraphim, NewSpace Capital oder auch Sequoia.

Vorsprung durch All-Wissen

Carissa Christensen, CEO von Bryce Space and Technology, empfiehlt „New Space“-Unternehmen, schon früh Umsätze vorzuzeigen und bereits existierende Märkte anzugehen, statt nur auf die Schaffung ganz neuer Märkte zu setzen. Um Kunden aus anderen Branchen den Einstieg zu erleichtern, sollten die Start-ups viele Kunden parallel gewinnen, die dann mit kleinen Investments erste Erfahrungen sammeln könnten. Das ist oft deutlich aufwendiger, als einen Großauftrag der öffentlichen Hand zu gewinnen, der die Finanzierung sichere. Grübler ergänzt, dass die Kundenbasis von Anfang an global gedacht werden sollte. Auch wenn die Kosten mit fortschreitender Miniaturisierung sinken könnten, sollten Kunden sich jetzt mit den Chancen befassen.

Andere Unternehmen tun es längst: Google beispielsweise kauft schon jetzt en gros Satellitendaten ein; viele weitere Konzerne werden folgen. Die Geschäftschancen durch „New Space“ werden jetzt verteilt.

11/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.