Die Diskussion um die CO₂-Kompensation

Klimaneutral durch Kompensation: So viel CO₂, wie Unternehmen freisetzen, lässt sich an anderer Stelle beispielsweise durch Waldanpflanzungen binden. Doch das System gerät zunehmend in die Kritik. Zu Recht?

Mangrovenanpflanzung in Indonesien – die Pflanzen schützen nicht nur gegen Tsunamis, sondern binden auch CO2.

Mangrovenanpflanzung in Indonesien: Die Pflanzen schützen nicht nur gegen Tsunamis, sondern binden auch CO₂. Foto: picture alliance / NurPhoto / Basri Marzuki

Der mittelständische Möbelunternehmer war zufrieden: Klimaneutralität war deutlich einfacher zu erreichen, als er gedacht hatte. Nachdem er für sein Unternehmen eine CO₂-Bilanz erstellt hatte, erwarb er „Carbon Offset Credits“ in gleicher Höhe zum Ausgleich. Immer mehr Unternehmen nutzen die Möglichkeiten der freiwilligen CO₂-Kompensation, englisch Carbon Offset (siehe Kasten: So funktioniert CO₂-Kompensation). Morgan Stanley rechnet damit, dass das Marktvolumen für Carbon Offset Credits von 2 Milliarden US-Dollar (2020) auf insgesamt 250 Milliarden US-Dollar im Jahr 2050 ansteigt. Fast alle der 350 größten an der Londoner Börse notierten Unternehmen haben ihre Kompensationsausgaben in den vergangenen zwei Jahren erhöht; 59 Prozent davon „dramatisch“. Und fast alle wollen ihre entsprechenden Budgets auch künftig noch einmal erhöhen. Doch mit dem Boom werden auch die Kritiker lauter.

Eigene CO₂-Emissionen berechnen

In Zusammenarbeit mit den Spezialisten von PlanA stellt die Deutsche Bank einen digitalen CO₂-Rechner zur Verfügung. Hier können Sie ihn testen: https://www.deutsche-bank.de/ub/unsere-loesungen/nachhaltigkeit/co2-rechner.html

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Erster Kritikpunkt: Mit der Möglichkeit zur Kompensation vernachlässigen Unternehmen eigene, oft kostspieligere Maßnahmen, ihre Emissionen zu reduzieren. So werden Chancen, dauerhaft noch stärker CO₂ einzusparen, vergeben. Auch könnte der Regulator notwendige Maßnahmen zur Emissionsreduzierung unterlassen.

Zweiter Kritikpunkt: Längst nicht jedes der derzeit rund 4.000 Kompensationsprojekte weltweit hält, was es verspricht. Tatsächlich fehlen allgemeingültige Standards für den Nachweis, in welchem Umfang welche Maßnahmen CO₂ binden oder vermeiden. Studien haben gezeigt, dass je nach Qualität der Offset-Projekte eventuell nicht so viel CO₂ vermieden wird wie angegeben, die Maßnahmen erst in vielen Jahren wirken werden – oder ohnehin umgesetzt worden wären (sie zählen dann nicht).

Unterschiede der Standards

Orientierung geben Standards, von denen es viele unterschiedliche gibt: Bekannt sind der vom WWF mitentwickelte „The Gold Standard“, der Verified Carbon Standard (VCS) von Marktführer Verra, das American Carbon Registry (ACR), das Plan Vivo System und weitere Programme von Nichtregierungsorganisationen. Außerdem gibt es staatliche „Programme“ wie zum Beispiel den Clean Development Mechanism (CDM). Das Problem: Die Standards sind schwer miteinander zu vergleichen, weil sie unterschiedliche Schwerpunkte legen. Manche berücksichtigen allein die Menge der reduzierten Emissionen, andere auch soziale und ökologische Kriterien.

So funktioniert CO₂-Kompensation

Das Ziel von CO₂-Kompensation ist der Ausgleich klimaschädlicher CO₂-Emissionen durch Maßnahmen, die an anderer Stelle CO₂-Emissionen reduzieren oder entfernen. Der Emittent, beispielsweise eine Fluggesellschaft, erwirbt „Carbon Offset Credits“ für eine bestimmte CO₂-Menge. Um klimaneutral zu sein, müssen ebenso viele Offset Credits erworben werden, wie CO₂ emittiert wurde.

Die Credits können von den Projekten selbst, von Tauschbörsen oder „Offset-Programmen“ wie The Gold Standard oder dem American Carbon Registry erworben werden. Dazu müssen die Projekte von den Programmen überprüft und die Einsparung errechnet werden. Nach dem Kauf werden die Offset Credits „deaktiviert“, damit wirklich eine Kompensation stattfindet, und sie können nicht noch einmal verkauft werden. Die Projekte können sehr unterschiedlich sein: eine Solar-Alternative zum Kochen, damit weniger Kohle und Holz verbrannt werden; die Aufforstung von Wäldern; die Installation von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien oder das „Einfangen“ von Emissionen (siehe Carbon Capture & Storage).

Bei den Preisen gibt es ebenfalls große Spannen. Jede „Tonne Vermeidung“ in Neuseeland kostet knapp 16 US-Dollar, in Nicaragua hingegen nur 6,7 US-Dollar (Stand Januar 2023).

