(Fast) Ein Jahr CBAM

Der Start des europäischen CO2-Grenzausgleichssystems CBAM verlief holperig. Dabei war das noch das Einfachste, denn die Anforderungen steigen deutlich.

Eine mögliche Folge des CBAM: steigende Waschmaschinenpreise.

Eine mögliche Folge des CBAM: steigende Waschmaschinenpreise. Foto: adobe stock

Wer über die Bürokratie der Europäischen Union klagt, hatte Anfang des Jahres einen weiteren Anlass dafür. Im Oktober 2023 hatte die EU den sogenannten CBAM in Kraft gesetzt. CBAM steht für Carbon Border Adjustment Mechanism und soll die CO2-Emissionen von importierten Produkten erfassen und bepreisen, um ein „Auslagern“ von Emissionen zu verhindern und gleiche Wettbewerbsbedingungen für CO2-Preise zu schaffen. Betroffen sind bislang sechs Produktgruppen mit einem hohen CO2-Fußabdruck: Stahl, Aluminium, Zement, einige Düngemittel, Strom und Wasserstoff. In der initialen Übergangsphase müssen betroffene Unternehmen quartalsweise berichten, welche Emissionen ihre importierten Güter beinhalten. Erst ab 2026 müssen sie auch entsprechende Zertifikate erwerben. Doch schon beim ersten Quartalsbericht, Deadline 31. Januar 2024, gab es große Schwierigkeiten.

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der rund 20.000 berichtspflichtigen Unternehmen aus Deutschland hatten ihre Zahlen bis Ende Januar eingereicht.

Die IHK Stuttgart hat betroffene Unternehmen befragt, und die Kritik war teils harsch: Fast alle Befragten rügten ungenügende Behördeninformationen, sie fühlten sich unzureichend oder schlecht informiert. Außerdem war der Zugang zum EU-Meldeportal umständlich, weil er nur über ein Konto im Zoll-Portal möglich war. Über diesen verfügte aber nur rund ein Drittel. Wer einen neuen Zugang benötigte, machte mit der Registrierung oft schlechte Erfahrungen. Das EU-Meldeportal selbst kommt noch schlechter weg. Fast zwei Drittel der Befragten erhielten unverständliche Fehlermeldungen. Am Ende konnte jeder Dritte seinen Bericht nicht abschließend absenden. Eine deutschsprachige Anleitung für das komplexe System gab es nicht. Immerhin, die EU räumte 30 Tage Verlängerung ein. Kein Wunder: Gerade einmal 10 Prozent der rund 20.000 berichtspflichtigen Unternehmen aus Deutschland hatten ihre Zahlen bis Ende Januar eingereicht. Bis Ende Februar wurden europaweit 13.000 Berichte hochgeladen. Zusätzlich zur Fristverlängerung wurden die zuständigen staatlichen Behörden angewiesen, keine Strafen für von den technischen Problemen betroffene Unternehmen zu verhängen. Und Unternehmen konnten bis Ende Juli ihre ersten CBAM-Berichte noch korrigieren. Wer allerdings nicht pflichtgemäß berichtet, muss mit Strafen zwischen 10 und 50 Euro je Tonne CO2 rechnen, die nicht gemeldet worden ist.

Die Daten fehlen

Während in der Zwischenzeit die gröbsten Fehler der IT-Systeme behoben wurden, dürften die grundsätzlichen Probleme nicht so einfach zu beseitigen sein. Die größte Hürde: Die Unternehmen sollen Daten liefern, die sie selbst nur schwer bekommen. Gerade einmal 3 Prozent erhalten laut IHK-Stuttgart-Umfrage überhaupt die benötigten Emissionsdaten. Hersteller und Zwischenhändler tun sich schwer, ihre grauen Emissionen zu quantifizieren und zu teilen. Jedes dritte befragte Unternehmen hatte allerdings seine ausländischen Lieferanten offenbar noch gar nicht kontaktiert. Gerade bei mehrgliedrigen Lieferketten ist es schwierig, belastbare Nachweise zu den Emissionen zu erhalten. Wie groß das Problem ist, wird sich aber erst jetzt zeigen: Im Juli durften erstmals keine abgeleiteten Standardwerte mehr berichtet werden, sondern die Unternehmen mussten die tatsächlichen Emissionswerte ihrer Lieferanten melden.

