Der schwierige Weg aus der Inflation

Die Zentralbanken versuchen, die Inflationsraten zu senken, ohne in eine Deflation zu geraten. Doch die Wirtschaft zahlt dafür einen Preis. So hoch wie in den Achtzigerjahren, als die Inflation ähnlich war?

US-Notenbankchef Paul Volcker in den Achtzigerjahren nachdenklich: Er hatte ein Rezept gegen Inflation – doch erst einmal würde sich die Lage verschlimmern.

US-Notenbankchef Paul Volcker in den Achtzigerjahren nachdenklich: Er hatte ein Rezept gegen Inflation – doch erst einmal würde sich die Lage verschlimmern. Foto: picture alliance / AP Images / John Duricka

Bloß nicht wie Japan! Seit den Neunzigern litt die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt unter Deflation. Von Helikoptergeld bis Negativzinsen versuchten Regierung und Zentralbank beinahe alles, um die Teuerungsrate anzukurbeln. Vergebens. Erst jetzt, im Zuge des globalen Inflationsdrucks, stiegen auch in Japan die Preise wieder – und könnten sich auf einem nachhaltig positiven Niveau einpendeln. Die Notenbanken der meisten Industrieländer sind dagegen seit Jahrzehnten darin geübt, ein Abrutschen ihrer niedrigen Inflationsraten in die Deflation – negative Inflationsraten – zu verhindern. Sie wissen, dass das schneller passieren kann als erwartet. Andererseits darf die Inflation keinesfalls so hoch wie aktuell bleiben. Darum braucht es eine Disinflation, in der die Preise zwar weiter steigen, aber die Inflationsrate stetig sinkt. Das Problem: Die Maßnahmen zur Senkung der Inflation können hohe volkswirtschaftliche Kosten verursachen.

Harte Jahre, aber notwendig

Rückschau: 1980 lag die Inflationsrate in den USA über 14 Prozent, als Notenbankchef Paul Volcker begann, die Zinsen massiv zu erhöhen. So schaffte es die Federal Reserve innerhalb weniger Jahre, die Inflation auf ein verträgliches Maß von 3,5 Prozent zu reduzieren. Auf diesem Niveau verharrte die Teuerungsrate dann tatsächlich über mehrere Jahrzehnte. Auf die schwierige Phase der „Great Inflation“ folgte dank der „Volcker Disinflation“ eine Zeit der „Great Moderation“.

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„Der Wiederanstieg der Inflationsrate im Juni in Deutschland ist nicht mit einem Wiederaufflammen des Inflationsdrucks gleichzusetzen.“

Sebastian Becker, Deutsche Bank Research

Doch das war nicht die einzige Folge. Denn die hohen Zinssätze verteuerten Kredite. Wer in neue Maschinen, Technologien oder Produkte investieren wollte, musste plötzlich mit deutlich höheren Kosten kalkulieren. Dadurch sank die Investitionsbereitschaft der Unternehmen, die in der Folge weniger wuchsen. Zugleich sank auch die Ausgabebereitschaft der Konsumenten, weil sie mehr Zinsen auf Guthaben erhielten und kreditfinanzierter Konsum deutlich teurer wurde.

Aus dieser Gemengelage entstand eine waschechte Rezession mit steigenden Insolvenzzahlen, und die Arbeitslosenquote kletterte innerhalb weniger Jahre von rund 6 Prozent auf annähernd 10 Prozent. Die Disinflationspolitik von Volcker hatte zwar die Inflation erfolgreich bekämpft, aber die Wirtschaft musste einen hohen Preis dafür zahlen. Droht uns dies nun wieder, auch in Europa und Deutschland?

Mit der Zinswende gegen die Inflation

Seit 2022 haben Notenbanken weltweit mit einer rapiden Zinswende versucht, die Geldmenge einzuschränken und damit die ungewohnt hohen Inflationsraten zu reduzieren. Allein seit Mitte März 2022 hat die US-Notenbank 10mal die Zinsen angehoben. Und wieder sind die Inflationsraten rasch gesunken. In den USA liegt die Jahresteuerungsrate bereits im Juni nur noch bei 3 Prozent; in Deutschland scheint der Höhepunkt ebenfalls überschritten, auch wenn die Inflationsrate im Juni wieder leicht auf 6,4% anstieg. „Der Wiederanstieg in Deutschland ist allerdings nicht mit einem Wiederaufflammen des Inflationsdrucks gleichzusetzen“, erklärt Sebastian Becker von Deutsche Bank Research. „Denn er kann maßgeblich auf zwei größere statistische Basiseffekte zurückgeführt werden, die im Zusammenhang mit der Einführung des dreimonatigen 9-Euro-Tickets sowie des Tankrabatts aus dem vergangenen Jahr stehen“. Laut Becker dürfte die deutsche Inflationsrate deshalb auch ab September wieder deutlicher fallen und könnte schließlich zum Jahresende bei etwa 4,3% liegen.

