Die Nachwende-Unternehmergeneration in Ostdeutschland geht in den Ruhestand. Doch Nachfolger sind ausgesprochen rar. Neue Konzepte sollen ein großes Unternehmenssterben abwenden.
Auf die Gründungswelle der 1990er-Jahre folgt nun die Nachfolgewelle. Vor rund 30 Jahren wurden viele ehemalige DDR-Betriebe von Entrepreneuren übernommen und neue Unternehmen gegründet. Jetzt geht binnen weniger Jahre eine ganze Unternehmergeneration in den Ruhestand. Unternehmensnachfolgen sind in ganz Deutschland eine schwierige Angelegenheit, weil mögliche Nachfolger aus der Familie kein Interesse zeigen oder die Vorstellungen von Übergebendem und Übernehmendem zu weit auseinandergehen. Doch in den fünf „neuen“ Bundesländern finden sich Nachfolger noch seltener als im Westen. Das Problem zeigt sich bereits seit einigen Jahren: 54 Prozent der Unternehmer in Ostdeutschland, die einen Nachfolger suchten, hatten diesen laut einem DIHK-Report aus dem Jahr 2019 noch nicht gefunden, in den alten Bundesländern waren es 46 Prozent. Vor allem bei Hotels und Gastronomie sowie im Handel ist es schwierig, einen Nachfolger zu finden. Durch die Corona-Pandemie sind in diesen Branchen die Erfolgschancen sicherlich nicht gestiegen.
Die Ursachen sind vielfältig und nicht allein demografischer Natur. Natürlich erschwert die jahrzehntelange Abwanderung qualifizierter junger Menschen aus großen Teilen des Ostens die Nachfolgersuche massiv (wenngleich sich in einigen Regionen wie zum Beispiel Leipzig der Trend inzwischen sogar umgekehrt hat). Hinzu kommt, dass viele Unternehmen so klein sind, dass sich der Aufwand einer Nachfolgelösung nicht lohnt. Die rund 60.000 Dienstleistungsunternehmen in Brandenburg haben durchschnittlich nur 3,7 Mitarbeiter; von den 5.000 dort ansässigen Bauunternehmen beschäftigen mehr als 90 Prozent höchstens 20 Mitarbeiter. Selbst in der brandenburgischen Industrie liegt der durchschnittliche Jahresumsatz gerade einmal bei 2 Millionen Euro. So kleine Unternehmen sind für Käufer meist uninteressant. Viel zu selten verfügen die Unternehmer in den östlichen Bundesländern weder über ausreichendes Eigenkapital noch über die Erfahrung, im Rahmen einer „Buy and Build“-Strategie einen Konkurrenten oder Zulieferer mit Nachfolgebedarf zu erwerben und somit selbst anorganisch in eine attraktive Größenordnung hineinzuwachsen.
Die Sorge ist groß, dass zu vielen Unternehmen das Aus droht. Wenn Hotels und Restaurants schließen oder der Handwerker vor Ort keinen Nachfolger findet, verlieren ohnehin schon strukturschwache Regionen ein Stück Infrastruktur und damit weiter an Attraktivität. Hinzu kommt, dass mancher Unternehmer das gesamte Kapital im Unternehmen gebunden und nicht fürs Alter vorgesorgt hat. Findet er keinen Nachfolger, der zu einer Übernahme und der entsprechenden Kaufpreiszahlung bereit ist, droht ihnen Altersarmut.
„Vertrauliche Gesprächsformate sind sehr gefragt.“
Christian Schuchardt, IHK Potsdam
Politik, IHKs, aber auch Banken versuchen nach Kräften, für möglichst viele Nachfolgelösungen zu finden. Dabei gilt es zuerst, „Aufklärungsarbeit“ zu leisten, weil die Unternehmer im Osten Deutschlands meist auf keinerlei Erfahrungen mit dem Thema zurückgreifen können. „Es gibt ja keine Unternehmen in dritter oder vierter Generation, bei denen die Unternehmer selbst schon als junger Mensch eine Nachfolge oder einen Unternehmensverkauf erlebt hätten“, erklärt Annegret Kratz, Firmenkundenbetreuerin der Deutschen Bank in der Region Leipzig/Chemnitz. „Viele Unternehmer sind zudem in ihrer eigenen unternehmerischen Tätigkeit nie selbst anorganisch gewachsen und daher weder mit einem strukturierten M&A-Prozess noch mit den für ihr eigenes Unternehmen infrage kommenden Käufergruppen und deren Spezifika vertraut.“ Weil außerdem die Wende-Unternehmer fast zeitgleich in den Ruhestand gehen, stockt der übliche informelle Austausch. „Unternehmer haben in der Regel sehr wenige Personen in ihrem Umfeld, mit denen sie sich offen zu diesem Thema austauschen wollen und die zugleich über ausreichend Erfahrung auf diesem Gebiet verfügen“, sagt Kratz. Sie rät deshalb bei einer beabsichtigten externen Lösung, einen versierten M&A-Berater einzubeziehen. Kratz selbst hat bewusst ein Jahr in der Frankfurter Zentrale bei den Corporate-Finance-Kollegen verbracht und M&A aus erster Hand erlebt, sodass sie die Kunden in ihrer Region noch besser auf eine externe Nachfolgeregelung vorbereiten kann.