BDI und DIHK fordern vor diesem Hintergrund Vereinfachungen und mehr Zeit. Außerdem sollte ein „EU CBAM Self-Assessment-Tool“ eingeführt werden, in dem Unternehmen erst einmal prüfen können, inwiefern sie CBAM-Pflichten unterliegen und welche Daten sie zu welchen Ermittlungsmethoden bei ihren Lieferanten anfordern müssen. Auch sollte die Bagatellgrenze für Importe von bislang 150 Euro erhöht werden. Explizit wird auf den Vorschlag aus Großbritannien – eine Schwelle von 10.000 Pfund – verwiesen. Das würde insbesondere kleinere Unternehmen vom hohen Verwaltungsaufwand entlasten. Außerdem müsse es Alternativen geben, falls der ausländische Lieferant keine CO2-Angaben zur Verfügung stellt.

Bei aller Kritik sollte aber der ursprüngliche Gedanke des CBAM nicht vergessen werden: Die neue Regulierung soll verhindern, dass Unternehmen im ETS (Emissions Trading System der EU) im Vergleich zu Produzenten außerhalb der EU benachteiligt werden. Damit es nicht zum „Carbon Leakage“ kommt, weil EU-Unternehmen ihre Produktion einfach in Nicht-EU-Staaten verlagern und damit CO2-Zertifikate umgehen, sollen importierte Waren einen ähnlichen CO2-Preis haben wie EU-intern hergestellte.

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Die erwarteten Folgen

Für die Unternehmen ist der CBAM daher nicht nur eine bürokratische Aufgabe, sondern auch eine strategische, betont beispielsweise Roland Berger. Unternehmen müssten ihre Zulieferstrategie und Marktpositionierung grundsätzlich hinterfragen. Denn es genüge nicht mehr, nur Emissionen aufzuführen, es müssten Anstrengungen zur Reduktion unternommen werden – das verlangten nicht zuletzt auch die Kunden. Außerdem stelle sich die Frage, ob die erwarteten Preissteigerungen an die Kundschaft durchgereicht werden könnten.

Ab 2026 muss mit erheblichen Mehrkosten durch den Kauf von CBAM-Zertifikaten gerechnet werden. Eine Veröffentlichung von Deutsche Bank Research vom Anfang dieses Jahres nennt bei einem Preis von 80 Euro je Tonne CO2 CBAM-bedingte Kostensteigerungen für Eisen und Stahl um rund 1 Prozent, für Zement sogar um 3,7 Prozent. Bei einer Waschmaschine könnten die Rohstoffkosten um 5 bis 10 Prozent steigen, haben Studien gezeigt. Ob Autobauer, Maschinenbau oder Elektronik – in vielen Branchen muss mit höheren Kosten gerechnet werden. Bis 2034, so die derzeitige Planung, sollen die CBAM-Anforderungen auf fast alle Produkte ausgeweitet werden, die auch vom ETS betroffen sind.

Experten erwarten, dass Unternehmen darum tiefgreifende Änderungen in ihrer Supply Chain vornehmen könnten. CO2-intensive Zulieferer dürften durch Exporteure aus Staaten mit einem hohen Anteil „sauberer“ Energien ersetzt werden. Das könnte insbesondere die Ukraine, Indien, Ägypten, Russland, Venezuela, Südafrika, Kasachstan und die Türkei treffen. Auch könnten neue Fertigungskapazitäten verstärkt in Regionen mit günstiger erneuerbarer Energie angesiedelt werden.

Wettbewerbsnachteile für EU-Produzenten

Weil der CBAM die Kosten für Produkte innerhalb der EU erhöht, wird es für betroffene Hersteller aus der EU schwierig, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben. Denn Unternehmen in Ländern ohne ein ETS-Äquivalent können ohne den Aufschlag einer Emissionsabgabe fertigen und in Staaten ohne ein CBAM-Reglement exportieren. Zwar gibt es inzwischen weltweit 57 CO2-Bepreisungssysteme, doch bislang werden nur die Systeme der EFTA-Länder Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein als äquivalent anerkannt. Da es keinen global einheitlichen en CO2-Preis gibt, kann es auch bei einem Emissionshandelssystem zu größeren Wettbewerbsverzerrungen kommen.

Helfen würde eine Exportrückerstattung für EU-Unternehmen, die CBAM-Güter ausführen. Ob daher Anpassungen notwendig sein werden, will die EU-Kommission bis Ende 2027 überprüfen. Allerdings dürfte es nicht einfach werden, dies WTO-konform umzusetzen.
Die beste Lösung wäre wohl ein weltweit einheitlicher CO2-Preis. Doch auch wenn immer mehr Länder Emissionspreissysteme umsetzen, dürfte der Weg zum Einheitspreis weit sein. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich China, die USA, Indien und andere Großemittenten am ETS und am CBAM orientieren. Ob vom CBAM mehr bleibt als bürokratischer Aufwand, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.

09/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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