Wer profitiert von der Disinflation – und wer leidet?

Eine grundsätzliche Aussage ist schwer zu treffen, denn auch Inflation kann sich je nach Preissetzungsmacht und Zulieferstruktur unterschiedlich stark auf Branchen und Unternehmen auswirken. Außerdem ist die offizielle Inflationsrate immer nur das Gesamtbild; manche Preise legen weiter stark zu, andere stagnieren oder sinken gar. Zu beobachten ist, dass in der aktuellen Phase vor allem Energie und viele Rohstoffpreise und in der Folge auch zahlreiche Großhandelspreise sinken. Die Einzelhandelspreise ziehen jedoch häufig erst später nach, so dass Hersteller ihre Margen dank gesunkener Kosten wieder ausweiten können. Wenn Angestellte als Nachzieheffekt der Inflation höhere Löhne durchgesetzt haben, kann die Nachfrage nach Produkten und Leistungen wieder steigen, weil sich die Kaufkraft verbessert hat. Zugleich könnten aber personalintensive Dienstleister stärker leiden als zu Beginn der Inflation.

Andere Branchen wie beispielsweise die Energieindustrie könnten das Nachsehen haben: Weil ihre Produkte teils längerfristig substituiert worden sind, leiden sie unter strukturell sinkender Nachfrage. Zugleich sind in ihrem Geschäftsmodell sehr kapitalintensive Investitionen typisch; mit stark steigenden Zinsen verteuert sich ihre Finanzierung. Weil die Folgen der Zinspolitik der Notenbanken zeitverzögert einsetzen, wird das Zinsniveau tendenziell zu lange hoch gehalten – mit entsprechenden Folgen für alle Unternehmen, die ihre Investitionen fremdfinanzieren. Auch die Bau- und Immobilienbranche leidet häufig; die Baufinanzierung hat sich deutlich verteuert und entsprechend sinkt die Rentabilität von Immobilieninvestments.

Aktuell ist in Deutschland aber diese Entwicklung noch nicht klar erkennbar – aber wahrscheinlich hat die Phase der Disinflation auch gerade erst begonnen.

2024 dürfte vor allem auch die Entwicklung bei den Energiepreisen für niedrigere Teuerungsraten sorgen, erwartet Becker. Dennoch gibt es eine Reihe von Risiken. So könnte z.B. ein anhaltend hohes Lohnwachstum die Dienstleistungspreisinflation befeuern und die Disinflation verlangsamen oder begrenzen.

Die Richtung stimmt, doch bislang liegt die Inflation noch deutlich über dem Ziel einer leichten Teuerung von 2 Prozent. Daher wird es wohl weitere Zinsanhebungen im Jahresverlauf 2023 geben. Als dies die Federal Reserve Anfang Juli kommunizierte, rutschten die Aktienmärkte deutlich ins Minus: Investoren hatten offenbar gehofft, dass die Zentralbanken wie in der Vergangenheit mit billigem Geld für eine Belebung der Konjunktur sorgen würden. Schließlich hatten sie seit der Weltfinanzkrise vor knapp 15 Jahren mit expansiver Geldpolitik und Niedrigzinsen eine Rezession erfolgreich vermieden (bis zum Corona-Schock). Doch weil die wichtigste Aufgabe der meisten Zentralbanken die Geldwertstabilität ist, hat Inflationsbekämpfung Vorrang vor Wirtschaftswachstum. Die US-Wirtschaft war 1980 um knapp 3,5 Prozentpunkte geschrumpft.