Obwohl das Angebot an Informationsveranstaltungen der IHKs groß ist, enttäuscht der Zuspruch angesichts der Dimension der Aufgabe. Viele Unternehmer fürchten, dass ihre Rückzugspläne öffentlich werden könnten, sobald sie eine Nachfolgeveranstaltung besuchen. Denn das bringt Unruhe in die Belegschaft und Chancen für die Wettbewerber. „Vertrauliche Gesprächsformate sind sehr gefragt“, weiß Christian Schuchardt von der IHK Potsdam. Aber die sind zeitaufwendig und entsprechend begrenzt. Ein weiterer Ansatz ist der „Nachfolge-Club“, für den sich übernahmeinteressierte Unternehmer registrieren lassen können. So versucht die IHK Potsdam, den Bedarf der Kaufinteressenten zu erfassen, ihnen potenzielle Übernahmeobjekte direkt zuzuführen und auch den direkten Kontakt bis hin zum gemeinsamen Erstgespräch zum bisherigen Unternehmer herzustellen.
„Die Ertragsperlen müssen sich die geringsten Nachfolgesorgen machen.“
Annegret Kratz, Deutsche Bank
Im Nachfolge-Club der IHK Potsdam sind rund 60 Kaufinteressenten registriert. Zu wenig angesichts der Vielzahl anstehender Nachfolgen. Ein Grund für den Interessentenmangel: Ein Verkauf an die zweite Führungsriege des Unternehmens scheitert oft am fehlenden Eigenkapital der unternehmensinternen Kandidaten. Es gibt keine Erbengeneration; das Gehalt reicht selten aus, um genügend anzusparen für einen Kauf – vor allem dann nicht, wenn es ein attraktives, hochprofitables Unternehmen ist. „Allerdings müssen sich die Ertragsperlen die geringsten Nachfolgesorgen machen“, beobachtet Kratz: „Unternehmen mit zukunftsfähigen Geschäftsmodellen in Branchen mit positiven Zukunftsaussichten werden unabhängig vom Alter des Inhabers gezielt von den jeweiligen Investorengruppen angesprochen. Unter anderem im IT- und Healthcare-Bereich werden nach unseren Beobachtungen derzeit sehr attraktive Kaufpreise erzielt.“ Mancher Verkäufer ist dann gerade erst in den 40ern, also noch gar nicht in der Statistik mit anstehenden Nachfolgen erfasst.
Vor allem aber interessieren sich Finanzinvestoren nicht für die ganz Kleinen. Damit diese trotz geringer Größe eine für externe Käufer attraktive Dimension erreichen können, hat sich die Berliner M&A-Beratung Intagus ihr „Unifive“-Konzept ausgedacht: Dazu werden mehrere Unternehmen zu einem größeren Unternehmen, der sogenannten „Unified Succession Entity“ (USE), zusammengefügt und fit für die Zukunft gemacht. Die M&A-Beratung ermittelt die jeweiligen Unternehmenswerte und errechnet so einen Verteilschlüssel im Verkaufsfall. Außerdem bieten die Berater an, die USE in Sachen Compliance, Nachhaltigkeit und Führungsstruktur verkaufsfit zu machen, um den Anforderungen größerer Käufer zu genügen. Intagus-Pressesprecher Leander Hollweg erklärt: „Die USE soll so groß und professionell sein, dass auch gegebenenfalls notwendige Investitionen in Digitalisierung lohnen und Skaleneffekte für eine attraktive Rendite möglich werden.“
Noch ist die Idee zu jung, um schon belastbare Erfahrungswerte vorweisen zu können. Doch Hollweg betont: „Der grundsätzliche Zuspruch, das zeigte eine Umfrage unter abgabewilligen Unternehmern, ist groß.“ Parallel arbeitet Intagus an einer Online-M&A-Beratung im „Do it yourself“-Verfahren, damit auch die ganz Kleinen, die keine individuelle M&A-Beratung finanzieren können, sich auf Due Diligence & Co. vorbereiten können. An Initiativen, die zur Nachfolge anstehenden Unternehmen und ihre Inhaber auf die Nachfolge vorzubereiten, besteht kein Mangel. Nun fehlen nur noch die Nachfolger.
09/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.