Die sogenannten Offset-Programme wie CDM, ACR und The Gold Standard geben in der Regel eigene „Offset Credits“ unter individuellen Bezeichnungen wie „Emission Reduction Tonne“ (ACR) oder „Certified Emission Reduction“ (CDM) heraus, die erworben werden können. Sie führen über die Credits Buch und prüfen Kompensationsstandards mithilfe externer Prüfer. Aber auch mancher Standard erntete Kritik, weil nicht genau genug auf Projekte geschaut worden war. Der CDM beispielsweise wird in der EU nicht anerkannt. Doch die Programme reagieren auf die Kritik an ihren Credits.

Carbon Offsets höherer Güte

Seit den Anfangsjahren des Systems, als die an Offset-Projekte angelegten Kriterien nicht sehr anspruchsvoll waren, wurden die Schwächen bestimmter Maßnahmen immer sichtbarer: Forscher fanden vor Ort mehrere Beispiele dafür, dass bereits bestehende Naturparks eingerechnet oder Wälder trotz Schutzzusage gerodet worden waren. Bei flüchtigen Gasen ist es wiederum sehr schwierig, die eingesparten Mengen zu quantifizieren.

So verbessern Sie Ihre CO₂-Kompensation

Nicht immer können Unternehmen selbst ihre CO₂-Emissionen reduzieren – oft genug fehlt es momentan noch an ausgereifter Technologie oder die Kosten sind nicht zu stemmen. Doch mit einigen Maßnahmen lässt sich zumindest die Qualität der angebotenen Offset Credits verbessern.

Hier sind drei Tipps:

  1. Projekte prüfen. Befassen Sie sich mit dem jeweiligen Projekt, das Ihre Emissionen kompensieren soll. Wichtig sind folgende Kriterien:

    - Eine Einsparung oder Vermeidung hätte es ohne das Projekt nicht gegeben.
    - Die gesparte Emission lässt sich gut quantifizieren.
    - Die Einsparung ist dauerhaft.
    - Es ist eindeutig zuzuordnen, wer „Eigentümer“ der Reduktion ist.
    - Es gibt keine negativen Nebeneffekte, wie die Vertreibung Alteingesessener o.a.

    Je mehr davon zutrifft, desto besser. Vermeiden Sie hingegen „Hoch-Risiko“-Projekte: Aufforstungsprojekte sind im Fall eines Waldbrands wertlos, weil das zuvor eingesparte CO₂ wieder freigesetzt wird. Aber auch Erneuerbare-Energien-Projekte können „riskant“ sein, weil sie oftmals in der Praxis entlang der Wertschöpfungskette mehrfach als Einsparung eingerechnet werden. Zertifizierungen unabhängiger Experten helfen bei der Einschätzung der Projekte.
  2. Umtauschverhältnis ändern. Wenn Sie ein Projekt nicht genauer prüfen können, sollten Sie sicherheitshalber damit rechnen, dass ein erheblicher Teil Ihrer Credits in der Realität nicht ausreicht, Ihre Emissionen zu kompensieren. Dann sollten Sie nicht im Verhältnis 1:1 tauschen, sondern zum Beispiel für jede Tonne CO₂-Emission gleich Offset Credits über zwei Tonnen erwerben.
  3. Nicht den günstigsten Credit kaufen. Wenn ein Projekt je Tonne Kompensation nur 1–2 US-Dollar verlangt, wäre die Maßnahme wahrscheinlich ohnehin umgesetzt worden oder ist von zweifelhafter Wirkung. Allerdings gilt nicht automatisch: „je teurer, desto besser“.

Darum werden zunehmend technische Maßnahmen, wie die Speicherung bereits erfolgter Emissionen durch „Absaugen“ aus der Luft und deren Speicherung in der Erde (Carbon Capture and Storage) oder die Zerstörung von Methan, bevorzugt. Hier ist nicht nur die Quantifizierung einfacher, die Speicherung – sofern professionell umgesetzt – kann dauerhaft Emissionen reduzieren. Nur: Bislang stehen diese Technologien noch am Anfang ihrer Entwicklung und sind entsprechend rar und teuer.

CO₂-Kompensationen sind nur die „zweitbeste“ Lösung, aber eine Lösung. Besser wäre es, wenn Unternehmen direkt ihre Emissionen verringern, ob durch Substitution fossiler Energieträger oder beispielsweise durch Filter und sparsamere Produktionstechniken. Nahrungsmittelmulti Nestlé will künftig vor allem diesen Weg beschreiten und klimaschädliche Emissionen entlang der eigenen Wertschöpfungskette verringern, um bis 2050 klimaneutral zu sein. Aber das ist nicht überall möglich. Fluglinien, eine Branche mit besonders intensiver Nutzung von Kompensationsprogrammen, werden so rasch gar keine andere Möglichkeit haben, ihre Emissionen zu reduzieren. Manche Großemittenten – darunter US-Tech-Riesen und Energiekonzerne – investieren bereits direkt in technische Vermeidungs- und Reduzierungsanlagen, etwa durch Carbon Capture.

Für alle anderen sind Offset Credits eine Hilfe auf dem Weg zur Klimaneutralität. Mit einem kritischen Blick können sie dazu beitragen, dass die Projekte besser werden (siehe Kasten „So verbessern Sie Ihre CO₂-Kompensation“). Das ist sinnvoller, als ganz untätig zu bleiben.

08/2023
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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