Allein seit Mitte März 2022 hat die US-Notenbank 10 mal die Zinsen angehoben.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille: Denn so hart die wirtschaftlichen Folgen der Volcker-Disinflation waren, so rasch erholte sich die Wirtschaft wieder und damit auch der Arbeitsmarkt. Nach dem zwischenzeitlichen Schock wurden die Vorteile der Notenbank-Politik deutlich: Als die Inflation (auch dank der Effekte von Arbeitslosigkeit) unter Kontrolle war, hatten Unternehmen wieder eine stabile Planungsgrundlage. Hohe Inflation hingegen führt zu Unsicherheit, die Gift für Investitionen ist. Nach wenigen Jahren war auch die Arbeitslosenquote wieder zurückgegangen. Die Unternehmen und ihre Mitarbeiter hatten zwar einen hohen Preis gezahlt, erhielten aber langfristige Stabilität.

Es sind nicht die Achtziger

Trotzdem könnte es diesmal anders kommen. Zum einen hatte die Fed den Leitzins schockartig auf 20 Prozent hochgezogen; heute liegt er mit 5 Prozent anders als damals nicht deutlich über, sondern deutlich unter der Inflationsrate. Allerdings sind die Ausgangsniveaus auch unterschiedlich: 10 Prozent Zinsen Ende der Siebziger, annähernd Null-Zins Anfang 2022. Es gibt weitere Unterschiede: Die Sparquote in Deutschland war während der Corona-Zeit deutlich gestiegen, ist aber nun wieder gesunken und dürfte sich in diesem Jahr wieder auf dem Vor-Corona-vor-Inflation-vor Zinswende-Niveau einpendeln. Das liegt besonders am Aufholeffekt bei Urlauben, Fluglinien und Touristikunternehmen verzeichnen teils Rekordwerte. Auch haben Banken die Zinserhöhungen nur zögerlich an ihre Sparkunden weitergegeben. Zwar gibt es keine Negativzinsen mehr, aber Tages- oder Festgeld zu Leitzins-Niveau gibt es bislang nur als kurzfristige Lockangebote. Auch die Arbeitslosenquote zeigt sich von der Disinflationspolitik der EZB unbeeindruckt: Sie liegt unter dem Corona-Niveau.

Ein weiterer Faktor ist die Technologie: In den Neunzigerjahren hat die Digitalisierung die Produktivität vieler Unternehmen verbessert, so dass sie Kosten senken und die Preise niedrig halten konnten. Außerdem hat der Siegeszug von Internet und E-Commerce die Globalisierung befeuert; Unternehmen konnten günstiger einkaufen – und mussten sich zugleich dem Preisvergleich stellen. So trug technologische Innovation dazu bei, die Inflation zu senken. Heute erwarten viele Unternehmen, dass die aktuellen Entwicklungen in der Künstlichen Intelligenz einen vergleichbaren Produktivitätsschub auslösen können: Der Fachkräftemangel könnte kompensiert werden, die Personalkosten gerade im akademischen Bereich sinken.

Krieg und Energie

Doch es gibt auch Parallelen zu den Achtzigern: Ende der Siebziger hatte die iranische Revolution den Ölpreis getrieben, der Beginn des Iran-Irak-Kriegs im September 1980 verschärfte die Lage noch. Von April 1979 bis April 1980 hatte sich der Rohölpreis mehr als verdoppelt. Danach schmolz er langsam wieder ab –wegen der Rezession, aber auch durch Einsparungen und Substitution durch andere Energieträger. Mitte der Achtziger hatten zudem Nicht-OPEC-Staaten wie Norwegen und Großbritannien ihre Produktion hochgefahren, so dass der Preis Anfang 1986 unter das Niveau vor Beginn der Volcker-Maßnahmen gesunken war. Auch 2022 konnte mit ähnlichen Maßnahmen die Verfügbarkeit von Energie verbessert werden, so dass in der zweiten Jahreshälfte die Preise wieder sanken.

Der Rückgang der Inflation und die darauffolgende Stabilisierung ist in beiden Fällen von einer Entspannung der Angebots- und Nachfragesituation bestimmt, die nicht in erster Linie auf die Zentralbank-Politik zurückzuführen ist. Deswegen fürchten auch jetzt Beobachter und Investoren, dass die Hochzinspolitik zu lange fortgesetzt wird, obwohl sich bereits Anzeichen von Entspannung bei den Preisen zeigen. Noch sehen die Notenbanken aber keinen Spielraum für Zinssenkungen – die Inflation ist auch in Deutschland noch weit vom 2-Prozent-Inflations-Zielkorridor der EZB entfernt.

07/2023
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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